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Mit d.lead haben wir passend zum Thema einen agilen Prozess gewählt: Wir sind bei der Erstellung des Werkes empirisch, iterativ und inkrementell vorgegangen.

Sie lesen heute somit den letzten aktuellen Stand von d.lead.

Die digitale Transformation wird mit der ihr eigenen Veränderungsgeschwindigkeit allerdings jeden Tag neue Erkenntnisse und Ideen vorbringen und dem wollen wir Rechnung tragen.

Dabei wollen wir zukünftig nicht nur unsere eigenen Gedanken in den Vordergrund stellen, sondern sind mindestens ebenso gespannt, auf Ihre eigenen Erfahrungen, Ideen, Erkenntnisse und Fragen zu diesem Thema.

Vielleicht haben Sie ja auch ein paar spannende Zitate, Links, Buchtipps oder Webpages, die Sie gerne mit uns teilen würden und die ein guter Beitrag in diesem Blog sein könnten? Dann schreiben Sie uns einfach unter:

dialog@dlead.de

Wir würden uns sehr freuen, von Ihnen zu lesen. Ihre Beiträge werden regelmäßig Eingang in diesen Blog finden – mit Ihrem Namen, wenn Sie mögen.

Christoph Herrmann

Vom Financial Re-engineering zum organischen Wachstum – Warum die Private Equity Branche umdenken muss

Die Private Equity Branche war lange Zeit auf dem Erfolgspfad. Aktuell sieht sie sich allerdings fundamentalen Herausforderungen gegenüber, die nach einem Kulturwandel in PE-Gesellschaften verlangt.

2021 war das Peak Year der PE-Branche. Noch nie war das eingeworbene Kapital so hoch. Das Gesamt-Fundraising Volumen der Private Markets betrug in diesem Jahr laut Prequin 1.184 Billionen US$. Und mit einer gepoolten IRR (Internal Rate of Return) von 27% war die PE-Branche 2021 mal wieder die am besten performende Asset Class.

In 2022 hat der Wind allerdings ordentlich gedreht. Die veränderten ökonomischen Rahmendaten, die galoppierende Inflation und die daraus resultierenden steigenden Zinsen, der zunehmende regulatorische Druck, demographische Veränderungen, steigende Materialkosten, der Klimawandel etc. haben das PE-Geschäft inzwischen deutlich erschwert.

2023 sieht die Lage noch angespannter aus. Finanzinvestoren stehen damit vor bisher nicht gekannten Herausforderungen. „Die Notenbanken heben die Zinsen an. Private Equity fehlt damit Fremdkapital für Übernahmen. Einige Beteiligungsunternehmen dürften in Schieflage geraten“, so das Handelsblatt im Januar 2023.

Ganz ähnlich diagnostiziert der Economist bereits im Sommer 2022: „Private equity may be heading for a fall. The era of rising valuations and cheap debt is over.” Selbst vor Insolvenzen sind die Portfolio-Unternehmen von PE-Investoren immer weniger geschützt.

Dies stellt das klassische Selbstverständnis vieler PEs vor deutliche Herausforderungen. Lange hatte die Branche von dem Grundsatz gelebt, dass „Kaufen zum Verkaufen“, also das Erwerben eines Unternehmens zu seiner späteren Weiterveräußerung, eine sehr viel höhere Rendite erwirtschaftet als das klassische Kaufen von Unternehmen oder Unternehmensteilen „zum Behalten“.

Laut Eileen Appelbaum und Rosemary Blatt von der London School of Economics sind Private Equity Unternehmen daher auch weniger als Unternehmer im herkömmlichen Sinne zu verstehen, denn eher als finanzielle Akteure:

„Private equity firms are financial actors that sponsor investment funds that raise billions of dollars each year. The funds typically buy out high-performing companies using high amounts of debt and plan to resell them in a five-year window – promising investors outsized returns in the process. They propose to do this through a combination of operational improvements and financial engineering techniques.”

Im Gegensatz zu anderen finanziellen Akteuren (wie z.B. Pensionsfonds oder Familien) greifen sie dabei jedoch durchaus in das Management der Gesellschaften ein, in die sie investieren. Ihr Gewinn resultiert dabei neben einem finanziellen Re-Engineering meist daraus, dass sie bei Ihren Beteiligungsunternehmen Ineffizienzen beseitigen und die Produktivität erhöhen. Damit schaffen sie nachweislich Wert und initiieren im Idealfall auch wichtige Veränderungen in Unternehmen.

Private Equity Gesellschaften sind daher keineswegs immer der „Devil“ (Josh Lerner), für die sie so manche in der öffentlichen Diskussion halten, selbst wenn sich kritischen Stimmen dazu häufen und die Regulierungsbemühungen von Seiten der Politik aktuell zunehmen.

Problematisch ist es allerdings, wenn sich PE-Gesellschaften, wie in der Vergangenheit häufig der Fall, primär auf ein reines Finanzmanagement und die Optimierung von Kosten und Prozessen bei ihren Beteiligungsgesellschaften fokussieren.

Wachstumspotenziale (jenseits von „Buy und Build“), neue Geschäftsfelder, Sortimentsstrategien, Produktinnovationen, Neuausrichtung von Marketing und Sales…, sind dagegen Themen, aus denen sich viele PEs in der Vergangenheit eher herausgehalten und die sie meist dem Management ihrer Portfolio-Unternehmen überlassen. Selbst in der Screening- und Bewertungs-Phase neuer Beteiligungen durch PE-Firmen werden diese Themen unserer Erfahrung nach eher am Rande behandelt.

Es verwundert daher nicht, wenn selbst die stark PE-orientierte Beratungsgesellschaft Bain jüngst larmoyant feststellt: „The data is clear: Private equity returns have come largely from multiple expansion in recent years, rather than from revenue and margin growth.”

Dieser Ansatz hat in Zeiten niedriger Zinsen und günstiger Refinanzierungs-Möglichkeiten zwar gut funktioniert.

In Hochinflations- / Hochzinsphasen müssen PE-Manager jedoch umdenken. In diesen können sie ihren Return on Invest nicht mehr alleine nur durch finanzielle Multiple- und Arbitrage-Effekte realisieren. Vielmehr braucht es dazu mehr denn je ein organisches Wachstum.

Dazu Bain weiter: “Build your organic growth story. Outside of emerging technologies, ebbing GDP growth and stagnant- to-declining populations will limit market expansion in many industries. That means growth will have to come at the expense of competition. Strategies to gain share and add addressable markets through adjacency expansion will become the core tools for successful PE investors.

This last point is probably the most underestimated way to drive value at portfolio companies. We’ll say it again: The best way to generate differentiated performance in a slow-growth environment is by taking market share from competitors.

For many GPs, this isn’t a core competency, and few portfolio company CEOs give it the attention, investment, and resourcing needed to really move the needle. Often, it requires building capabilities in areas like pricing, salesforce optimization, and market definition—the bread-and-butter aspects of business improvement. It is also critical to approach the challenge systematically, creating repeatable processes, not one-off initiatives.”

Eine stärkere und systematischere Auseinandersetzung mit den „Brot und Butter“ Aspekten erfolgreichen Unternehmertums ist dabei v.a. auch Hinblick auf den Umgang mit Innovationen notwendig.

Anders, als von vielen PE-Gesellschaften behauptet, fallen die Investitionen nach Buyouts nämlich häufig geringer aus, als erwartet, zumindest wenn es um längerfristige Innovationsthemen geht, die sich nicht unmittelbar in erhöhten Umsätzen niederschlagen.

So hat bspw. Steven Neil Kaplan von der Chicago University Booth Business School in einer 1989 im Journal of Financial Economics veröffentlichen Studie festgestellt, dass PE-finanzierte Unternehmen und Übernahmen ihre Operating Margin, ihren Cashflow und ihren Unternehmenswert zwar steigern konnten, ihre Zukunftsinvestitionen aber reduzierten.

In einer im März 2023 für das SEC Investor Advisory Committee Meeting erstellten Präsentation kommt Kaplan zwar zu einem insgesamt positiven Resümee, was den ökonomischen Wertbeitrag von PE-Gesellschaften anbetrifft, wobei er u.a. auf verschiedene Studien verweist, die in jüngerer Zeit einen eher positiven oder zumindest neutralen Effekt von PE-Übernahmen auf Innovationen festgestellt haben (siehe hierzu z.B. Lerner et al. 2011 sowie McGrath and Nerkar 2023).

Allerdings gibt es durchaus auch gegenläufige empirische Studien, auf die Kaplan fairerweise ebenfalls hinweist, so z.B. Cumming et al. 2020, die nachweisen, dass bspw.die Zahl der Patentanmeldungen und Patentzitate bei institutionellen Buyouts deutlich geringer ausfällt.

Entscheidender als nur der Blick auf die Frage „Förderung von Innovationen ja oder nein“ ist dabei v.a. ein kritischer Blick auf die Art von Innovationen, für die PEs bereit sind Geld auszugeben.

So sehen beispielsweise PE-Gesellschaften Investitionen in die Digitalisierung von Portfolio-Unternehmen durchaus als wichtigen Value Driver für einen späteren Exit und können daher wichtige Transformationen in dieser Hinsicht anstoßen.

Dies tun sie in der Regel jedoch nur, wenn sich diese Investitionen auch noch während der eigenen Halteperiode in einem erheblichen Umsatzplus niederschlagen. Womit sie sich allerdings selbst auch erhebliche Wertsteigerungspotenziale verschließen, da sich nachhaltige Digitalisierungserfolge in etablierten Märkten und Unternehmen häufig erst nach Jahren einstellen und daher Zeit brauchen.

Gerade die in den letzten Jahren immer mehr in Mode gekommenen Secondary- und Mehrfach-Buyouts führen zu einer Orientierung auf primär kurz- und mittelfristige Zeithorizonte, und verhindern somit den Aufbau längerfristiger Erfolgspotenziale.

Dieses Problem verschärft sich in Zeiten steigender Zinsen und enger werdender Finanzierungsspielräume umso mehr, da PE-Investoren zur Erreichung ihrer Renditeziele Investitionsvorhaben eher kürzen oder ganz einstellen, statt diese weiter voranzutreiben.

Dabei gilt für Innovationsinitiativen in Hochzinsphasen etwas ganz Ähnliches, wie es die Unternehmensberatung Bain & Co. für den Bereich des organischen Wachstums festgestellt hat (siehe oben):

Neue Technologien verschaffen den Zugang zu neuen Märkten, sie ermöglichen höhere Absatz-Preise, schaffen Wettbewerbsvorteile und helfen Marktanteile zu steigern. Nicht selten führen sie sogar zu einer Reduktion der operativen Kosten. Mitunter sind sie sogar unerlässlich, um zu verhindern, dass Portfolio-Unternehmen gleich ganz vom Markt gedrängt werden, da ihr Geschäftsmodell durch neue technologische Lösungen ersetzt wird.

In ihrem White Paper “How can private equity firms transform to find new routes to value creation  - Preparing for the NextWave of Private Equity” kommt die Unternehmensberatung EY ganz in diesem Sinne zu dem Schluss: “Embracing digital is less an option than a necessity”.

Ganz ähnlich äußert sich Clément Mengue, Director Deals Strategy for emerging, growth & disruptive technology bei PwC Germany: “As technology continues to advance and the importance of digital transformation to value creation keeps rising, what lies ahead for PE firms? In my view, the key to success going forward will be to constantly connect with innovation and understand what early-stage technologies and businesses are disrupting the market.“

Anlass genug für einen dringend benötigten Kulturwandel in der PE-Branche zu sorgen, um neben der Orientierung auf finanzielle Ziele wie Kosteneffizienz und interne Verzinsung auch zentrale unternehmerische Themen wie organisches Wachstum, systematisches Business Building, Innovation und nachhaltige Digitalisierungserfolge mit in den Blick zu nehmen.

Christoph Herrmann

Schock nach der Party – Was uns die Pleite der Silicon Valley Bank lehrt

Das kalifornische Silicon Valley steht aktuell unter Schock: Die Silicon Valley Bank, das Geldhaus vieler Startups, ist pleite. Noch sind die langfristigen Konsequenzen für die Finanzwelt nicht absehbar. Risikokapitalgeber wie Startups können aber jetzt schon davon lernen.

Es liegt nahe, die aktuelle Pleite der Silicon Valley Bank (SVB) als weiteren Beleg für eine erneute Tech-Blase zu werten. Die Ursachen liegen allerdings tiefer und lassen sich nicht alleine durch die Überbewertung vieler Startups erklären, als vielmehr auch aus Defiziten, die klar im finanziellen Management wie operativen Management vieler Startups zu suchen sind.

Zunächst zu den Hintergründen der Pleite:

Da zahlreiche Startups in den vergangenen Jahren in verschiedenen Finanzierungsrunden erheblich Kapitalmittel eingenommen hatten, über die sie nicht sofort verfügen mussten, wurde diese bei der SVB geparkt. Da die SVB nicht in gleichem Maße Kredite vergeben konnte, investierte die Bank u.a. in Staats- und Hypothekenanleihen zu einem Zeitpunkt als deren Kurse sehr hoch waren.

Inzwischen ist die Situation eine völlig andere: Steigende Zinsen, fallende Anleihen-Kurse sowie sinkende Bewertungen und ein daraus resultierender erhöhter Kapitalbedarf der Startups haben die SVB, neben erheblichen Managementfehler der Bank selbst, in die Bedrouille gebracht.

Dass dadurch nun auch viele europäische Startups in Probleme geraten könnten (laut Medienberichten hatte die Silicon Valley Bank über 3600 europäische Kunden), wirft Fragen auf, denen sich Risikokapitalgeber und Startups gleichermaßen stellen sollten.

1. Cash Overload begrenzen: Zum einen stellt sich die Frage, ob es tatsächlich gut und notwendig ist, Startups mit derart umfangreichen Cash-Mitteln auszustatten, nur damit diese die nicht benötigten Mittel dann bei einer ausländischen Bank parken.

Natürlich braucht es gerade bei Unternehmen mit z.T. noch unsicheren Revenue-Streams einen gewissen „Slack“ bei den disponiblen Finanzmitteln. Ob dieser aber so groß sein muss, dass er zum längerfristigen „Geldparken“ verführt, und sei dies auch nur in Form der Anlage in vermeintlich wertstabile Anleihen, ist eher zweifelhaft.

Kommen dann noch flexible Kreditlinien z.B. in Form sogenannter „Revolving Credits“ hinzu, wie bei der SBV wohl im großen Stil der Fall, dann erhöht sich diese Problem noch. Diese sind nämlich meist mit der strengen Vorgabe verknüpft, dass man sein Geld bei der kreditvergebenden Bank selbst parken muss,

Die Auszahlung gewonnener Geldmittel in Tranchen, im Idealfall gekoppelt an klare Stage Gates, reduziert dagegen nicht nur den Aufwand für ein aktives Asset Management, sondern erhöht auch die Bereitschaft für operative Exzellenz in der Umsetzung.

Es ist nun schon bereits 9 Jahre her, dass Marc Andreessen, seine berühmte Warnung formuliert hatte, Startups würden zu viel Cash verbrennen und im übrigen auch „raisen“, damals übrigens schon als eine Art „Rückversicherung für schlechtere Zeiten“.

Headlines wie „Why Tech Startups Can't Seem to Stop Flushing Cash Down the Toilet” (Entrepreneur), “Why Raising Too Much Capital or Raising It Too Early Can Lead to the Failure of Your Startup” (Inc.), und “The danger of venture capital ‘foie gras” (Sifted), belegen, dass sich daran bis heute nur wenig geändert hat.

Der „Cash Crunch”, dem sich viele Tech Companies aktuell gegenübersehen, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass diese die Milliarden, die sie zuvor bei ihren IPOs eingesammelt hatten, schlichtweg zu schnell verbrannt haben, so die Financial Times jüngst in einem kritischen Beitrag. Allein der „Cash Burn“ der FinTech Branche betrug in 2022 laut PYMS.com satte 12 Milliarden US$.

Vor diesem Hintergrund hat selbst das US-Magazin TechCrunch, sonst eher ein Sprachrohr der Startup-Szene, vor Kurzem die selbstkritische Frage gestellt. „When do we reach the unicorn death cliff?“

Ironischerweise findet man auf der Website der Silicon Valley Bank  heute noch Tipps für Gründer, in denen diese vor einem Cash Overload zur Vermeidung einer frühen Verwässerung warnt: “Understand how much money you truly need now. Protect your ownership by not raising more than that amount.” Dass in diesem Beitrag weder finanzielle Risiken noch operative Herausforderungen überhaupt Erwähnung finden, ist genauso symptomatisch, wie die Tatsache, dass es vielfach wohl die Tech-Finanzierer selbst waren, die Startups dazu veranlasst haben, die SVB als primäre Hausbank zu wählen, und die damit das Problem noch verstärkt haben.

Diese Zusammenhänge zeigen, wie sehr die VC- & Tech-Branche immer noch im eigenen Saft schmort, was bekanntermaßen niemals gut ist, weil es den Blick auf essentielle Management-Grundtugenden verdeckt.

2. Risiko-Management betreiben: Zu diesen Grundtugenden gehört u.a. ein solides Finanzmanagement, bei dem schon verwundert, wie wenig dieses in manchen Startups immer noch Anwendung zu finden scheint. Schon mal was von finanzieller Risikominimierung durch Mehrbanken-Strategie, Portfolio-Streuung etc. pp. gehört? Schon interessant zu sehen, wie sich plötzlich in den Startup-Medien die Tipps zu einer Mehrbankenstrategie häufen. So etwa das Venture-Magazin t3n, in dem gestern zu lesen war: „Wie in vielen anderen Bereichen hilft eine Diversifikation“. Als ob das etwas Neues wäre.

Dass viele Startups nun nicht mehr an ihre Geldmittel herankommen und dadurch im operativen Geschäft in Schwierigkeiten geraten könnten, hängt also ganz offensichtlich auch damit zusammen, dass sie in der Vergangenheit ein zum Teil unprofessionelles Finanzmanagement betrieben haben. Grund genug dieses von Investorenseite bei den eigenen Beteiligungen durchaus einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Wobei sich manch institutioneller Investor dabei selbst die Frage stellen muss, ob dafür der eigene Umgang mit finanziellen Themen – z.B. im Kontext von „Venture Debt“ als Hebel zur Steigerung der eigenen „Capital Returns“ – nicht noch einmal kritisch zu hinterfragen ist.

3. Operative und strategische Exzellenz erhöhen: Tatsächlich haben sich in den vergangenen Jahren viele Startups eher mit der Frage beschäftigt, wie sie mittels einer stimmigen Investorenstory in immer neuen Bewertungsrunden eine möglichst hohe Bewertung erzielen können, statt sich um eine unmittelbare wie gleichermaßen nachhaltige operative und strategische Exzellenz zu bemühen.

Interessanterweise hat sich dies auch im Verhalten vieler Risikokapitalgeber widergespiegelt. Der klare Fokus auf die meist rein virtuelle Kalkulation eines attraktiven MOIC (multiple on invested capital) zu einem fiktiven Exit-Zeitpunkt hat auch diese dazu verleitet, wichtige operative und strategische Grundsatzfragen nach hinten zu verlagern:

Wie umsatzträchtig, differenzierend und nachhaltig erfolgreich ist das Geschäftsmodell wirklich? Wie lassen sich damit bereits kurzfristig Kunden gewinnen und Umsätze generieren? Wie sorgt man von Anfang an für eine Exzellenz in der Umsetzung jenseits rein virtueller Luftschlösser und bloßer Zukunftsfantasien?

Mit derartigen Fragestellungen müssten sich Risikokapitalgeber viel aktiver auseinandersetzen, als sie das bisher getan haben, statt primär nur auf die Entwicklung von Excel-Sheets zu schauen und den Geldhahn im Zweifel einfach abzudrehen, wenn der Gap zwischen finanziellen Wunschträumen und der Wirklichkeit einfach zu groß geworden ist.

Insofern könnte auch dieser Schock etwas Heilsames haben. Wenn Kapitalgeber wie Startups tatsächlich bereit sind, daraus etwas zu lernen.

Mar Hershenson, Managing Partner der Venture Capital Firma „Pear VC“, hat dazu jüngst teffend festgestellt:

“Less money in the system means companies need to have better operational excellence (do more with less money). Investors are also going back to basics. Diligence is back, along with appreciation for companies that are building real value, not relying only on future value.”

Schade, dass es für derartige Erkenntnisse offenbar immer erst Krisen braucht, wie die jüngst von der Silicon Valley Bank ausgelöste.

Christoph Herrmann

ZEITENWENDE - WARUM SICH VIELES ÄNDERN WIRD UND MUSS

Das Geschäft mit der Zukunft war immer schon ein schmutziges. Einfache Zukunftswahrheiten gibt es nämlich nicht. Dennoch machen Zukunftsforscher mit einfachen Zukunftsweisheiten nach wie vor ein gutes Geschäft. Warum es trotzdem angemessen ist, aktuell von einer Zeitenwende zu sprechen und wie sich Unternehmen darauf einstellen sollten.

Hohe Komplexität und Dynamik waren immer schon die Kerneigenschaften (post-)moderner Gesellschaften. Und eine ausgeprägte Veränderungsbereitschaft Teil eines zukunftsorientierten Managements und Unternehmertums. Dennoch fällt auf, wie sehr aktuell in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik von einer fundamentalen „Zeitenwende“ die Rede ist.

Erst vorgestern war im Handelsblatt zu lesen, dass ein Kreis führender Wirtschaftswissenschaftler angesichts der aktuellen weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Herausforderung eine „Zäsur“ diagnostiziert, aus der fundmentale Veränderungen in unserem politischen, gesellschaftlichen und unternehmerischen Handeln resultieren müssten.

Man ist versucht, derartige Diagnosen schnell als einseitig und übertrieben abzutun. Von „tipping points“ spricht die Zukunftsforschung schließlich immer wieder. Und liegt dabei ziemlich häufig daneben.

Vor einigen Monaten erst war im FOCUS zu lesen, wie bspw. der deutsche Trendforscher Matthias Horx mit seinen Hypothesen zu den Folgen von Corona mächtig daneben gelegen habe. Gerade mal 25% seiner Prognosen seien laut FOCUS zutreffend.

Zweifel beim Ausruf von „Zeitenwenden“ durch Zukunftsexperten sind daher tatsächlich angebracht. Dennoch gibt es gute Gründe, warum in der aktuellen Situation die Diagnose einer Zeitenwende tatsächlich angebracht ist.

Die anhaltende Pandemie, der Ukraine-Krieg, der Klimawandel, die Rohstoffkrise, herausgeforderte Lieferketten, explodierende Preise, bis hin zu Verschiebungen im Wertgefüge der Menschen, all das spricht dafür, dass die aktuellen Veränderungen doch fundamentaler sein könnten.

Und dass diese tatsächlich nach einem „paradigm shift“ verlangen, nicht nur in der Politik, sondern auch in unserer Art des Wirtschaftens. So wie es etwa der ehemalige Managing Director von JP Morgan, John Fullerton, im Januar 2022 in seinem Podcast “Regenerative Economics: A Necessary Paradigm Shift for a World in Crisis” gefordert hat.

Mindestens genauso wichtig wie ein solcher „paradigm shift“ auf makroökonomischer Ebene ist v.a. jedoch ein „mind shift“ im unternehmerischen Denken, der viel mit dem „Ende vom Ende der Geschichte“ zu tun hat.

Glaubte nach dem Fall der Berliner Mauer eine ganze Generation von Managern, dass mit dem Ende des kalten Krieges dem wirtschaftlichem Wachstum keine Grenzen mehr gesetzt seien, so sehen sich aktuell viele Unternehmen in eben diesem Glauben tief erschüttert. Zu Recht!

Knappe Rohstoffe, galoppierende Energiepreise, unsichere Lieferketten, volatile Finanzmärkte, schwankendes Kundenverhalten, der Klimawandel…, all das sind Phänomene, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger anhalten werden als die aktuelle weltpolitische Unsicherheit oder die anhaltende Pandemie.

Erstaunlich dabei: Die meisten Unternehmen sind auf die damit verbundenen Herausforderungen nach wie vor nur unzureichend vorbereitet, und zwar unabhängig davon, ob sie eher traditionell geführt werden oder zu den Vorreitern einer neuen libertären Unternehmenskultur zählen.

Ein starker Zentralismus, ein straffes Durchregieren von oben und operative Kleinteiligkeit helfen in der aktuellen Situation genauso wenig weiter wie die Hoffnung, mit ausreichend Investoren-Funding, Scrum, Sharepoint, führungslosen Teams, viel Homeoffice sowie Bällebädern und Dachterassenpartys alleine den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden zu können.

Notwendig sind vielmehr fundamentale Veränderungen in Führungsverständnis und Führungskultur der Unternehmen selbst, bei der die richtige Vorgehensweise – wie so häufig – in der Mitte liegt und nicht an den Rändern.

Zu diesen notwendigen Veränderungen zählen m.E. vor allem die folgenden 4 Punkte:

1. Brutale Ehrlichkeit

In den vergangenen Jahren, in denen die Erfolgskurve nur eine Richtung kannte, nämlich die nach oben, war eine ehrliche Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Veränderungsnotwendigkeiten in vielen Unternehmen eher schwierig.

Viele Transformations- und Innovationsvorhaben blieben deshalb eher an der Oberfläche. In Zeiten der Krise muss sich das fundamental ändern. Stattdessen ist jetzt eine „brutale Ehrlichkeit“ gefragt, wie sie bspw. das Handelsblatt bereits im vergangenen Jahr gefordert hat.

Diese brutale Ehrlichkeit muss dabei alle zentralen Fragen der Führung des eigenen Unternehmens umfassen, vom eigenen Geschäftsmodell, über die Produktionsweisen und Lieferketten bis hin zu den Produkt-, Absatz- und Personalstrategien.

Nur auf der Basis einer derart schonungslosen Selbstreflektion lassen sich wirklich die Weichen stellen, die es braucht, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu erhöhen.

2. Leben mit Unsicherheit & Unwissen

Unternehmertum und Management haben nicht erst jetzt sondern immer schon mit der Fähigkeit zu tun, souverän mit Situationen hoher Unsicherheit umgehen zu können. Wie auch mit der Bereitschaft ins Risiko zu gehen, gerade weil man auch als Unternehmer nie alles sicher wissen kann.

Nicht ohne Grund erleben gerade Führungsseminare, Bücher und Vorträge eine Renaissance, die sich damit auseinandersetzen, wie man erfolgreich mit Unsicherheit und Unwissen umgehen kann. Umso erstaunlicher, wie wenig der dabei vermittelten Tipps immer noch in die unternehmerische Praxis Eingang finden.

Statt „souverän agil“ auf die unsichere Umweltsituation zu reagieren, wird in vielen Unternehmen entweder mit operativer Hektik agiert und der Ausnahmezustand zum Normalfall erklärt. Oder aber es werden – häufig parallel zur operativen Hektik – radikale Strategie-, Zukunfts- & Transformationsprojekte initiiert, verbunden mit der Erwartung, dass dabei am Ende eine neue heilsbringende Lösung quasi aus dem Ärmel geschüttelt werden könne.

Dabei ist lange bekannt, dass gerade in hochdynamischen, hochkomplexen Umfeldern ein nachhaltiges stressresistentes Unternehmenskonzept verbunden mit der Fähigkeit zu regelmäßigen adaptiven Strategieanpassungen die erfolgreichste Vorgehensweise darstellt.

Unternehmerische Zukünfte werden immer auch selbst gemacht und nicht nur von außen oktroyiert. Umso wichtiger ist es gerade in der aktuellen Situation die eigene Zukunft proaktiv in die eigene Hand zu nehmen und nicht einfach nur auf die richtige Zukunftslösung von außen zu warten.

3. Überwindung der Saturiertheit

Aller operativer Hektik und diverser Strategieprojekte zum Trotz ist die tatsächliche Veränderungsbereitschaft in vielen Unternehmen jedoch tatsächlich immer noch erstaunlich gering.

So hat jüngst die DIHK in einer Umfrage festgestellt, dass die aktuelle Unsicherheit einen wirklichen Aufbruch in vielen Unternehmen eher verhindert statt fördert.

Ein wichtiger Grund dafür: die Saturiertheit, die v.a. in westlichen Volkswirtschaften, Gesellschaften und Unternehmen eine wirkliche Veränderung verhindert.

Genau in dieser Saturiertheit steckt ein erhebliches Risiko. Gelingt es uns nicht, diese zu überwinden, dann riskieren westliche Unternehmen nicht nur ihre eigene Existenz.

Es droht gar die Grundlage unseres Wohlstands verloren zu gehen und damit die Fähigkeit, auf die vor uns stehenden Herausforderungen wie den Klimawandel trag- und finanzierungsfähige Antworten zu finden.

4. Digitale Souveränität

Wenn wir etwas aus den jüngsten Herausforderungen gelernt haben, dann dass die Digitalisierung ein unerlässliches Instrument ist, um auch unter schwierigen Bedingungen erfolgreich wirtschaften zu können. Anders wäre es nicht zu erklären, dass bspw. deutsche Unternehmen 2020/2021 derart gut durch die Pandemie gekommen sind.

Zum „Zukunft selber machen“ gehört daher unweigerlich auch die Fähigkeit, die eigene Digitalisierung erfolgreich in die Hand zu nehmen. Das betrifft Unternehmen genauso wie die vielzitierte öffentliche Hand.

Auch wenn die Digitalisierung durch die Pandemie einen gewissen Schub erlebt haben, so ist doch festzustellen, dass das bei weitem noch nicht reicht. So ist Deutschland im vergangenen Jahr zwar digitaler geworden, aber eben nur „ein wenig digitaler“, wie das Institut der deutschen Wirtschaft IDW vor kurzem festgestellt hat.

Zeit auch in dieser Hinsicht die eigene Naivität abzulegen und sich von einer falschen und übertriebenen Digitalisierungseuphorie zu verabschieden, die in der Vergangenheit häufig eher in Luftblasenprojekte gemündet ist als in eine nachhaltige digitale Transformation.

Was es stattdessen braucht ist eine aufgeklärte pragmatische Herangehensweise an digitale Themen, die Fehler zulässt und mit einer hohen Lernfähigkeit verknüpft ist.

Wie sehr es daran mangelt, hat gerade hochaktuell der Weggang des Digitalbeauftragten der Stadt München, Thomas Böning, offenbart. In einem Interview mit der SZ legt er schonungslos die Fehler der Münchner Stadtverwaltung im Umgang mit Open Source Projekten offen (die am Ende „sunk cost“ in dreistelliger Mio. € Höhe hervorgerufen haben). Derartige Phänomene findet man nicht nur im öffentlichen Bereich, sondern nach wie vor leider auch in vielen Unternehmen.

Zukunft muss daher auch in digitaler Hinsicht anders gemacht werden, nämlich souveräner, lernfähiger und realistischer, sprich befreiter von oberflächlichen Fantasien genauso wie von überholten Dogmen.

Wann wäre die richtige Zeit, das endlich richtig anzugehen, wenn nicht jetzt.

Packen wir’s an!

Christoph Herrmann

BEYOND PURPOSE – NEW-WORK REINVENTED

Wirtschaft wurde immer schon in erheblichem Maße von Moden beeinflusst. In den letzten Jahren war es v.a. die New Work Bewegung, die ein neues Verständnis davon zu vermitteln versuchte, wie Unternehmen, zeitgemäßes Arbeiten und die zunehmend digitalisierten Märkte zu funktionieren hätten.

Eines der Lieblingsworte der New Work Bewegung war dabei „Purpose“. Basierend auf der provokanten These, die der HBS-Emeritus Christopher A. Bartlett 1994 im Harvard Business Review aufstellte, „die meisten Unternehmen hätten ja keine Ahnung davon, wofür sie überhaupt da seien“, sollten sich diese plötzlich einem „höheren Zweck“ (Purpose) jenseits der reinen Gewinnorientierung verschreiben, um ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Kundinnen und Kunden einen wirklichen Sinn zu liefern.

Nicht nur die Wirtschaft, auch Politik und Gesellschaft wurden in den vergangenen Jahren immer stärker unter Purpose-Zwang gestellt. Alles sollte plötzlich einen Purpose haben, bis hin zu Parteien, öffentlichen Institutionen und neuen religiösen Bewegungen (als ob Religionen nicht immer schon Orte der Sinnsuche und Sinnfindung für Menschen gewesen wären).

Bereits vor der Corona-Epidemie hat die Purpose-Bewegung allerdings auch einige Kritik einstecken müssen: Die Suche nach dem Purpose verleihe Unternehmen „sektenhafte Züge“. Die Purpose-Hype sei darüber hinaus häufig nur „aufgesetzt“ und Worte und Taten passten häufig nicht zusammen.

Tatsächlich ist eine Kernherausforderung der Purpose-Bewegung darin zu sehen, dass sie zum Teil ähnlich dogmatische Züge angenommen hat, wie zuvor die neoliberale Schule einer reinen Profitorientierung.

Von „Emoj-Terror“, „aktiver Begeisterung als Pflicht“ und der Desavouierung von „Nachdenklichkeit“ als Auswüchse dieser Entwicklung berichtet etwa das Handelsblatt in einer seiner letzten Wochenendausgaben und dem entsprechenden Newsletter dazu.

Am anderen Ende des Kontinuums sind die Unternehmen zu finden, die irgendwie versuchen mit dem Purpose-Trend mit zu schwimmen, dies aber als reine Marketingluftnummer begreifen und dadurch „Purpose washing“ betreiben, was ihnen am Ende wenig nützt, da dies von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genauso wie von Kundinnen und Kunden zunehmend durchschaut wird.

In Zeiten von COVID-19 kommt ein weiteres Problem hinzu: Weil sich viele Unternehmen aktuell ganz anderen Herausforderungen gegenübersähen, würden sich diese kaum noch mit Purpose-Themen beschäftigen, so der Bielefelder Professor und Organisationssoziologe Stefan Kühl jüngst in einem Interview. Und weiter: „In ein, zwei Jahren wird kaum noch jemand über Purpose sprechen.“

Dass es soweit kommt, darf allerdings bezweifelt werden, bei allem Verständnis für die berechtigte Kritik an einer überzogenen Purpose-Kultur.

Aktuelle Herausforderungen wie die zunehmenden wirtschaftlichen Spannungen zwischen Asien, Europa und den USA, herausgeforderte globale Lieferketten, der auch die Unternehmensrealitäten immer stärker betreffende Klimawandel und ein anhaltender „war of talents“ (vor allem in den Bereichen IT und Digitalisierung) wie nicht zuletzt der vielzitierte Generationenwandel sprechen dafür, dass das Thema Sinnsuche und Sinnstiftung die Unternehmen noch weiter beschäftigen wird.

Gerade die aktuelle Diskussion darum, wie es Unternehmen gelingt, nach der Epidemie die Rückkehr in neue hybride Unternehmens- & Arbeitswelten sinnvoll wie gleichermaßen effizient zu organisieren, wird die Purpose-Diskussion vermutlich noch einige Zeit am Laufen halten.

Dass die Zukunft des Arbeitens nach der Pandemie genauso wenig in 100% Home Office zu finden ist, wie in einer kompletten Rückkehr in den Großraum-Büroalltag dürfte inzwischen allen klar sein, selbst wenn man diesen bereits vor Corona mit kuscheligen Sitzlounges, Tischfußball-Ecken und schicken Cafeterien aufzulockern versucht hat. New Work nach Corona, das bedeutet v.a. mehr Hybridität und Flexibilität im Arbeiten.

Wie eine Online-Befragung des Recruiting-Unternehmens Softgarden jüngst gezeigt hat, sind es in dieser neuen Arbeitswelt für viele Menschen tatsächlich eher handfeste Kriterien wie eine hohe Jobsicherheit, ein gutes Gesundheitsmanagement, eine offene Kommunikation, eine funktionierende technische Ausstattung und moderne digitale Prozesse, die für sie sinnstiftend wirken, als typische New Work Themen wie etwa partizipative Führung oder mehr Eigenverantwortung beim Arbeiten.

Vielleicht ergibt sich vor diesem Hintergrund ja tatsächlich die Chance, das was aktuell unter „Purpose“ verstanden wird, neu zu definieren und dabei dort anzuknüpfen, was die Forschung zu „Unternehmensidentitäten“ und sinnstiftenden „Unternehmenskulturen“ bereits in den 80er Jahren herausgefunden hat:

Identität und damit Sinn werden viel weniger dadurch gestiftet, dass man regelmäßige Purpose-Workshops veranstaltet oder einen festen Unternehmenszweck definiert, sondern dadurch, dass man im Unternehmensalltag eine Kultur schafft und erlebbar macht, die die Mitarbeiter ernst nimmt, die sie motiviert und die sich auch unter dynamischen Bedingungen als anpassungs- und damit überlebensfähigerweist.

Damit dies auch heute unter immer dynamischeren und komplexeren Umfeldbedingungen gelingt, braucht es v.a. zweierlei: Substanz und Flexibilität.

Wer etwa Nachhaltigkeit glaubhaft im eigenen Unternehmen verankern will, darf dabei nicht einfach mehr nur noch Greenwashing betreiben. Erst wenn nachhaltiges unternehmerisches Handeln wirklich substanziell in der eigenen Unternehmensrealität und Alltagskultur verankert sind, lassen sich dabei noch die Bindungs- und auch Wettbewerbsvorteile realisieren, die sich Unternehmen davon erhoffen.

Genauso braucht es aber auch eine erhöhte Flexibilität bei der Ausgestaltung der eigenen Unternehmenskultur, nicht im Sinne einer wahllosen Beliebigkeit, die die notwendige Substanz unterlaufen würde, sondern im Sinne einer angemessenen Reagibilität und Adaptionsfähigkeit im Sinne Parsons, die es Unternehmen und ihren Mitarbeitern ermöglicht, sich immer wieder nachvollziehbar und damit sinnstiftend an die jeweiligen Gegebenheiten und Herausforderungen ihrer Umfelder anzupassen.

„Agile Souveränität“ haben wir dieses Prinzip in unserem digitalen Führungsratgeber „d.lead“ genannt, ein Prinzip, das auch die aktuelle Purpose-Diskussion in Zeiten der Digitalisierung nachhaltig befruchten könnte.

Christoph Herrmann

Neue Einhörner braucht das Land – Was steckt hinter dem Unicorn-Phänomen und warum setzen immer mehr Investoren auf B2B-Einhörner aus Deutschland?

Lange Zeit galten Einhörner als reine Fantasiewesen aus Fabelwelten oder Disney-Filmen. Heute zählen sie zum Sprachjargon der meisten Anleger.

Wer träumte nicht davon, relativ frühzeitig in ein Startup zu investieren, das sich innerhalb weniger Jahre in ein „Unicorn“ (Einhorn) verwandelt, dessen Unternehmensbewertung zumindest auf dem Papier eine Milliarde überschreitet.

Der Begriff Unicorn wurde erstmalig 2013 von Aileen Lee, Gründer des Venture Capital Unternehmens Cowboy V/C mit Sitz in Palo Alto, California verwendet, der mit seinen Kollegen 39 Startups wie Facebook, LInkedin, Twitter untersuchte, die damals schon eine solche Bewertung aufwiesen.

Das ist gerade einmal 8 Jahre her. Und zeigt, wie schnell das Unicorn-Phänomen inzwischen in das Alltagsdenken vieler Investoren und Investorinnen übergegangen ist.

Viele Fonds haben daher Unicorns mit in ihr Portfolio integriert, einige sich sogar komplett darauf spezialisiert.

Führende VC-Firmen wie Accel, Andreessen Horowitz, Kleiner Perkins, Khosla Ventures oder Sequoia Capital investieren von vorneherein nur in Firmen, von denen sie ausgehen, dass sie zumindest das Potenzial besitzen, ein Unicorn zu werden.

Um es gleich vorwegzunehmen: „Nicht jedes Unicorn bleibt erfolgreich“ und schreibt irgendwann einmal tatsächlich Gewinne, wie die Wirtschaftswoche schon 2015 kritisch anmerkte.

Auch ist der Zeitpunkt eines Einstiegs bei einem (potenziellem) Unicorn nicht unwichtig. Je früher, umso höher ist naturgemäß der potenzielle Hebel, allerdings auch das Risiko erheblicher Verluste.

Nicht ohne Grund erwarten Investoren & Investorinnen in Frühphasen eines Startups daher auf ihr Investment auch einen Multiple (MOIC) von 10x oder mehr, was bei einer Haltefrist von 5-10 Jahren einer jährlichen internen Verzinsung von 26%-58% auf das eingesetzte Kapital entspricht.

Zu unverschämt, wie manche unerfahrene Gründer glauben?

Keineswegs. Aus vielen potenziellen Unicorns wird am Ende dann eben doch keines. Daher müssen Investoren im Rahmen ihrer Portfoliostrategien eine solche Mindesterwartung ansetzen, damit am Ende im globalen Durchschnitt eine Verzinsung von 13,8% dabei herauskommt.

Selbst in späteren Phasen, etwa bei IPO kann das Risiko erheblich sein. Die Vergangenheit zeigt, dass nicht wenige milliardenschwer bewertete Börsenneulinge nach dem Börsenstart nicht selten ins Minus gerutscht sind.

Auch wenn sich einige davon später wieder erholt haben, so sollte das damit verbundene Risiko dennoch nicht unterschätzt werden.

Beispiele wie Tesla (+1.200% in den letzten 5 Jahren) sowie Zoom (+390% in den letzten 3 Jahren) zeigen allerdings, dass die Wertentwicklung solcher Unicorns immer weniger mit ihrer tatsächlichen aktuellen operativen Performance zu tun hat als mit der Wette, die Investoren auf deren rosige Zukunft und eine weiterhin positive Kursentwicklung setzen.

Betrug der Börsenwert von Tesla beispielsweise im Januar 2021 das 31-fache seiner realen Verkäufe, so lag der Wert bei GM nur bei 0.5348x.

“It seems that today’s market is willing to value stocks not on their past performance, current performance or analyst-expected future performance but on the rosiest future that investors have imagined for their favorite companies”, so das Online Journal TECHCRUNCH zu diesem Phänomen.

Oder, wie es die Los Angeles Times bereits Mitte 2020 formulierte: „Tesla’s insane stock price makes sense in a market gone mad.”

Was deutsche Gründer und Gründerinnen dabei ermutigen kann, ist die Tatsache, dass es auch immer mehr Unicorns mit deutscher Provenienz gibt (Celonis, N26, Lilium und seit kurzem auch Sennder, Mambu und Personio lassen grüßen) und dass für erfolgreiche Startups der Weg zum potenziellen Unicorn immer kürzer zu werden scheint.

Uwe Horstmann, Mitgründer und Partner des Operational VC-Unternehmens Project A hat daher jüngst das Jahr 2021 sogar zum „Jahr der Einhörner“ ausgerufen.

Zur Wahrheit gehört dabei allerdings auch: „Es wird immer leichter, zum Einhorn aufzusteigen, weil immer mehr Geld im Venture-Capital-Geschäft steckt. Angesichts der globalen Niedrigzinspolitik der Notenbanken suchen Investoren nach jedem bisschen Rendite. Aktien von jungen Technologieunternehmen werden an den Börsen zu Bewertungen gehandelt, die teilweise an die Zeiten des Dotcom-Booms Ende der 90er- Jahre erinnern“, so das Handelsblatt.

Entwickler*innen, Gründer*innen, Unternehmer*innen, die darauf setzen, genau zu einem solchen nächsten „Unicorn“ zu werden, können daraus v.a. eines lernen: Um ein Unicorn zu werden, kommt es nicht nur darauf an, eine neue digitale Serviceidee, ein neues Produkt oder gar eine innovative technologische Erfindung vorweisen zu können.

Viel wichtiger ist es v.a., Investoren und Investorinnen davon zu überzeugen, dass man das Potenzial mitbringt, diese neue Serviceidee, das neue Produkt oder die technologische Durchbruchsinnovation auch wirklich zu einem globalen kommerziellen Erfolg zu machen und dabei mittel- bis langfristig Wachstumsphantasien zu entfachen, die einen späteren lukrativen Exit für Frühphasen-Investoren wahrscheinlich machen.

Es verwundert dabei wenig, dass inzwischen die deutliche Mehrheit der Investoren v.a. in Deutschland und Europa auf B2B- statt B2C-Startups setzen.

Laut einer Studie von Earlybird aus dem Jahr 2021 auf Basis von Daten von Crunchbase, Pitchbook und CB Insights liegt der Anteil von B2B-Firmen an Startups mit einem bisherigen Gesamt-Investitionsvolumen von 50 Millionen und mehr inzwischen bei 60% (2015 waren es dagegen noch 46%)

Die Gründe hierfür sind vielfältig:

B2B ist vielen institutionellen wie privaten Investoren in Deutschland vertrauter als B2C. Die Aussichten für eine lukrative Geschäftsentwicklung, v.a. aber einen lukrativen Exit sind hier häufig besser. V.a. aber bringen Gründer, die sich in B2B Geschäftsfelder vorwagen, nicht selten einen ausgeprägteren Geschäftssinn („business accumen“) mit, als dies so manches schnell gestrickte B2C Startup vorweisen kann

Gründer und Gründerinnen digitaler Startups sind daher gut beraten, schon bei der Geschäftsmodellentwicklung abzuwägen, ob sie ihr Geschäft nicht eher B2B statt B2C ausrichten sollten. B2B-Startups liegen aktuell deutlich stärker im Trend als B2C.

Um mit dem Handelsblatt zu sprechen: „Bei der Auswahl von Geschäftsmodellen geht es immer auch darum, was sowohl bei den eigenen Geldgebern als auch bei potenziellen Käufern oder im Fall eines Börsengangs bei Aktionären im Trend liegt. Ein Wagniskapitalgeber ist immer auch ein Händler von Hoffnungswerten.“

Gründer, die zwar eine geniale B2B-Geschäftsidee und/oder -technologie entwickelt haben, denen es aber u.U. an Know-how und Erfahrung fehlt, wie sie diese an den Markt bringen und dafür Investoren gewinnen können, sollten außerdem früh genug qualifiziertes Personal an Bord holen, das sich damit auskennt

„Man muss gute Leute reinnehmen." Und: "Man muss sich mit Erfahrung umgeben", so der Rat von Alexander Rinke, Co-CEO von Celonis dazu jüngst in der Süddeutschen Zeitung.

Neben der frühen Einstellung ausgewiesener Software-, Sales- und Finanz-Spezialisten, haben sich die drei Gründer von Celonis, die noch als Studenten die Idee zu ihrem Unternehmen hatten, gestandene Profis in ihren Beirat, den sogenannten CEO Council, geholt. Dort sitzen Menschen wie Michael Dell, Chef der gleichnamigen IT-Firma oder Keith Block, der Ex-Chef des Cloud-Konzerns Salesforce.

Wird der derzeitige Boom um die Unicorns weiter anhalten? Das bleibt abzuwarten. Während einige Medien bereits von einem fragwürdigen Boom der Tech-Firmen sprechen und eine zweite Dotcom-Blase befürchten, sehen andere Spezialisten nach wie vor erhebliches Entwicklungspotenzial nach oben.

Vermutlich liegt die Wahrheit wie so häufig in der Mitte. Marktkorrekturen sind nicht unwahrscheinlich. Die Digitalisierung wird aber weiter voranschreiten und damit auch die Chancen für neue Unicorns hochhalten.

Fakt ist, dass die Wahrscheinlichkeit für deutsche und europäische Gründerinnen und Gründer, selbst ein zukünftiges Einhorn zu schaffen, noch nie so groß waren wie heute.

Wenn, und das ist bei aller Glaskugelkuckerei entscheidend, wenn sie es wirklich ernst meinen und jenseits nur schnell dahingerotzter Geschäftsideen, bloßen Buzzwordings und Minimal Viable Products, die am Ende dann leider häufig doch nicht so recht funktionieren, wirklich hart für ihren Erfolg arbeiten und nicht einfach nur versuchen, Investoren ein X für ein U vorzumachen.

Letzteres gelingt im B2B-Bereich deutlich seltener als im B2C-Umfeld. Sicherlich einer der Gründe, warum immer mehr Investoren auch im Startup-Umfeld auf B2B setzen.

Christoph Herrmann

BESSER SCHEITERN – WIE MAN AUS FEHLERN BEI DER DIGITALISIERUNG LERNEN KANN

Der Corona-Virus gilt gemeinhin als Digitalisierungstreiber. Gleichzeitig zeigen sich in Corona-Zeiten deutliche Digitalisierungsdefizite in Wirtschaft und Verwaltung. Warum digitales Scheitern gut ist und uns weiter voranbringt.

Die Digitalisierung hat durch die Corona-Pandemie stark an Bedeutung gewonnen. Das zeigt eine repräsentative Umfrage des Branchenverbands Bitkom unter 605 deutschen Unternehmen mit 20 oder mehr Mitarbeitern.

Gleichzeitig macht die erwähnte Bitkom-Studie jedoch auch deutlich, dass viele Unternehmen erst durch die Corona-Krise die eigenen Defizite bei ihrer bisherigen Digitalisierung vor Augen geführt werden. Am Ende wachse in Corona-Zeiten die Gefahr, dass die digitale Spaltung in der Wirtschaft weiter zunehme, da nicht alle Unternehmen gleichermaßen in der Lage seien, ihre Digitalisierungsanstrengungen zu intensivieren.

Was für die Wirtschaft gilt, gilt erst recht für Politik, öffentliche Verwaltungen und die Gesellschaft allgemein. Während einige Politiker, öffentliche Institutionen und gesellschaftliche Einrichtungen erstaunlich gut mit den digitalen Herausforderungen in Lock-Down-Zeiten zurechtgekommen sind, hat man in vielen Bereichen in den vergangenen Monaten auch das große digitale Scheitern erlebt.

Wer deshalb gleich laut lamentiert und dem Digitalstandort Deutschland ein schlechtes Zeugnis ausstellt, übersieht eines: Scheitern gehört nicht nur zur Digitalisierung dazu. Es ist sogar essentiell, um wichtige digitale Lernprozesse zu initiieren.

Dies belegt u.a. eine Studie des Beratungsunternehmens Accenture, der zufolge 80 Prozent aller Digitalisierungsprojekte noch in der Pilotphase abgebrochen werden oder nicht erfolgreich sind. Ähnliche Zahlen liefert der Chaos Report, den die Standish Group seit 1994 herausgibt und in dem jedes Jahr mehrere Zehntausend IT-Projekte evaluiert werden. Nur circa ein Drittel davon wird mit Erfolg abgeschlossen, in gut der Hälfte gibt es Probleme und 20 Prozent scheitern demnach komplett.

Scheitern gehört also bei Digitalisierungsprojekten definitiv dazu. Die Frage ist nur, wie man aus den dabei gemachten Fehlern lernt. „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“, so formulierte dies der bekannte irische Schriftsteller Samuel Beckett einmal.

Und auch, welche Vorkehrungen man vor vornherein trifft, um genau solche Lernprozesse zu ermöglichen und die Wahrscheinlichkeit totaler Ausfälle zu minimieren.

Genau hierin besteht gerade in Zeiten von Scrum und erhöhter Agilität eine besondere Herausforderung: Gerade komplexe Digitalisierungsprojekte benötigen einer sauberen Vorbereitung, systematischen Konzeption, detaillierten Planung und iterativen Erfolgskontrolle.

Darin, dass das heute quasi nicht mehr notwendig sei und man sich digitalen Lösungen am besten in Form eines kreativen Vorrobbens oder Herantastens nähern könne, besteht vermutlich eines der größten Missverständnisse der Digitalisierung.

Diverse Studien belegen inzwischen, dass hybride Vorgehensweisen, die Ansätze aus der alten Wasserfall-Welt mit Scrum-Elementen verknüpfen, deutlich erfolgreicher sein können als rein agile oder einseitig konservative Methoden.

Das beweisen nicht zuletzt die vielfach zitierten Vorreiter der Digitalisierung wie Amazon, Apple, Google/Alphabet, Tesla etc. selbst. Diese sind viel weniger Helden des kreativen Chaos als Hochleistungsmaschinen, in denen mit hohem Steuerungsaufwand systematisch Innovation betrieben wird.

Und genau in dieser Disziplin, der systematischen Innovation nämlich, sind deutsche Unternehmen ja bekanntermaßen gar nicht so schlecht, sondern sogar ziemlich gut. Durchaus Zeit also, sich auch in Digitalisierungsprojekten einmal auf alte Tugenden zurück zu besinnen. Allemal besser, als nur die inzwischen längst überholte Leier zu wiederholen, im Silicon Valley sei sowieso alles besser.

Nicht ohne Grund verlassen immer mehr Tech-Unternehmen inzwischen Kalifornien. Der Exodus dort hat nicht nur mit überhöhten Mieten, einer schlechten Infrastruktur und Corona zu tun. Er ist letztendlich auch Ausdruck eines gesunden Lernprozesses, demzufolge Digitalisierung heute von überall auf der Welt aus erfolgreich betrieben werden kann. Wenn man dieser mit der richtigen Offenheit wie selbstkritischen Bodenhaftung begegnet.

Anlass genug, das eigene Digital-Setup gerade in Corona-Zeiten einer selbstkritischen Prüfung zu unterziehen und sich zu überlegen, was man in dieser Hinsicht zukünftig besser machen kann oder sogar muss. „Je digitaler ein Unternehmen, desto besser kommt es durch die aktuelle Krise. Deshalb sollten die Digitalisierungsanstrengungen jetzt auf keinen Fall zurückgefahren, sie müssen gerade in der Krise verstärkt werden“, so Bitkom-Präsident Achim Berg im November 2020.

Unternehmen, die sich das für 2021 noch nicht auf die Agenda geschrieben haben, sollten das schleunigst tun.

Wie eine Untersuchung der Beratungsfirm Deloitte jüngst gezeigt hat, liegt es letztendlich an den Unternehmen selbst, wie sie sich auf die Zeit nach Corona vorbereiten. Während sich manche Unternehmen darauf auszuruhen scheinen, dass einige ihrer Wettbewerber durch die Krise vom Markt verdrängt werden, und ansonsten auf Kostenreduzierungen fokussiert sind, planen führende Unternehmen für die Zeit nach der Krise und investieren aktuell massiv in digitale Themen wie neue digitale Geschäftsmodelle und Technologien, digitale Lieferketten und den digitalen Vertrieb.

„In dieser Botschaft steckt eine Chance und zugleich eine Warnung für die Unternehmen, die bislang noch nicht ihre Digitalisierung priorisiert haben. Es ist an ihnen, auf die bereits beschrittenen Wege der digitalen Pioniere einzuschwenken, um weitere finanzielle Nachteile zu vermeiden", so Deloitte im Fazit seiner Studie.

Was digitale „Lame Ducks" von „digitalen Pionieren" unterscheidet, ist nicht zuletzt eine mangelnde Fehlerkultur, was uns wieder zum Ursprungsthema der Vorteile kreativen Scheiterns zurückbringt. Mehr Mut zum Ausprobieren und zu Fehlern gemischt mit systematischen Herangehensweisen ist gerade in schwierigen Zeiten das, was Unternehmen nach vorne bringt.

„Besser scheitern" kann also durchaus eine Voraussetzung für zukünftige Erfolge sein. Insofern man aus unvermeidbaren Fehlern schnell lernt und durch iterative Verbesserungsschleifen die Voraussetzungen dafür schafft, zukünftig weniger digital zu scheitern, sondern gezielt erfolgreich zu sein.

Wer das nicht alleine hinkriegt, sollte sich nicht zu schade sein, dabei externe Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Kooperationsbereitschaft und die Zusammenarbeit in Netzwerken sind nicht nur Eigenschaften, die für den zukünftigen Digitalisierungserfolg immer wichtiger werden. Sie zählen auch zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren, die den deutschen Mittelstand bereits in der Vergangenheit stark gemacht haben.

Eine erfolgreiche Digitalisierung kann daher häufig auch erst dann wirklich beginnen, wenn man sich auf verloren gegangene Tugenden zurückbesinnt und das eigene Phlegma überwindet.

Christoph Herrmann

MARKETING AUTOMATION - Wenn Marketing zur Maschine wird

Marketing war lange eine stark analoge Disziplin. Durch die Digitalisierung ändern sich inzwischen aber nicht mehr nur die Kanäle, über die das Marketing seine Botschaften am Markt platziert. Auch die Arbeitsweisen im Marketing verändern sich damit grundlegend.

2 Nachrichten aus den letzten Wochen lassen in dieser Hinsicht aufhorchen:

Zum einen hat der Zentralausschuss der deutschen Werbewirtschaft ZAW jüngst seine Marktprognose für 2020 veröffentlicht. Demnach ist der digitale Anteil am Werbemarkt inzwischen auf > 40% gestiegen.

Rechnet man die nicht-werblichen Anteile im Marketing hinzu, z.B. das Customer Relation Management sowie Events, Messen, Schulungen und das Handelsmarketing, die in CORONA-Zeiten ebenfalls zunehmend in digitale Räume wandern, so liegen inzwischen deutlich über 50% der Marketingaufwendungen von Unternehmen im digitalen Bereich.

Zum anderen hat eine Pressemitteilung der BMW Group vor einigen Wochen für einige Unruhe in der deutschen Marketingszene gesorgt: Demnach hat die BMW Group jüngst ihre europaweiten Marketingaktivitäten für die Marken BMW und MINI neu aufgestellt und unter dem Namen THE ENGINE gebündelt.

Mit THE ENGINE soll eine „hocheffiziente Höchstleistungsmaschine aufgebaut“ werden, „die sowohl für die Marke BMW als auch für MINI eine individualisierte und moderne Kundenansprache über alle Touchpoints hinweg unterstützt. (…) Hierfür werden die klassischen, aber jetzt auf Hightech-Format zu bringenden Marketing-Disziplinen – Strategie, Kreation und Produktion – vollintegriert ergänzt um alle relevanten Aspekte der Customer Journey. Konkret sind das alle Aufgaben aus den Bereichen des datengetriebenen Performance Marketings und der Analytik, der Marketing-Automatisierung, der Programmatic Media sowie der Unterstützung bei Customer Relationship Management“, so Jens Thiemer, Senior Vice President Kunde & Marke BMW. „Zudem bündeln wir die Verantwortungen im Bereich Web Operations & E-Commerce in unserem neuen Agentur-Betriebssystem.“

Fasst man die Essenz dieser beiden Nachrichten zusammen, dann wird deutlich:

Das Marketing wird nicht nur immer digitaler. Es ist heute bereits mehrheitlich digital. Und: Mit der Digitalisierung ändern sich nicht nur die Kanäle, über die Marketingbotschaften am Markt und bei den Kunden platziert werden, sondern auch die Arbeitsweisen.

Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist das der „Marketing Automation“. Der Begriff steht laut Wikipedia für „für eine softwaregestützte Methode um Marketingprozesse zu automatisieren. Dabei werden Nutzerprofile basierend auf deren Nutzerverhalten mit Informationen angereichert, um automatisierte Kampagnenprozesse für individuelle Kommunikation einzurichten.“

Die meisten Lösungen für Marketing-Automation „kombinieren Funktionalitäten aus CRM-Systemen, Web-Analyse, E-Mail-Marketing, Social-Media-Werbung sowie Retargeting.“ Sie „setzen ihren Schwerpunkt im sogenannten Lead-Nurturing. Der Lead-Nurturing-Prozess beginnt mit der Leadgenerierung. Darüber hinaus gibt es aber auch noch ganzheitlichere Systeme, die neben den genannten Funktionalitäten auch Funktionen zur Landingpage-Erstellung, Conversion-Optimierung und Content-Erstellung beinhalten.“

Das klingt immer noch nach einem Szenario primär für die digitale Welt. Längst schon aber arbeiten führende Marketeers wie BMW daran, digitale und realwirtschaftliche Customer Journeys und Experiences konsequent miteinander zu verknüpfen und immer stärker zu standardisieren und zu automatisieren, auf der Basis integrierter cloud-basierter Planungs-, Steuerungs-, Produktions-, Content-, CRM-, Ausspielungs- und Analyseplattformen.

Ein „Role Model“ für die ganze Marketingwelt? Dass sich das Marketing immer stärker in diese Richtung entwickeln wird, steht außer Zweifel. Die Frage ist nur, welche Herausforderungen auf diesem Weg noch zu meistern sind. Die sind nämlich nach wie vor nicht unerheblich. Hier auf die Schnelle die wichtigsten sechs, die dabei aus unserer Sicht zu beachten sind:

1. Technik + Recht

Marketing Automation stellt hohe Anforderungen an die technische Systemlandschaft eines Unternehmens wie auch an die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorschriften. In beiden Bereichen existieren aber häufig nach wie vor große Defizite in vielen Unternehmen.

Kundendatenbanken haben heute die meisten Unternehmen. Nur darf man diese auch wirklich vollumfänglich für automatisierte Kampagnen verwenden? Und wie sieht es mit den Schnittstellen zwischen Planungs- & Controlling-Tools, CRM-Datenbank, Marketing-Plattformen (wie Eloqua oder Hubspot), ERP-/PMI-/DAM-/CMS-Systemen und der jeweils verwendeten Analysesoftware aus?

Meist bestehen hier erhebliche Defizite, was das Umsetzen wirklich automatisierter Customer Experiences in vielen Unternehmen zur großen Herausforderung macht.

2. Transparenz

Ein großes Versprechen, das mit der Marketingautomatisierung einhergeht, ist das größerer Transparenz im Marketing. Aktuell ist aber leider häufig eher das Gegenteil davon festzustellen. Viele Marketingentscheider sind von der Vielzahl der Daten, die sie von den verschiedenen Marketing-Systemen, mit denen sie arbeiten, erhalten, schlichtweg überfordert.

Hinzu kommt eine massive Intransparenz im Hinblick auf die notwendigen und verfügbaren technischen Lösungen, die es braucht, um ein funktionierendes automatisiertes Marketingsystem zu schaffen und mit Leben zu erfüllen, selbst wenn man dieses „from the scratch“ neu aufbauen will.

Hier braucht es meist umfangreiche Expertise von außen, um nicht auf das falsche Pferd zu setzen und um Lösungen zu entwickeln, die auch wirklich zu dem eigenen Bedarf passen.

3. Integration + Fokus

Selbst in Zeiten von Automatisierung und kundenindividueller Ansprache bleiben Integration und die Fähigkeit, sich in der Kundenansprache auf wesentliche Aspekte zu fokussieren, eine zentrale Herausforderung.

Viele Praxisbeispiele die wir kennen, nutzen Lead-basierte Marketing Systeme leider viel zu häufig dazu, tages-, zielgruppen- und/oder kundengruppenindividuell neue kommunikative Versuchsballons zu starten, statt integrierte Marketingprogramme umzusetzen.

Kundenindividualität und Targeted Campaigning sind gut. Sie dürfen aber nicht den eigentlichen Marketingzielen und der Markenstrategie eines Unternehmens entgegenlaufen.

4. Organisation + Personal

Ob automatisiert oder nicht automatisiert: Ein integriertes Marketing scheitert meist schon daran, dass die organisatorischen Hürden zwischen Vertrieb, klassischem Marketing, Web- & Online-Kommunikation etc. immer noch beachtlich sind.

Vielen Unternehmen fehlt es darüber hinaus an Fachexperten, die sich nicht nur mit den neuen technologischen Systemen auskennen, sondern darüber hinaus auch verstehen, wie man diese sinnvoll im Kontext eines zielführenden, integrierten und effizienten Marketings einsetzen soll.

5. Kreativität

Gutes Marketing lebt neben Rationalität selbst in digitalen Zeiten immer auch noch von Kreativität. Insofern ist es sehr interessant, dass BMW in seiner neuen ENGINE einen Technikdienstleister, eine Kreativagentur und eine Strategieberatung unter einem Dach zusammenzubringen versucht.

Ob das am Ende funktionieren wird, bleibt abzuwarten. V.a. wird es interessant sein zu sehen, wie es dem Kreativpart Mediamonks gelingt, die Marketingmaschine die BMW da aufsetzt, derart mit kreativem Content zu füttern, das nicht nur „kreative Eintagsfliegen“ dabei herauskommen, sondern tatsächlich integrierte Markenerlebnisse, die die Kunden begeistern.

6. Effizienz

Die sicherlich größte Herausforderung, die wir im Bereich Marketing Automation sehen, ist das der Effizienz. Das Marketing hat unserer Meinung nach in dieser Hinsicht in vielen Unternehmen erheblichen Nachholbedarf. Doch nur wie misst man diese Effizienz und welche KPIs werden dabei berücksichtigt?

Tatsache jedenfalls ist, dass viele digitale Kampagnen die wir kennen, trotz aller angeblichen ROI-Optimierung immer noch über erhebliche kontraproduktive Nachlaufeffekte verfügen. Tatsache ist auch, dass sich immer wieder erhebliche Differenzen feststellen lassen zwischen kurzfristigen primär auf Leads orientierten Marketingaktionen und solchen, die nachhaltig realen Kundenbedürfnissen entsprechen und die Markenbeziehung festigen.

In all diesen sechs Bereichen besteht erheblicher Nachholbedarf. Marketing Automation ist daher tatsächlich ein interessanter Trend. Aber einer, von dem die Marketingrealität in den meisten Unternehmen noch meilenweit entfernt ist. Und der sich nur dann wirksam für das eigene Unternehmen nutzen lässt, wenn dabei die oben benannten sechs Herausforderungen gelöst werden.

Die meisten Unternehmen sind dabei auf externe Unterstützung angewiesen. Ihnen fehlt schlichtweg der dazu notwendige Marktüberblick und eine hinreichende Inhouse-Fachexpertise.

Marketing-Entscheider sollten jedoch bei der Auswahl entsprechender Dienstleister, die sie in diesem Prozess unterstützen, vorsichtig sein. Marketing Automation ist ein perfektes Spielfeld, um die ohnehin schon recht komplizierte Systemlandschaft in den meisten Unternehmen noch weiter aufzublasen und um weitere teure Softwarelösungen zu ergänzen.

Besser, man verschafft sich mit Hilfe externer Experten erst einmal einen guten Marktüberblick und überlegt genau, wie die eigene Marketing-Automatisierungs-Roadmap zukünftig aussehen soll. Dann lassen sich auch die eigenen Marketing-Automatisierungsprojekte am erfolgreichsten und meist auch zu deutlich geringeren Kosten umsetzen.

Christoph Herrmann

POST-COVID-19 DIGITALIZATION – Kann isch WhatsApp kann isch Internet

Der SARS-CoV-2-Virus hat die Welt ordentlich durcheinander gerüttelt. Ist das nur ein Problem oder auch eine Chance? Was bedeutet das für die weitere Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft?

In Unternehmen, Beratungen und unter Investoren kursiert derzeit ein neues Modewort, das Psychologen, Trainer und Coaches schon lange für sich claimen:

Das der Resilienz (engl. Resilience).

Resilienz bedeutet im Deutschen soviel wie Belastbarkeit, Widerstandsfähigkeit, Spannkraft und Flexibilität im Umgang mit schwierigen Situationen.

Ursprünglich aus dem Bereich der Naturwissenschaften kommend, hat der Begriff inzwischen Eingang in viele Bereiche gefunden, wie z.B. die Psychologie, Politik, Architektur/Städteplanung und eben auch die Wirtschaft.

Kein Wunder also, dass das Thema „Resilienz“ im Kontext von COVID-19 starken Aufwind erfährt und dabei direkt mit dem Thema Digitalisierung verknüpft wird.

So hat bspw. die internationale Beratungsgesellschaft DELOITTE vor kurzem in einem Grundsatzpapier die fortschreitende Digitalisierung als eine wesentliche Voraussetzung für die Stärkung der Widerstandskraft von Unternehmen in schwierigen Zeiten wie Corona ausgemacht.

Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass sich der Trend zu mehr Digitalisierung auch in der bevorstehenden „Post-COVID-19“ Recovery Phase weiter fortsetzen wird.

Und Accenture sieht die aktuelle Krise gar als Chance, um die Unsicherheit mittels neuer innovativer und digitaler Ansätze quasi komplett „auszumanövrieren“.

Ohne Zweifel, wird COVID-19 das Digitalisierungsthema weiter nach vorne pushen. Von Video Meetings, Distant Learning und dem Digital Home Office über E-Commerce, M-Commerce und Home Delivery bis hin zu “enhanced digital customer services“ und zunehmend digitalisierten Wertschöpfungsketten…

Der Digitalisierungstrend ist nicht mehr aufzuhalten.

Bedeutet dies aber auch, dass in der Digitalisierung die Lösung auf alle Herausforderungen der Gegenwart schlechthin zu suchen ist? Und vielleicht noch wichtiger: Sind wir auf den kommenden Digitalisierungsboom überhaupt richtig vorbereitet?

Steve Andriole, Digitalisierungsexperte und Professor of Business Technology an der Villanova School of Business (USA) hat jüngst in seinem FORBES-Blog eine pointierte Replik zum aktuellen Digitalisierungshype gepostet:

„Everyone predicts that all business goes digital after COVID-19. Easy call, but is digital ready? Not at all. Let’s match expectations with capabilities.”

Ganz ähnlich hat Sebastian Matthes, Head of Digital beim Handelsblatt, bereits im April 2020 festgestellt:

„Es ist naiv zu glauben, Deutschland werde allein dadurch digitaler, weil Millionen Menschen lernen, wie die Kamera ihres Rechners funktioniert. Was wir erleben, ist kein Digitalisierungsschub, es ist eine Pseudo-Digitalisierung des Alltags, bei der einige Tools aus Alternativlosigkeit in den Fokus geraten.“

Auf den Punkt gebracht: Was nützt der Ruf nach mehr Digitalisierung und nach mehr öffentlicher Unterstützung dieses Trends, wenn Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, technische Infrastrukturen, Manager und Mitarbeiter immer noch alles andere als „digital ready“ sind.

Das zeigt sich nicht nur der naive Umgang, den leider immer viele Politiker und leider auch einige Unternehmen im Umgang mit der Digitalisierung an den Tag legen (Philip Amthor und Augustus Intelligence lassen grüßen).

Jens Glutsch, Informatiker und Blogger hat dies in seinem Blog „Manufaktur für digitale Selbstverteidigung“ folgendermaßen zugespitzt:

Sind wir nun alle „Digital Native“ oder im Grunde eigentlich nur „Digital Naive“???

Im Jugend-Slang formuliert: „Kann isch WhatsApp – bin isch Internet.“ Oder etwa nicht?

Eine konsequente Digitalisierung bedeutet tatsächlich deutlich mehr als nur der Ruf nach mehr iPads, Laptops an Schulen und Universitäten, die konsequente Nutzung von Apps, Clouds oder Social Media oder das Arbeiten bei bzw. Investieren in digitale Startups.

Dazu braucht es auch grundsätzliche Veränderungen in unseren Denk- und Arbeitsweisen sowie konkrete Vorstellung davon, was man mit all den Kapazitäten zukünftig anfangen will, die die Digitalisierung naturgemäß freisetzen wird.

Vor allem aber kann die Digitalisierung alleine kein Allheilmittel für den Weg aus einer Krise wie der aktuellen sein. Das zeigt übrigens auch die moderne Resilienzforschung.

Der Mensch, unsere Umwelt, die Gesellschaft, Wirtschaf, Politik und auch die Unternehmen und ihre Manager und Managerinnen sind nicht einfach nur Gummibälle, die kreativ jede Krise einfach nur so abfedern können.

Im Gegenteil: Wer im Kontext von Krisenbewältigung und Digitalisierung das Bild des Gummiballs zu stark bedient, verhindert unter Umständen sogar, dass man dadurch notwendige tieferliegende Reformen anstößt.

Der Begriff der „Resilienz“ ist daher auch im Kontext der Digitalisierung, mit oder ohne COVID-19, nur dann wirklich hilfreich, wenn er mit wirklichen Veränderungen einhergeht und diese nicht sogar verhindert.

„Macht den Leuten nichts vor“, hat der frühere Twitter-Mitarbeiter Panos Meyer Unternehmen bereits im Juli 2019 ins Gebetbuch geschrieben, bevor von COVID-19 überhaupt etwas zu spüren oder zu sehen war.

Und weiter:„Digitalisierung ist keine Cupcake-Party!“.

„Nein, Veränderung ist nicht immer nur Spaß. Und nein, in Zukunft werden wir nicht alle im Home Office sitzen, drei Stunden am Tag arbeiten und dabei auch noch ein Schweinegeld verdienen. Wer solche Erwartungen weckt, der agiert entweder maximal unwissend oder maximal unseriös. (…).“

Er schließt seinen Beitrag mit einer Aufforderung, der gerade in diesen herausfordernden Zeiten wenig hinzuzufügen ist:

„Liebe Konzerne, liebe Mittelständler, gebt den Leuten das echte Leben, zeigt euch mal ungeschminkt, lasst wirkliche Diversität und nicht nur ein paar hippe Corporate Influencer für euch sprechen. Lasst euch nicht einschüchtern von den Generation-Y-Flüsterern, seid selbstbewusst und kuscht nicht so devot vor den vermeintlichen neuen Anforderungen kommender Generationen. Spart euch die uniforme Hdgdl-Digitalisierung, die ihr auf Twitter, Instagram und LinkedIn aufführen lasst - sie ist ein Zerrbild, eine radikale Fehlannahme, die langfristig nur Enttäuschung produzieren wird.

Achtet stattdessen darauf, dass ihr den Arbeitsalltag für eure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (…) zum Positiven verändert, dass ihr Prozesse und Strukturen fit für das digitale Zeitalter macht, dass ihr die Digitalisierung ernsthaft betreibt und sie nicht nur inszeniert. Erzählt den Menschen, wie mühsam Innovationen wirklich entstehen, wie weh Veränderungen tun können. Erzählt den Leuten, dass es Arbeit ist. Und hört auf, ihnen etwas vorzumachen. Denn Digitalisierung ist harte Arbeit - und das wird fürs Erste auch so bleiben.“

Christoph Herrmann

DIGITALE LÄUTERUNGEN – BESSERER WANDEL MIT SUBSTANZ

Das Jahr 2020 hat beste Chancen später einmal als Jahr der Läuterungen in die Geschichte einzugehen. Die Wirtschaft zeigt sich zunehmend selbstkritisch. Was kann man daraus lernen?

Greta, Fridays for Future und der Klimawandel, Me-Too, Frauenrechte und die Forderung nach mehr Diversity in Vorständen und Aufsichtsräten, ein verstärktes soziales Bewusstsein, Mitarbeiter-Orientierung und ein moderner Führungsstil: Das moderne Management gibt sich zunehmend weltoffen, aufgeklärt und selbstkritisch.

Davos 2020 hat hier einen neuen Höhepunkt gesetzt: “Capitalism as we have known it is dead,” so lautet nicht etwa eine neue Parole der LINKEN, sondern eine Kernbotschaft von Marc Benioff, CEO von SALESFORCE, in Davos. “This obsession that we have with maximising profits for shareholders alone has led to in credible inequality and a planetary emergency. (...) Und weiter: “Stakeholder capitalism is finally hitting a tipping point.”

Dieses neue Denken schlägt sich auch im Anfang des Jahres veröffentlichten „Davos Manifesto“ des World Ecoomic Forums nieder, wobei das WEF gleich unter Punkt 1 die Brücke zur Digitalisierung schlägt:

„A company serves its customers by providing a value proposition that best meets their needs. It accepts and supports fair competition and a level playing field. It has zero tolerance for corruption. It keeps the digital ecosystem in which it operates reliable and trustworthy. It makes customers fully aware of the functionality of its products and services, including adverse implications or negative externalities.“

Wie bereits verschiedentlich in diesem Blog festgestellt, sind es zunehmend die Vorreiter und Profiteure der Digitalisierung selbst, die eine geläuterte Grundhaltung zu Themen wie Datenökonomie und künstliche Intelligenz entwickeln, so beispielsweise Brittany Kaiser, die mehrere Jahre als Business Development Director für Cambridge Analytica arbeitete, bevor sie zur Aktivistin für ein besseres Digitalwirtschaft und -gesellschaft wurde.

„Initium operum bonorum, confessio est operum malorum“ („Der Beginn der guten Werke ist das Bekenntnis der bösen Taten“) so lautet ein moralischer Leitspruch der christlichen Kirche, der verstärkt auch in Management-Kreisen in Mode gekommen zu sein scheint.

Doch was kommt danach? Was tun Unternehmen wirklich, um von der bloße Läuterung zu einem besseren Digitalmanagement überzugehen?

Vermutlich nicht genug. Schaut man sich die Realität in vielen Unternehmen an, dann ist man doch verwundert, wie weit Wunsch und Wirklichkeit im Hinblick auf ein modernes und aufgeklärtes digitales Führungsverständnis immer noch auseinanderklaffen.

Zwar zeigen verschiedene aktuelle Studien von BDI, Bitkom über die Telekom bis hin zum VDE, dass deutsche Unternehmen, zunehmend in der Digitalisierung angekommen sind.

Allerdings gibt es immer noch erhebliche Defizitbereich, so etwa das deutsche Unternehmen in der digitalen Grundlagenforschung häufig Spitze sind, weniger aber bei der Umsetzung und der Fähigkeit, die Innovationen auch entsprechend in erfolgreiche Geschäftsmodell umsetzen zu können.

Auch im Bereich digitaler Unternehmensgründungen hängt Deutschland nach wie vor hinterher. So haben deutsche Startups in 2019 zwar soviel Geld eingesammelt wie nie zuvor, nämlich laut EY 6,2 Milliarden €.

Ein Großteil davon floss allerdings in Megadeals wie z.B. Flixmobility, die alleine 500 Mio.  € einsammeln konnten.

Die schiere Summe kann daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gründungsaktivitäten in Deutschland seit Jahren stagnieren bzw. rückläufig sind wie u.a. der KfW-Gründungsmonitor zeigt.

Verschärfend kommt hinzu, dass einige Großunternehmen, wie z.B. Daimler oder Bosch, die in den vergangenen Jahren zu den Vorreitern im Bereich Corporate Venture Building gehört haben, inzwischen einen Teil ihrer Startup-Initiativen wieder zurückzufahren scheinen, nicht zuletzt deshalb, da sie in den letzten Jahren bei dem einen oder anderen Investment ordentlich Lehrgeld bezahlt haben.

Und auch in Sachen Ethik besteht allen Unkenrufen von den schönen neuen digitalen Arbeitswelten zum Trotz weiterhin Nachholbedarf wie nicht zuletzt das reichlich defizitäre Thema Geschlechtergerechtigkeit im Startup-Kontext belegt. So sucht man bspw. Frauen in den Führungsriegen vieler Startups nach wie vor vergebens und auch unter den Gründern selbst machen sich Frauen nach wie vor rar. So liegt der Anteil der Start-up-Gründerinnen laut Female Founders Monitor gerade einmal bei etwas über 15 Prozent. Tendenz minimal steigend.

Ursächlich hierfür ist nicht zuletzt, dass leider auch im Startup-Umfeld Frauen nach wie vor benachteiligt werden. Frauen zählen in der Tech-Branche wenig, so das Online-Portal Gründerszene. Auch bei deutschen Risikokapitalgebern finden sich fast keine Partnerinnen. Das schreckt andere Frauen ab, die sich ein Engagement in diesem Umfeld sonst vielleicht sehr gut vorstellen könnten.

Was kann man aus all dem lernen?

Zum einen, dass eine nach außen getragene Läuterung natürlich nicht ausreichend ist, um in der Substanz etwas zu verändern. Die digitale Transformation bedingt neben mehr Bits und Bytes eben auch eine wirkliche Veränderung in den Führungssystemen von Unternehmen.

Mehr „Innovation“, mehr „Vertrauenswürdigkeit“ und „Zuverlässigkeit“ in digitalen Umfeldern, mehr „Bewusstsein für negative Externalitäten“, „mehr Nachhaltigkeit“ etc., wie bspw. das World Economic Forum fordert, schafft man dann am besten, wenn auch die Leadership in Unternehmen eine andere wird. Nicht im Sinne einer fragwürdigen Holocracy oder überzogener Wohlfühlkulturen, die am Ende falsche Erwartungshaltungen schaffen, statt wirklich zu motivieren.

Sondern im Sinne einer ehrlichen und glaubwürdigen Führung, die Risiken ernst nimmt, Mitarbeiter tatsächlich motiviert und auch neues wagt, ohne dabei in Naivität zu verfallen.

Was es vor allem braucht, ist tatsächlich also mehr Bodenhaftung im Umgang mit dem Neuen, eben Wandel mit Substanz.

Vielleicht ist das einer der wichtigsten Learnings, die man beispielsweise von Unternehmen wie DAIMLER lernen kann: Bunte Turnschuhe, ein neuer Look des CEO und ein Haufen kreativer Startup-Initiativen können manchmal wichtig sein, um einem Unternehmen deutlich zu machen, dass es sich intern verändern muss. Sie reichen aber keineswegs aus, um die notwendige digitale Transformation in deutschen Unternehmen wirklich zum Erfolg zu führen.

Viel wichtiger ist es, die Strukturen im Unternehmen selbst zu transformieren und das Kerngeschäft fit für die Zukunft zu machen. DAIMLER hat das mit dem Antritt des neuen CEO Ola Källenius selbst erfahren müssen.

Die Startup-Show eines Dieter Zetsche war sicherlich auch nicht ganz unwichtig, um das Stuttgarter Mercedes-Management aus der Comfort-Zone zu bringen und offen für Neues zu machen. Noch wichtiger ist aber sicherlich der Umbau des Kernunternehmens selbst, so wie es Ola Källenius aktuell vorantreibt.

Digitalisierung, Elektromobilität, neue flexiblerer Angebotsmodelle, mehr digitale Services für neue Kundengruppen etc. pp., all das gibt es nicht umsonst, sondern braucht eben auch einen Strukturwandel im Unternehmen selbst.

Vor allem aber auch einen Abschied von den alten Selbstgefälligkeiten im Management, die gerade die Automobilindustrie in den letzten Jahren viel zu häufig an den Tag gelegt hat.

Unternehmen anderer Branchen sind gut beraten, daraus zu lernen, am besten in dem sie die Digitalisierung als substanzielles Change Projekt begreifen, das eben nicht bei disruptiven Startup-Projekten mit Hype-Charakter stehen bleiben darf, sondern das Unternehmen in seinem Kern erfassen und fit für die Zukunft machen muss.

Christoph Herrmann

GROUNDED INVESTING - VENTURE CAPITAL MIT BODENHAFTUNG

Glaubt man den Medien, dann befindet sich Deutschland aktuell auf dem Weg in die Rezession. Was bedeutet das für die Startup-Szene in Deutschland und die Bereitschaft von Risikokapitalgebern, diese zu unterstützen?

Spricht man dieser Tage mit Startups und Investoren, dann hört man dort vermehrt Stimmen, die davor warnen, die Party könnte angesichts der drohenden Rezession vielleicht schon bald vorbei sein.

So macht der Branchenverband BITKOM aktuell eine zunehmend Skepsis unter Startups aus. Auch der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften BVKAP diagnostiziert „einen deutlichen Stimmungsdämpfer auf dem deutschen Beteiligungskapitalmarkt“.

Geht den Startup Boy Goups also bald genauso die Kohle aus, wie ihnen das bereits Anfang der Nuller-Jahre passiert war?

Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Wer nach der Dot-Com Blase 2000 und der Finanzkrise 2008 nun bereits zum dritten Mal erlebt, wie nach dem Rausch der Kater droht, ist leicht versucht in diese Skepsis einzustimmen.

Dass bei solchen Einschätzungen Vorsicht geboten ist, zeigt bereits der Blick auf die jeweils sehr unterschiedlichen Ursachen der genannten Krisen. Während es sich 2000 um eine tatsächliche Dot-Com-Blase gehandelt hat, waren 2008 Subprimes Schuld an der Misere. Aktuell sind es v.a. die Handelskonflikte zwischen USA und China, welche die Wirtschaft nach unten ziehen, also Faktoren, die außerhalb der Startup-Szene angesiedelt sind.

Allerdings gibt es auch im Startup-Bereich durchaus Überhitzungstendenzen. Schuld daran ist nicht zuletzt der deutliche Nachfrageüberhang nach interessanten Investitionsoptionen: „Die Nachfrage nach attraktiven Übernahmekandidaten – nicht nur in der digitalen Welt – ist deutlich höher als das Angebot. Vor allem OEMs und Zulieferer lechzen nach Innovationen, „jedoch (…) finden sie oft nicht die entsprechend ausgereiften Lösungen und Geschäftsmodelle, die sie dringend brauchen, um das Innovationstempo, das auch die Tech-Industrie vorgibt, halten zu können.“

Die Konsequenz daraus: Es wird investiert was das Zeug hält. Leider auch in solche Startups, die nicht halten, was sie versprechen. Noch immer scheitern schließlich neun von zehn Unternehmensgründungen. Was bei manchen Investoren inzwischen zu einem deutlich umsichtigeren Investitionsverhalten geführt hat.

Dass deshalb die Investitionsbereitschaft sinken würde, lässt sich allerdings so nicht ausmachen.

De facto wurde in Deutschland noch nie soviel in Venture Capital investiert, wie in den Jahren 2017 und 2018. Und auch in der ersten Jahreshälfte 2019 wurde mit einem Plus von 13% beim Transaktionsvolumen ein neuer Rekord erreicht.

Und dass, obwohl das VentureCapital-Magazin bereits 2016 verkündete, Venture Capital Geber würden vorsichtiger und die Wirtschaftswoche propagierte, der Wagniskapital-Boom in Deutschland sei endgültig vorbei.

Auch in jüngster Zeit mehren sich die Stimmen, die behaupten, der Wagniskapital-Boom neige sich dem Ende zu und der Startup-Hype stoße an seine Grenzen. Haben also all die Skeptiker Recht, die beklagen, Deutschland sei kein Startup-Land und riskiere den Anschluss zu verlieren?

Richtig ist, dass die Startup-Investitionen in Deutschland im europäischen Vergleich nach wie vor unter dem Durchschnitt liegen. Richtig ist aber auch, dass die Spendierhosen zumindest für einen Teil der Startups in Deutschland noch nie so locker saßen wie heute.

Andererseits tun sich viele Neugründer nach wie vor schwer damit, das nötige Startkapital aufzutreiben. Laut dem Branchenverband BITKOM fehlen diesen je nach Mitarbeiterzahl zwischen 770 TSD € (bei 1-3 Mitarbeitern) und 10,8 Mio. € (bei 20 und mehr Mitarbeitern).

Diese scheinbar widersprüchlichen Fakten belegen: Auch das Thema Risikokapital besitzt eben nicht nur eine quantitative sondern eben auch eine qualitative Dimension. Will heißen: Es wird nach wie vor kräftig investiert. Nur wird eben genauer hingeschaut, worein man investiert, weshalb sich die Streu mehr denn je vom Weizen trennt.

Das ist gut so. Zu unvorsichtig hat so mancher Venture Capital Geber in den letzten Jahren investiert, angespornt von Negativzinsen, einfachen Refinanzierungsmöglichkeiten und der Lust am Einsammeln von Spekulationsgewinnen mit Unternehmen, die zwar noch nie Gewinn erwirtschaftet haben, aber bei einem Börsengang Millionensummen einsammeln.

Inzwischen wird wieder genauer hingeschaut. Und mehr „Grounded Investing“ betrieben., sprich in solche Startups investiert, die weniger auf Show, Scheinwelten und Buzzwording setzen, sondern auf unique Technologien, funktionierende Unternehmensstrukturen, saubere Geschäftsprozesse und ein belastbares Geschäftsmodell.

Vor allem die wachsende Zahl der Corporate Venture Kapitalgeber angefangen bei Automobilunternehmen wie DAIMLER oder VW, Pharmaunternehmen wie z.B. MERCK oder BOEHRINGER-INGELHEIM und Finanzkonzerne wie z.B. ALLIANZ und COMMERZBANK, über Medienhäuser wie AXEL SPRINGER oder BERTELSMANN, bis hin zu Gebrauchsgüter-unternehmen wie BOSCH oder MIELE , Prop- & ConstructionTech-Investoren wie SCHÜCO oder INTERHYP/HW CAPITAL und Food- & Beverage-Herstellern wie z.B. OETKER, COCA-COLA, KATJES, oder MAST-JÄGERMEISTER suchen vermehrt nach Geschäftsmodellen mit Substanz.

Auch Familienunternehmen, bei denen die Bereitschaft in Frühphasen zu investieren, deutlich zugenommen hat, ist eine nachhaltige Entwicklung der Startups, in die sie investieren, deutlich wichtiger, als manchem VC-Geber, der auf einen schnellen Exit schielt.

Die wachsende Substanz- & Nachhaltigkeitsorientierung vor allem der Corporate Investoren, ist nicht zuletzt einer der Gründe, warum es viele Bewerber nach dem Startup-Hype der letzten Jahre inzwischen wieder stärker in etablierte Unternehmen zieht. Das macht die ohnehin angespannte Personalsituation für viele Startups nicht einfacher.

Ein weiterer Beleg dafür, dass die Suche nach „geerdeten Investitionsmöglichkeiten“ im Risikokapitalbereich zunimmt, ist auch die gestiegene Nachfrage nach Investitionsmöglichkeiten im Bereich des Social Impact und Sustainable Investing.

Und auch die Tatsache, dass sich man sich im VC-Umfeld inzwischen mehr und mehr mit dem eigenen Chauvinismus auseinanderzusetzen beginnt und nach „Women coding“ und „Women founding“ inzwischen auch das Thema „Women investing“ zunehmend an Bedeutung gewinnt, kann durchaus als Beleg für eine zunehmende Nachhaltigkeitsorientierung im VC-Umfeld interpretiert werden.

Last but not least, verändert sich auch die Gründerszene selbst und reinvestiert nach dem erfolgreichen Verkauf eigener Startups das gewonnene Geld immer häufiger selbst in weitere Startups, statt dieses nur zu verjubeln:

„Gründer, die ihre Firmen erfolgreich verkauft haben, stecken (...) selbst Geld in junge Start-ups. Und geben Know-how, Erfahrungen und Kontakte weiter. Im Silicon Valley funktioniert das seit Jahrzehnten so. Und in Berlin nun endlich auch“, so das Magazin CAPITAL im Juni diesen Jahres.

Grund anhand all dieser positiven Entwicklungen in Euphorie zu verfallen?

Nun, zunächst bleibt abzuwarten was passiert, wenn sich die Konjunktur weiter verschlechtern sollte. Es ist kaum vorstellbar, dass der Investment-Boom allem billigem Kapital zum Trotz anhält, wenn die Börse in den Keller rauscht oder Mitarbeiter im Kerngeschäft wichtiger Investoren wie z.B. der Automobilindustrie entlassen werden müssen.

Wichtig wird bei anhaltend schwieriger Wirtschaftslage jedoch vor allem sein, wie sich die Startups selbst verhalten. Diejenigen unter ihnen, die sich tatsächlich genauso agil, anpassungsfähig und offen für Impulse von außen erweisen, wie gerne behauptet wird, werden auch in schwierigeren Umfeldern überleben und Investoren gewinnen können.

Unflexibilität, Beratungsresistenz und die Unfähigkeit, effiziente Prozesse und Strukturen aufzubauen, gehören allerdings ja gerade zu den Hauptfaktoren, warum viele Startups scheitern.

V.a. Investoren in Frühphasen wollen deshalb vermehrt Einfluss auf Startups nehmen, um genau das zu verhindern. Die Erwartung mancher Gründer, Investoren seien primär Geldgeber, die sich ansonsten aus ihrem Geschäft heraushalten sollten, sind daher nicht mehr zeitgemäß.

Nicht nur die VC-Szene selbst, sondern auch die Startup-Szene selbst braucht daher zukünftig deutlich mehr Bodenhaftung.

Oder anders ausgedrückt: Solid venturing needs traction!

Christoph Herrmann

Chicks on Speed - Wunschmaschine Digitalisierung

Der anhaltende Startup-Boom ist für die Wirtschaft ein Segen. Und ein Fluch zugleich. Weil der Rausch um das Neue wichtige Impulse setzt. Aber leider viel zu häufig auch den Blick auf die Realität versperrt.

Wirtschaftlich unsichere Zeiten? Wer aktuell eine der zahlreichen Konferenzen besucht, die sich mit Digitalthemen beschäftigen, wird von Pessimismus wenig feststellen können. Die Startup-Szene sonnt sich lieber in ihrem eigenen Glamour.

Nicht ohne Grund tragen viele der Digital-Conventions Namen, die an Hollywood, Rock-Festivals oder die Raumfahrt erinnern wie Online Marketing Rockstars, Dreamforce, Sapphire Now, SWSX, X4. Einige, wie z.B. die Noah Conferences, spielen sogar bewusst mit biblischen Allegorien. 

Fast schon religiös muten dabei nicht nur die altarähnlichen Bühnen an, von denen aus die Vorreiter des Digitalen ihre frohen Botschaften verkünden.

Choralartig klingen auch die Lobeshymnen, die dort auf Unternehmen wie Airbnb, Alphabet, Amazon, Bytedance, Google, Lyft, SpaceX, Stripe, Tesla, Uber, WeWork, Wish oder Zalando gesungen werden.

Nüchtern betrachtet, hat jedes dieser Unternehmen tatsächlich einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, Branchen aufzurütteln und mit neuen disruptiven Geschäftsmodellen Märkte zu verändern.

Genauso nüchtern muss man leider aber auch feststellen, dass nicht wenige dieser Unternehmen immer noch meilenweit davon entfernt sind, wirklich nachhaltig Wert für ihre Stakeholder zu schaffen.

Und auch nur annähernd das Geld zu verdienen, das bisher in sie investiert wurde – sieht man von wenigen Ausnahmen wie Amazon, Google etc. einmal ab.

Bsp. UBER: „Verluste, Verluste, Verluste“ titelte die Süddeutsche Zeitung im April diesen Jahres. Und weiter: „Ob die Firma jemals Gewinn machen wird, bezweifelt sie selbst.“

Schon eigenartig, dass auf Digitalkonferenzen immer wieder auf das Verschwinden alter Schlachtrosse wie Nokia, Kodak, Polaroid, Xerox verwiesen wird. Zu Recht. Kaum jemand aber traut sich zu thematisieren, dass vermutlich genau dieses Schicksal in einigen Jahren Firmen wie Tesla oder Uber treffen könnte.

Um nicht falsch verstanden zu werden. Die Wirtschaft braucht Disruptoren wie Tesla oder Uber. Auch und gerade in Deutschland. 

Nicht unbedingt um noch mehr Geld in Startups zu lenken, die zwar einer schönen Geschäftsidee folgen, deren enorme Marktkapitalisierung sich aber nur noch spekulativ und nicht mehr realwirtschaftlich erklären lässt.

Sondern um Märkte aufzurütteln. Und um alte, verkrustete, z.T. oligopolistische Strukturen (wie bspw. im deutschen Taxigewerbe) auf den Prüfstand zu stellen.

Was schlecht ist: Disruptoren wie Uber besitzen das Potenzial, mit ihrer finanziellen Power am Ende nicht nur am Markt sondern v.a. im sozialen Bereich ein Schlachtfeld zu hinterlassen, bei dem wichtige Errungenschaften der modernen Marktwirtschaft wie z.B. ein intakter Arbeitsschutz, ein funktionierendes Rentenversicherungssystem oder ein einträgliches Steuersystem auf der Strecke bleiben, ohne dass tragfähige Alternativen hierzu geschaffen werden.

Auch in motivatorischer Hinsicht richten die Unicorns trotz aller schönen neuen Arbeitswelten nicht nur Gutes an. Sie gaukeln vor allem jungen Arbeitnehmern vor, dass es völlig falsch sei, seine kostbare Arbeitszeit in „alten“ Unternehmen zu verschwenden, während man in einem Startup in kürzester Zeit zum Millionär werden könne.

Vor allem aber verstellen sie den Blick auf das, was mit den Mitteln der Digitalisierung und innovativer Technik bereits heute möglich wäre: Z.B. durch eine grundsätzliche Reform der öffentlichen Verkehrssysteme die Mobilitäts- und Umweltherausforderungen unserer Zeit tatsächlich in den Griff zu kriegen.

Ist man in beiden Welten, der „brave new digital economy“ wie auch dem klassischen Unternehmertum zuhause, fällt einem vor allem eines auf: Wie unversöhnlich sich diese beiden Welten immer noch gegenüberstehen.

Allen Rufen nach„mehr Agilität“ in bestehenden Unternehmen und nach „mehr Effizienz und Nachhaltigkeit“, in Startups zum Trotz, driften diese beiden Welten nach wie vor eher auseinander statt aufeinander zu.

Während sich die einen behäbig auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen, agieren die anderen wie „Kapitalisten auf Koks“, so dass Manager Magazin.

koks.digital lautet sinnigerweise der Name einer neuen Digitalkonferenz im Ruhrgebiet.

Und Amphetamine wie Adderall® liegen als „legales Speed“ im Silicon Valley voll im Trend wie übrigens auch sich Hühner im Hinterhof zu halten. Fast so, als bräuchte man die „Chicks“ im Backyard um endlich wieder so etwas wie Bodenhaftung zu gewinnen.

Deutschland wirkt im Vergleich dazu auf den ersten Blick tatsächlich wie ein Land aus längst vergangener Zeit.

„Deutschland ist alt, satt und behäbig“ titelte DER SPIEGEL bereits 2010 und in vor wenigen Wochen erneut: „Die fetten Jahre sind vorbei“. 

Ursache hierfür sei nicht zuletzt die allzu große Zurückhaltung Deutschlands in Sachen Digitalisierung. 

Tatsächlich droht Deutschland im weltweiten Wettbewerb abgehängt zu werden, wenn sich Politik und Unternehmen nicht sehr viel konsequenter den Herausforderungen der Digitalisierung stellen als sie das bisher tun.

Gleichzeitig ist es jedoch ein Irrglauben zu meinen, mit der Digitalisierung würden sich alle anderen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen quasi wie von selbst in Luft auflösen.

Man muss die Chancen der Digitalisierung nutzen. Das bedeutet aber nicht, dass man dabei auf Luftschlösser setzen muss und auch ohne Hühner im Hinterhof die Bodenhaftung verlieren sollte.

„Agility: Faster to Disaster?“ (Ulrich Brinkmann), „Digitalisierung – Die Zeit der Utopien ist vorbei“ (Jaron Lanier), „Was kommt nach der Digitalisierung“ (Anders Indset), „Digitalisierung – Neues Modell gefragt“ (Daniel Goffart)...

Es sind interessanterweise immer häufiger wirtschaftsfreundliche Stimmen, die vor den Risiken eines falsch verstandenen Digitalisierungswahns warnen und stattdessen zu einem überlegteren und selbstbewussteren Umgang mit den neuen Möglichkeiten des Digitalen auffordern.

Auch wenn die neuen Technologien unzählige spannende Möglichkeiten eröffnen, dürfen wir uns nicht dem Irrglauben ergeben, dass alles vordefiniert sei und wir sowieso nichts daran ändern könnten. Tatsächlich haben wir selbst es (noch) in der Hand, unsere Zukunft zu gestalten“, so Anders Indset, von den Medien zum „Digital Jesus“ auserkoren.

Dass es auch anders geht, belegen viele positive Benchmarks, auch aus Deutschland. Zum Beispiel Gründer, die tatsächlich nachhaltige Werte schaffen, statt nur von der nächsten Blase profitieren zu wollen. Genauso wie wirkliche Beweger in der „alten Wirtschaft“, die trotz aller Widerstände alles daran setzen, die schweren Tanker für die sie arbeiten, in die Zukunft zu lenken.

Sie hätten es nur leichter, wenn um sie herum nicht soviel Nebel produziert würde. Dieser Nebel macht es nämlich schwer, zu unterscheiden, was wirklich Substanz besitzt und was eher Blendwerk ist. 

Genau das ist das Dilemma an der Digitalisierung: Dass sie eine hochproduktive Wunschmaschine sein kann, die Träume möglich macht, aber genauso eine Nebelmaschine, die den Blick auf die Realität verstellt.

Mit der Digitalisierung ist es also wie mit jeder anderen Maschine auch: Es kommt am Ende vor allem darauf an, dass man sie richtig bedient.

Beate Junginger

DIE ZEIT DER GROSSEN EGOS IST VORBEI

Zahlreiche Faktoren wie Globalisierung, gesetzliche Reglementierungen, der Werte- und Generationswandel sowie Bedrohungen wie z.B. Cyberkriminalität stellen zunehmend und in erhöhter Komplexität und Geschwindigkeit große Herausforderungen an die Unternehmen und damit die Führungskräfte. Besonders die Digitalisierung hat sich wenig überraschend als starker Katalysator für Veränderungen erwiesen, die mit herkömmlichen Denk- und Verhaltensmustern nicht mehr zu bewältigen, geschweige denn zu gestalten sind. 

Entscheidungen über technische Innovationen zu treffen, die nicht im eigenen Kompetenzfeld liegen oder z.B. international operierende Teams mit einer hohen Eigenverantwortung zu entwickeln und zu führen, braucht nicht nur neue Kompetenzen, es braucht vor allem die Fähigkeit, sein Ego einem höheren Ziel unterzuordnen. Dies konterkariert das gerade im Topmanagement noch gängige Statusbewusstsein und Sicherheitsbedürfnis. Loslassen und dem Team und Ergebnis zu dienen, zählen die meisten zwar zu ihren persönlichen Stärken – unbewusst passiert im Alltag, besonders unter Druck jedoch genau das Gegenteil: Es wird umfassend argumentiert, warum es noch z.B. zu früh ist, die Mitarbeitenden noch nicht so weit sind oder dass es für die Branche (noch) nicht umsetzbar ist. Das direkte Umfeld erlebt Mikromanagement, Dominanz und politische Spielchen, um Kontrollverlust zu vermeiden und die eigene Stellung zu verteidigen oder gar zu verbessern. Wichtige Entscheidungen werden nicht im Sinne der Kunden oder der Zukunft des Unternehmens getroffen, sondern um den eigenen Stuhl zu retten. Oder notwendige Innovationen werden nicht angepackt, weil sie schlicht nicht im Sichtfeld sind. Doch wer von seinem Ego so stark gesteuert wird, dem fehlt leider auch meist das Bewusstsein für das eigene Verhalten und dessen Wirkung.

Glücklicherweise ist auch auf den Vorstandsetagen bereits zu beobachten, dass die ehemals Alpha-Tiere, die stets sichtbar wie Superstars die Geschicke eines Unternehmens gelenkt haben, zunehmend von eher bescheidenen Managern abgelöst werden, die still im Hintergrund wirken und sich als Diener begreifen und Freiräume für Entwicklung und Kreativität aufspannen, in denen sich Mitarbeitenden und Innovationen natürlich entwickeln können.

MEME, DIE KULTURELLEN GENE EINES UNTERNEHMENS

Um ein Unternehmen auf einen völlig neuen Kurs zu bringen – und nichts anderes ist dieser Tage gefragt - gilt zunächst zu verstehen, in welcher Wertewelt die Mitarbeitenden, Stakeholder und vor allem die Führungskraft selbst verhaftet sind: Wie Gene, werden die zumeist unausgesprochenen Werte, Denk- und Verhaltensweisen, welche die Kultur eines Unternehmens bilden, vererbt und wirken sich auf die Gesundheit, die Fitness und die Wirkung eines Teams aus. Der amerikanische Psychologie-Professor Clare W. Graves hat den Begriff MEME dafür geschaffen. Frederik Laloux hat in seinem Buch Reinventing Organizations die gesellschaftlichen und organisatorischen Entwicklungsstufen, die auf dem Modell Spiral Dynamics (das Don Beck basierend auf der Arbeit von Clare Graves weiterentwickelt hat), einem breiteren Publikum bekannt gemacht.

Wenn die Ordnung eines Unternehmens (wie die meisten aktuell noch) stark von Hierarchie und Struktur geprägt ist und aus der Historie das Gefühl der Sicherheit und Zusammengehörigkeit eine große Rolle spielen, reagiert das System sehr empfindlich, wenn diese Ordnung von heute auf jetzt auf den Kopf gestellt wird. Da mag die neue Strategie noch so innovativ und erfolgsversprechend erscheinen. Unternehmensberatungen vergessen z.B. oft, dass ihre Konzepte eher der eigenen Kultur von Effizienz und Hochleistung entsprechen als der des Unternehmens, für das sie die Strategien entwickeln. Kein Wunder, dass die Implementierung dann bestenfalls stockt, wenn nicht gleich scheitert.

MAL EBEN EINE NETZWERKORGANISATION EINFÜHREN

Gibt es auf der einen Seite die großen Egos, die aus einem Sicherheitsdenken heraus das System bremsen und behindern, gibt es auch das andere Extrem: Wenn z.B. der Vorstandsvorsitzende eines mittelständischen Unternehmens mit einer langer Tradition und einem festen Stamm von Mitarbeitenden und vornehmlich Privatkunden für alle überraschend eine Netzwerk-Organisation einführt, überspringt das Unternehmen vermutlich ein paar Entwicklungsstufen und in der Umsetzung werden tief verwurzelte Werte, Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Mitarbeitende und Führungskräfte verletzt. Denn Regeln und Verhaltensweisen - für Außenstehende mögen sie antiquiert und überflüssig wirken - haben für die Betroffenen einen tieferen Sinn, der sich nicht immer gleich auf den ersten Blick erschließt. So wie die Kaffeeküchen auch der Versorgung mit Getränken, aber auch der informellen Kommunikation dienen. Diesen tieferen Sinn nicht zu berücksichtigen und etwas ad hoc und ohne Not abzuschaffen, hieße kurzsichtig zu handeln und sich viel Widerstand einzuhandeln.

Wenn das Unternehmen nun als Netzwerk organisiert ist, es also keine Führungskräfte mehr gibt, keine festen Ansprechpartner für die zumeist älteren Kunden, sondern eigenständige Teams; die sich selbst steuern und durch gemeinsame Ziele verbunden sind, dürfte das intern, aber auch im Kundenkontakt für ziemliche Erschütterung sorgen. Besonders spannend wird es, wenn die Führungskräfte im mittleren Management sich in der Umsetzung dann selbst abwickeln müssen.

FORM FOLLOWS FUNCTION

Sinnvoll wäre es für ein Unternehmen, von der Vision (sofern vorhanden) eine Strategie abzuleiten und dann die Mission, die Werte und die Bedürfnisse der Kunden und auch der Mitarbeitenden in einen Zusammenhang zu bringen. Wenn sich dann die Netzwerkorganisation als logische und beste Organisationsform ergibt, sind die Führungskräfte und Mitarbeitende vermutlich auch reif dafür und die Implementierung kann gut geplant und vor allem kommuniziert unter Einbindung aller erfolgreich geschehen. Form follows function, und eben nicht umgekehrt.

Die Realität ist, dass visionäre Unternehmenslenker oftmals sehr schnell begeistert von innovativen Konzepten sind, und es ihren Werten und Verhaltensweisen durchaus entspricht etwas Neues zu probieren, sie wollen gern die ersten sein. Doch der darunter liegenden Organisation entspricht es eben meist (noch) nicht. Die Frage des Wozu und vor allem die Umsetzung ist ja traditionell nicht das Ding des Visionärs, daher hat er weder Muße noch Übung darin, sich über die Implikationen auf das Unternehmen Gedanken zu machen. Die Folge: Die nächste Führungsebene und Mitarbeitende müssen ein Konzept umsetzen, das weder sinnvoll von der bestehenden Kultur, den aktuellen Strukturen des Unternehmens abgleitet wurde, geschweige den derzeitigen Kompetenzen und Bedürfnissen der Mitarbeitenden oder den Wünschen der Kunden entspricht. Wenn es gut läuft, werden hier nur viel Zeit und Energie vergeudet, weil sich eine Kultur im Widerstand und ohne das Wofür zu verstehen, auf den Weg machen muss. Im schlechtesten Fall fährt es ein Unternehmen an die Wand.

GUT WER EINEN VISIONÄR AN DER UNTERNEHMENSSPITZE HAT

Noch besser, wenn der Visionär auf die Umsetzer hört. Er braucht die persönliche Reife, sein Ego im Zaum zu halten und die Weisheit, die im Unternehmen wirkenden Faktoren - die Funktion - im Auge zu behalten und Innovation gemeinsam im Team mit Menschen aus unterschiedlichen Unternehmens-Bereichen, Funktionen sowie Werte- und Verhaltenshintergründen zu entwickeln. Das würde eine innere Haltung und Reife zeigen, die dann wirklich die Basis für eine Netzwerk-Organisation bilden könnte.

Es gibt zwar derzeit einen wahren Tourismus in die Niederlande, um bei Buurtzorg, einem Unternehmen für ambulante Pflege Vorträge zu hören, wie dort eine Netzwerkorganisation läuft  (Buurtzorg ist eins der Unternehmen, das Frederic Laloux in seinem Buch vorgestellt hat). Doch eine Netzwerk-Organisation ist ein System, das sich eben nicht 1:1 auf jedes andere Unternehmen, schon gar nicht Branche überführen lässt. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.

WAS FÜHRUNGSKRÄFTE JETZT BRAUCHEN

Führungskräfte brauchen eine große innere Stabilität und Freiheit, um Entscheidungen im Sinne der Strategie und der Kunden zu treffen, auch wenn die Konsequenz z.B. der Verlust des eigenen Status oder gar Jobs bedeuten könnte. Denn diese innere Haltung, das Unausweichliche selbst zu gestalten, statt unbewusst bremsen oder verhindern zu wollen und gleichzeitig auch seine Mitarbeitende für diese Reise zu begeistern, gehört zu den wichtigsten Kompetenzen von Führungskräften in digitalen Zeiten und geht weit über die üblichen Skills hinaus. Doch wie begeistere ich Führungskräfte und Mitarbeitende dafür, den Wandel zu gestalten? Neue Konzepte, Strukturen und Kick-off-Workshops, von denen besonders in den sozialen Medien so bunt und begeistert berichtet wird? Ja, sicher - aber erst später.

Führungskräfte müssen zunächst in ihrer Wahrnehmung, ihrem Wertesystem und ihrer Denk- und Arbeitsweise einen persönlichen Reifegrad entwickeln, um sich in dieser Welt eben nicht nur zurechtzufinden, diese Freiheit aushalten, sondern vor allem ausfüllen und gestalten können. Und es braucht neben der erforderlichen Agilität und Geschwindigkeit auch Geduld, um das System hinter sich nicht im Galopp zu verlieren. Sein Ego die Herrschaft zu entziehen und es zum Diener eines höheren Zweckes zu machen, das wäre doch mal was.

 

Christoph Herrmann

SKILLING OR KILLING? DIGITAL RETOX FÜR FÜHRUNGSKRÄFTE

Für digital bewegte Managerinnen und Manager begann das Jahr mit gleich zwei Highlights, der DLD Konferenz in München und dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Bemerkenswert daran: Neben den üblichen Digital-Mantras waren dort auch deutlich selbstkritische Töne zu hören.

Während sich viele Führungskräfte und Politiker in Deutschland im Hinblick auf die Digitalisierung in Euphorie wiegen nimmt die Skepsis der Menschen zu.

Laut dem D21 Digital Index des BMWi sagen immerhin 33% aller Deutschen „Die Dynamik und Komplexität der Digitalisierung überfordern mich.“

Ganz ähnlich der Cisco-Report „So digital ist Deutschland wirklich“. Ca. 1/3 der Menschen in Deutschlang fühlen sich demnach noch nicht fit genug für die Digitalisierung.

Noch größer das Unbehagen, wenn es um die Themen KI und Robotik geht: 2/3 alle Menschen haben Angst, ihren Arbeitsplatz an einen Roboter zu verlieren, so SAP-Vorstand Bill McDermott im Januar ungewohnt selbstkritisch in Davos.

Erstaunlich: Es sind nicht nur ältere und digital unerfahrene Menschen, die mit der Digitalisierung hadern. Sogar jeder vierte Digital Native fühlt sich offenbar digital überfordert.

Auch in Unternehmen wächst das digitale Unbehagen. Laut einer Studie der Universität Augsburg klagen immer mehr Mitarbeiter über digitalen Stress.

Und selbst Manager geben immer häufiger an, mit der Digitalisierung überfordert zu sein.

Darunter sind zunehmend auch Führungskräfte mit hoher Digitalaffinität. Wie eine Studie des IT Dienstleisters INSIGHT zeigt, haben bspw. inzwischen 9 von 10 IT-Abteilungen mit den wachsenden Ansprüchen der digitalen Transformation zu kämpfen.

Kein Wunder also, dass die Angebote zunehmen, die Managern und Managerinnen zu mehr „Digital Balance“, „Digital Detox“ oder gar einem „Digital Break-Out“ verhelfen wollen.

Die Organisation Digital Mums bietet sogar einen Kurs zum Thema „Digital Retox“ an, was nicht ganz unmissverständlich ist. „Retox“ bedeutet „rückfällig werden“, etwas was es in Zeiten digitaler Herausforderungen wohl eher weniger braucht.

Es bleibt fraglich, ob die in solchen Kursen propagierten Methoden ausreichen, um Manager*innen tatsächlich in eine „digitale Balance“ zu bringen. Dafür sind substanziellere Veränderungen notwendig. Zumal davon auszugehen ist, dass der Digitalisierungsdruck in den kommenden Jahren eher zu- statt abnehmen wird.

Zunächst einmal ist es wichtig, das Vertrauen der Menschen wiederherzustellen. Vertrauen darin, dass „die Technologie und die digitalen Unternehmen, die (...) so eifrig in die Welt“ gedrückt werden, tatsächlich zu einer Verbesserung von Arbeits- und Lebenswelten beitragen werden und nicht zu deren Gegenteil.

Dass mehr Digitalität nicht automatisch auch mehr Arbeits- & Lebensqualität bedeutet, das wird inzwischen selbst denjenigen klar, die als eindeutige Fürsprecher der Digitalisierung gelten. Erst vor ein paar Tagen hat bspw. Joe Käser, CEO von Siemens, davor gewarnt, dass die Digitalisierung die Spaltung der Gesellschaft und den Populismus weiter zu verstärken drohe und einen „inklusiven Kapitalismus“ gefordert.

Rachel Botsman, Key-Note-Speakerin auf der DLD hat ganz in diesem Sinne Vertrauensschaffung zur wichtigsten Währung fortschrittlicher digitaler Ökonomien erklärt.

Vertrauen entsteht jedoch kaum aus knackigen Vorträgen alleine, zumal wenn diese erkennbar der Selbstinszenierung dienen.

Die Menschen müssen vielmehr glaubhaft verstehen und nachvollziehen können, warum die Digitalisierung nicht nur eine Bedrohung für sie darstellt, sondern vor allem auch Chancen für sie bietet.

Dies wird zukünftig umso wichtiger, da selbst Digital-Unternehmen wie SAP zunehmend unter Rechtfertigungsdruck gelangen, wenn sie einerseits lauthals fordern, man müsse die Menschen in der Digitalisierung mitnehmen, andererseits dies aber selbst nur bedingt schaffen und deshalb Mitarbeiter auf die Straße setzen müssen, wie jüngst angekündigt.

Bei der Überwindung dieses Dilemmans kann ein konsequentes und frühzeitiges „Skilling“ bzw. „Reskilling“ helfen, so eines der Trendthemen des diesjährigen World Economic Forums.

Gemeint ist damit, Menschen so zu qualifizieren und weiterzuentwickeln, dass sie

  1. mit den Herausforderungen der Digitalisierung besser umgehen können,
  2. die Digitalisierung selbst zum Erfolg führen (weil es dafür auf der menschlichen Seite die richtigen Kompetenzen braucht) und
  3. schnell einen neuen Job finden, sollte ihr alter Job tatsächlich durch die Digitalisierung wegrationalisiert werden.

Für viele Unternehmen könnte ein solches „Skilling“ bzw. „Reskilling“ bald schon zur Überlebensfrage werden. „Skilling or Killing“, so bezeichnet die Beraterin Maria Pruckner diese Herausforderung anschaulich in ihrem Blog.

Anders als sonst üblich meint Maria Pruckner damit jedoch nicht die Technologierückständigkeit vieler Unternehmen, sondern deren eklatante Führungsmängel im Umgang mit der Digitalisierung.

Dass es die tatsächlich gibt, ist kein Werturteil, sondern eine objektive Tatsache. So liegen laut BDI und ACATECH die Gründe dafür, dass Deutschland nur „Mittelmaß bei der Digitalisierung“ ist, nicht nur an externen Faktoren wie einer unzureichenden Breitbandversorgung, sondern auch an internen Defiziten der Unternehmen selbst.

In unserem Führungsratgeber dlead geben wir einige Anregungen, wie man diese internen Defizite beseitigen kann:

  • Zunächst einmal, indem man Verständnis dafür entwickelt, warum die Digitalisierung Ängste auslöst und sich viele Mitarbeiter aber auch Manager in der Digitalisierung tatsächlich „lost in transformation“ fühlen.
  • Darüber hinaus, indem man die institutionellen Prozesse, Strukturen, und Systeme in Wirtschaft wie Politik anpasst, um für den digitalen Wandel gerüstet zu sein (Transformation des Außen).
  • Und last but not least, indem man nachvollziehbare digitale Leitbilder für die Zukunft entwickelt, die Menschen mitnimmt und rechtzeitig weiterqualifiziert und das eigene Wertegerüst wie den eigenen Führungsstil an die Herausforderung der neuen digitalen Ökonomie anpasst (Transformation des Innen).

Nicht nur die Menschen, auch die Führungskräfte an der Spitze von Wirtschaft und Politik benötigen also ein „Reskilling“, um den Herausforderungen der Digitalisierung richtig begegnen zu können.

So verstanden bedeuten „Digital Detox“ bzw. „Retox“ weder den bewussten Verzicht auf alles Digitale noch das Gegenteil davon.

Sie stehen vielmehr synonym für einen bewussten Umgang mit den Herausforderungen des Digitalen jenseits überzogener Zukunftsängste wie auch übertriebener Euphorien, die am Ende jeweils nur den Blick für den notwendigen Wandel verstellen.

Beate Junginger

TRANSFORMATION IST IMMER EIN LEISER PROZESS, KEIN GROßER BUNTER WORKSHOP

Welche Leute braucht man im Zeitalter der Digitalisierung? Und warum kommt Personal von persönlich? fragt sich Wolf Lotter in seinem Artikel in der brandeins. Thomas Dettling (Siemens Digital Transformation Manager) sagt sehr richtig:

“In der Organisation der Wissensgesellschaft geht es darum, wie man Kompetenzen zusammenführt - und nicht die Leute gegeneinander ausspielt, um selbst an der Macht zu bleiben."

Dafür braucht es neue Prozesse, eine neue Incentivierung und ein neues Verständnis. Doch das ist eben nicht so einfach, weil eine Kulturänderung in das Betriebssystem der Menschen eingreift, sie müssen sich zunächst ihrer zumeist unbewußten (Selbst-)Wahrnehmung und ihrem tatsächlichen Handeln bewusst werden. Die allerwenigsten planen doch vermutlich bewusst, andere auszutricksen, Wissen für sich zu bunkern und sich unabkömmlich zu machen, um möglichst gut da zu stehen. Unsere komplexe Psychologie findet gute Gründe, um so zu handeln. Das ist doch wie beim Scheidungskrieg ums Sorgerecht: Beide Eltern glauben im Sinne des Kindes zu handeln und erkennen im anderen den wahren Bösewicht, vor dem es das Kind zu schützen gilt. Heraus kommt ein großer Schaden für das Kind, um dessen Wohl es ja eigentlich ging und auch die Kontrahenten selbst haben kräftig Federn gelassen. Es gibt offenbar - besonders in emotional belastenden Situationen - eine hohe Chance, dass unser tatsächliches Handeln und unsere Wahrnehmung davon stark voneinander abweichen. Das ist nicht nur bei einem Donald Trump zu beobachten, sondern bei uns allen - mehr oder weniger.

Jeden Tag werden hier auf LinkedIn eindrucksvolle Fotos und Berichte von großen spannenden Workshops mit hochmotivierten Menschen gepostet, die anscheinend mit unglaublich viel Spaß, vielen Post-It`s und einem enorm motivierenden Motto einen Neuanfang zelebrieren. Die Initiatoren, Trainer und vielleicht auch Teilnehmer hoffen sicher, damit dieWeiche gestellt zu haben, ab der alles anders wird. Das wird sie vielleicht auch. Aber bei allen? Und wie lange? Denn was intellektuell verstanden wird, wird noch lange nicht gelebt.

Denn das geht nur, wenn die tiefen Ängste und Bedürfnisse der Menschen (auch der Führungskräfte) reflektiert und antizipiert werden und die Unternehmen dann gute Antworten haben, um diese starke emotionale Energie positiv im Sinne der Vision umzuleiten.

Somit ist eine Kultur-Transformation ein tiefgreifender und damit leiser Prozess für jeden einzelnen, der eine Begleitung braucht, die der Ermunterung und Motivation, die sich die Unternehmen in Zeiten der Kultur-Transformation gerade in Rahmen von vielen Workshops verschreiben, deutlich voran gehen muss.

Und genau das ist unser Job.

Christoph Herrmann

BREAKING THE CHAINS – WAS KOMMT NACH DEM BLOCKCHAIN BOOM?

Selten hat eine technologische Innovation Unternehmen, Märkte und Investoren derart fasziniert wie die Blockchain. Nach dem Hype folgt nun Ernüchterung. Ist mit der jüngsten Abwärtsentwicklung der Kryptowährungen auch der Blockchain-Boom zu Ende?

Die Blockchain ist rein technologisch gesehen eigentlich eine recht simple Angelegenheit. Sie ist im Prinzip nichts anderes als eine verteilte Datenbank auf der ein dezentrales Transaktionsprotokoll („Distributed Ledger“) in Form verketteter Informationsblöcke à 40 Byte gespeichert wird. Die Verifizierung der einzelnen Blöcke erfolgt im Gegensatz zu klassischen Datenbanksystemen nicht über eine „Central Autority“ sondern dezentral über sogenannte „Miner“, welche die Historie („Journals“) und Prüfsummen („Hashs“) neuer Blöcke verifizieren, diese versiegeln und der bestehenden Blockchain hinzufügen. Auch die Speicherung der Blockchain erfolgt nicht zentral, sondern als verteiltes Register über eine Vielzahl von Rechnern.

Blockchains eignen sich für die Erfassung und Abspeicherung unterschiedlichster Transaktionen und Informationen von Kryptowährungen über ein digitales Authentifizierungs- und Rechtemanagement bis hin zu komplexen „Smart Contracts“.

Das Prinzip der kryptografisch abgesicherten Verkettung von Einzelblöcken ist dabei relativ alt. Es wurde bereits 1991 von Stuart Haber und W. Scott Stornetta skizziert.

Die Blockchain als Protokoll und verteilte Datenbank geht zurück auf Satoshi Nakamoto, der dieses erstmals 2008 in einem Whitepaper über digitale Währungen beschrieb.

In den darauf folgenden Jahren entwickelte sich das Phänomen der Kryptowährungen, neben Bitcoin z.B. Etherum, Litecoin und Ripple.

Nachdem die Kryptowährungen im Dezember 2017 ihren Peak erreicht hatten (der Wert eines Bitcoins lag da bei ca. 20.000 US$) sind diese inzwischen deutlich abgestürzt (der aktuelle Wert eines Bitcoins liegt bei ca. 3.299 US$).

Bedeutet der Fall der Krptowährungen nun automatisch auch das Ende des Blockchain Booms, wie inzwischen zahlreiche Medien wie DER SPIEGEL, FORBES und die BBC behaupten?

Tatsache ist, dass nicht nur die Kryptowährungen aktuell ordentlich gechallenged werden, sondern dass auch viele sonstige Blockchain-Projekte bisher deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben sind.

Dieser Gap zwischen den teilweise überzogenen Erwartungen und den tatsächlichen marktlichen Erfolgen bedeutet allerdings keineswegs bereits das Ende des Blockchain-Phänomens.

Zum einen ist die Grundfunktionsweise der Bockchain-Technologie derart wegweisend und umfassend einsetzbar, dass sie wohl auch einen weiteren Fall der Kryptowährungen überleben wird.

Bereits im Oktober 2017 hat der Harvard Professor Kenneth Rogoff im Guardian das Ende des Bitcoin-Booms vorausgesagt. Gleichzeitig hat er aber auch prognostiziert, dass die dahinter stehende Blockchain-Technologie weiter prosperieren wird.

Rogoff bestätigt damit die Grundannahme des sogenannten Hype-Cycles von GARTNER für Emerging Technologies. Diesem zufolge durchschreiten neue Technologien nach einem „Peak of Inflated Expectations“ für gewöhnlich ein „Tal der Desillusionierung“, bevor sie sich in Richtung eines „Plateau of Productivity“ entwickeln.

Dass die Blockchain-Technologie noch lange nicht am Ende ist, dafür spricht nicht zuletzt das enorme Volumen an Wagniskapital, das in den vergangenen Jahren in diesen Bereich geflossen ist.

Zwar werden sicherlich viele der wagnisfinanzierten Blockchain-Start-Ups langfristig nicht überleben (laut einer jüngsten Studie liegt die Failure Rate im Blockchain-Bereich sogar bei 92%).

Blockchain-Startups sind allerdings ein entscheidender Faktor dafür, dass Innovationen in diesem Bereich weiter vorangetrieben werden.

Dafür spricht auch die Vielzahl der Patentanmeldungen, die es rund um das Thema „Blockchain“ in jüngster Zeit gegeben hat.

Laut der Zeitschrift FORTUNE liegt die Zahl Blockchain-Patent-Neuanmeldungen in 2018 bei über 1.200. Vor zwei Jahren waren es gerade einmal 313.

Neben Starups engagieren sich zunehmend auch etablierte Player wie Cisco, IBM, Microsoft, Amazon und Google in diesem Bereich.

Auch chinesische Firmen findet man verstärkt unter den Blockchain-Patentanmeldern. Inzwischen stammt sogar die deutliche Mehrzahl der Patent-Neuanmeldungen mit Blockchain-Bezug aus China.

Einige Medien sprechen deshalb inzwischen von einem regelrechten „Patent-Krieg“ bzw. „Patent War“, der um das Thema Blockchain entstanden ist:

Hauptargumente für eine weitere positive Entwicklung der Blockchain-Technologie neben der hohen Wagniskapitalinvestitionen und der steigenden Zahl der Patentanmeldungen ist dabei v.a. aber die zunehmende Übertragung von Blockchain-Technologien auf neue Anwendungsbereiche wie z.B. auf das „Internet of Things“.

Ein Beispiel hierfür ist z.B. das Unternehmen MAERSK das gemeinsam mit IBM an neuen intelligenten Systemen der Logistiksteuerung auf Basis der Blockchain-Technologie arbeitet.

Neben etablierten Playern, gibt es im Kontext des IoTs inzwischen auch diverse vielversprechende Blockchain Neugründungen, so z.B. die beiden Unternehmen ALGORAND und XAIN.

ALGORAND ist ein New Venture des italienisch-stämmigen MIT-Professors, Turing-Preisträgers und Kryptographie-Experten Silvio Micali.

ALGORAND hat sich das Ziel gesetzt, die "Blockchain for Business“ zu entwickeln und wurde von Investoren mit 66 Million US$ Kapital ausgestattet.

Rund um die Kerntechnologie von ALGORAND hat sich inzwischen ein spannendes Ecosysystem an Applikationen entwickelt. U.a. hat ALGO CAPITAL (ein VC-Fund im Bereich Blockchain, der auch in Algorand investiert hat), vor wenigen Tagen angekündigt, weitere 100 Mio. US$ in Firmen investieren zu wollen, die auf der Algorand Platform aufsetzen.

Ein weiteres interessantes New Venture mit IoT und Blockchain Bezug ist das Starup XAIN aus Berlin, dass sich auf die Entwicklung von Blockchain-basierten Kommunikationslösungen rund um das Thema „Connected Car“ spezialisiert hat. XAIN kooperiert inzwischen mit diversen etablierten Unternehmen, so z.B. mit der PORSCHE HOLDING und mit INFINEON.

Die Beispiele Algorand und Xain belegen: Die Blockchain Technologie ist noch lange nicht am Ende. Es ist jedoch Zeit, dieser mit einem deutlich realistischeren und geerdeteren Blick zu begegnen als während des Hypes der vergangenen Jahre.

Dabei sollte man auch die Management- und Führungsdimension nicht aus den Augen verlieren. Wie jüngst der japanische Tech-Blogger Misha Yurchenko im Forum „MEDIUM Blockchain“ festgestellt hat, ist die hohe Failure-Rate im Blockchain-Bereich schließlich nicht nur ein Problem überzogener Erwartungen sondern v.a. auch fehlender Führungs- & Management-Skills bei vielen der zahlreichen Neugründungen im Blockchain-Bereich.

It’s important to keep in mind that while blockchain is disruptive, it’s bound by the same rules as most businesses. Blockchain startups need to find good talent, build strong cultures, get their hands dirty in real work, and add actual value. Many blockchain professionals in this space lack the business fundamentals, such as valuation models, people management skills, and agile project management best practices, which then hinders them from being commercially successful.”

Wie in vielen anderen Digitalisierungsbereichen gilt also auch im Hinblick auf die Blockchain: Man muss die Ketten überzogener Erwartungen und fehlender Management-Unterfütterung durchbrechen, um zu erfolgreichen marktfähigen Lösungen zu gelangen.

Christoph Herrmann

MIND THE GAP: DIE RISIKEN EINES FALSCH VERSTANDENEN DIGITALEN MARKETINGS

Nicht erst seit der Erfindung von Gartner’s Hype Cycle 2006 ist auch das Marketing stark von Trends beeinflusst. Noch nie war dabei jedoch der Trend um neue digitale Marketingtechnologien so groß wie heute.

Marketing Automation, Digital Asset Management (DAM), Product Information Management (PIM), Digital Product Configurators, E-Commerce Platforms, Omnichannel SaaS, Marketing Clouds / Cloud CRM, Brand Portals, Adbots, Artificial Marketing Intelligence (...), die Liste neuer digitaler Lösungen im Marketing wächst von Tag zu Tag.

Die neuen technologischen Möglichkeiten bieten Unternehmen eine Vielzahl von Ansatzpunkten, um die Effizienz und Effektivität im Marketing zu erhöhen. Allerdings sind sie auch mit einigen erheblichen Risiken verbunden.

Das größte Risiko besteht nach wie vor darin, dass die Kosten und der zeitliche wie organisatorische Implementierungsaufwand solcher neuen digitalen Lösungen schlichtweg unterschätzt werden. Nicht selten liegt das Problem allerdings auch in einer falschen Technikselektion, z.B. wenn sich Unternehmen von vorneherein für Lösungen entscheiden, die über den eigentlichen Bedarf völlig hinausgehen und Prozesse eher verkomplizieren, statt diese zu vereinfachen.

Laut einer Studie von Forrester aus dem Jahr 2009 scheitert deshalb etwa die Hälfte aller CRM-Projekte. Eine weitere Forrester-Studie aus dem Jahr 2017 belegt, dass sich offenbar bis heute daran wenig geändert hat.

Zwei weitere Kernrisiken verdienen neben der Auswahl- und Implementierungs-Challenge genauere Beachtung.

Zum einen führt der Technikhype leider in vielen Unternehmen zunehmend zu einer verstärkten Kurzfristorientierung. Wie Tara Hunt jüngst unter dem Titel „The diminishing retunrs of short-term marketing tactics“ anschaulich bei LinkedIn beschrieben hat, verführen die neuen technologischen Möglichkeiten im Marketing zu einem Denken in immer kurzfristigeren Zyklen.

Schnell mal eben € 100K in den sozialen Medien investiert soll möglichst schnell zu direkten Umsatzsteigerungen führen. Dabei werden klassische Grundgesetze des Marketings wie ein vernünftiges Targetting und ein eher mittelfristig ausgerichteter Imageaufbau und eine damit verknüpfte substantielle Need-/Benefit-Argumentation immer häufiger einfach so über den Haufen geworfen. Noch schlimmer, wenn dabei unter der Überschrift eines „Growth Hackings“, Marketing zur reinen Experimentiererei verkommt.

Ohne Zweifel. Auch das Marketing muss lernen agiler, schneller, mutiger und effizienter zu werden und mehr in iterativen Schleifen zu arbeiten als nur auf der Basis langfristiger Pläne. Allerdings nicht, ohne dabei völlig den Sinn und Verstand zu verlieren und gänzlich auf jedwede Strategie und Planung zu verzichten.

Auch kann Marketing Automation natürlich, insofern diese richtig umgesetzt wird, tatsächlich helfen, die Marketingeffizienz zu erhöhen.

Häufig jedoch sind die Automatisierungsbemühungen im Marketing noch erstaunlich ineffektiv. Schon mal erlebt, dass Sie nach einem Kauf eines Produktes noch wochenlang danach mit entsprechender Produktwerbung bombardiert wurden? Die Verzögerungs- und Echokammereffekte und sonstigen Ineffizienzen im Bereich der digitalen Kommunikation sind – aller intelligenter Algorithmen zum Trotz – jedenfalls immer noch beachtlich.

Das Unternehmen Procter & Gamble hat vor diesem Hintergrund vor kurzem seine Marketingpolitik neu ausgerichtet und digitale Etats wieder gekürzt, Mit dem Ergebnis: P&G hat die eigene Marketingeffizienz deutlich steigern können. Und selbst digitale Marketeers fordern vor diesem Hintergrund inzwischen mehr Transparenz und Nachhaltigkeit im digitalen Marketing:

Zweites Kernproblem ist die Technikverliebtheit vieler Marketeers selbst (die leider nichts mit tatsächlich im Marketing vorhandenem technologischem Know How zu tun hat).

„Die deutsche Werbeindustrie marschiert an der Spitze des technischen Fortschritts, sie liebt alles, was mit Künstlicher Intelligenz, Algorithmen und disruptiven Ideen zu tun hat. (...) Die Diskrepanz zwischen Sein und Schein ist im Marketing so groß wie nirgendwo sonst. Die Marketing-Verantwortlichen laufen immer wieder Gefahr, zu schnell auf Hypes aufzuspringen, um sich auch unternehmensintern mit irgendwelchen Buzzwords zu profilieren“, so der Marketingberater Christian Bachem vor kurzem in der Marketing-Fachzeitschrift HORIZONT.

Gerade im Mittelstand erlebt man leider immer häufiger das Dilemma, dass man mit neuen technologischen Lösungen unbedingt kurzfristig den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen will, es dabei aber sowohl am technologischen Knowhow, wie an strategischer Unterfütterung fehlt (was will man wie mit den neuen technologischen Lösungen wirklich erreichen?).

Als Konsequenz daraus wird dann wegen eines falschen Sicherheitsverständnises lieber auf 360-Grad-Lösingen großer Anbieter gesetzt, obwohl neue Datenbank- und Webtechnologien gerade bei kleineren und mittelständischen Unternehmen in vielen Fällen die Implementierung weitaus flexiblerer und kostengünstigerer „Customized Solutions“ ermöglichen (etwa im Bereich des Digital Asset Managements).

Genauso gefährlich ist es umgekehrt, wenn die eigene Inhouse-IT oder auch externe Agenturpartner versuchen, bereits zigfach am Markt verfügbare kostengünstige Standardtools (z.B. im Bereich des Content Managemens oder von e-Commerce-Shoplösungen) aus falsch verstandenem Ehrgeiz heraus selbst zu entwickeln.

Das Ergebnis der sich wie auch immer äußernden falschen Technikverliebtheit im Marketing: Selbst in mittelständischen Unternehmen verbringen viele Marketing-Mitarbeiter inzwischen einen immer größeren Teil ihrer Arbeitszeit mit der Administration und Pflege überladener technischer Systeme. Die technischen Systeme sollten die Marketeers aber eigentlich entlasten, damit sie mehr Zeit für die Auseinandersetzungen mit den Herausforderungen von Markt und Kunde haben und nicht weniger.

Gerade im Mittelstand heißt es also: Mind the gap!, sonst führen die neuen digitalen Möglichkeiten nicht zu mehr Agilität im Marketing sondern werden zur veritablen Agilitätsbremse.

Nutzen Sie also die neuen digitalen Möglichkeiten im Marketing. Aber bitte so, dass sie zu einer tatsächlichen Entlastung und Effizienzsteigerung führen und nicht zu deren Gegenteil.

Christoph Herrmann

KILLING THE MONSTER – VOM RICHTIGEN UMGANG MIT DER AGILITÄT

Die Wirtschaft hat ein neues Mantra: Agilität. Häufig wird der Begriff jedoch noch missverstanden. Zum Teil wird er sogar ganz bewusst missbraucht. Wie geht man richtig damit um?

Glaubt man dem „Hype Cycle“ von GARTNER, dann sehen sich neue Begrifflichkeiten oft einem Overload an überzogenen Erwartungen gegenüber und zwar just in dem Moment, wo sie den Peak ihres Hypes erreichen.

Der Begriff der Agilität ist hierfür ein gutes Beispiel. Spätestens seitdem selbst der Deutsche Arbeitgeberverband das Thema Agilität auf seine Website gesetzt hat, dürfte jedem klar sein: Dieser Begriff ist endgültig in der Wirtschaft angekommen.

Allerdings belegen inzwischen diverse Studien, dass das Interesse an agilen Arbeitsweisen zwar groß ist, dass aber nach wie vor viele Unsicherheiten und Missverständnisse damit verknüpft sind. Dabei lassen sich v.a. die folgenden 6 Kernherausforderungen ausmachen.

1. Fehlendes Verständnis von Agilität

Agil, neudeutsch “ädschjeil“ ausgesprochen, bedeutet soviel wie „flexibel“, „anpassungsfähig“ zu sein. Das waren Mensch, Gesellschaft und Wirtschaft eigentlich immer schon, sonst würde es keine Evolution, keinen gesellschaftlichen Wandel und keine Fortentwicklung von Unternehmen geben.

In der Art und Weise wie der Begriff heute meist verwendet wird, steht er jedoch für mehr als das, nämlich für offene Arbeitsstrukturen, flache Hierarchien und neue Formen der Kollaboration in dynamischen Teams.

Leider wird dabei häufig suggeriert, agile Arbeitsweisen bräuchten keine Vorgaben oder Regeln. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall. Agile Arbeitsweisen sind, richtig angewendet, keinesfalls chaotisch. Sie brauchen mehr noch als traditionelle Arbeitsformen klare Rahmenbedingungen, Rollenverteilungen und ein gehöriges Maß an Effizienzorientierung, so Willms Buse jüngst im WIWO Blog.

Sie setzen dabei eben nur mehr auf Mechanismen der Selbststeuerung und Selbstdisziplin, als dies in klassischen Unternehmensorganisationen häufig der Fall ist

2. Falsches Bild von Führung

Agiles Arbeiten bedeutet also keineswegs eine Abwesenheit von Führung. Anders als bei klassischen Führungssystemen ist das Führen nach agilen Prinzipien nur weniger auf einzelne Köpfe konzentriert, sondern auf deutlich mehr Schultern verteilt.

Und auch inhaltlich ist eine agile Führung anders aufgesetzt: Sie funktioniert weniger über konkrete Vorgaben als durch ein „Enabling“ agiler Teams, selbst zu zielführenden Entscheidungen zu kommen.

Auch in solchen sich selbst „enablenden“ Systemen braucht es also Führung. Sie muss nur anders aufgesetzt sein und mit einem neuen Souveränitätsverständnis verknüpft sein: Dem der „agilen Souveränität“.

Agil souverän handelt, wer „in Zeiten hoher Dynamik, Ereignisdichte und Unsicherheit, aktiv, adaptiv, flexibel und damit möglichst effektiv auf eine jeweils gegebene Situation reagieren kann“, wer dabei gleichzeitig loslassen und delegieren, bei Bedarf aber auch souveräne Entscheidungen fällen und vorbildhaft vorangehen kann.

3. Übertriebener Dogmatismus

Immer häufiger trifft man in der Praxis wie in den Medien auf Dogmatiker, die nur solche Arbeitsweisen als wirklich „agil“ zulassen, die sich nach dem strengen SCRUM-Regelkodex einer der beiden weltweit führenden Zertifizierungsorganisationen (scrum.org und Scrum Alliance) richten.

Nach strengen Scrum-Prinzipien aufgesetzte Projekte sind aber kein „Allheilmittel“ und passen daher auch nicht auf alle Bereiche von Unternehmen. Viele Transformationsprozesse in Unternehmen sind derart komplex, dass sie sich mit einem Vorgehen nach dem Scrum-Modell kaum lösen lassen.

Im Prinzip muss man Agilität daher auch vielmehr als Einstellung weniger als Methodenlehre begreifen. Und ja, erhöhte Agilität ist auch jenseits der reinen SCRUM-Lehre möglich, wie inzwischen zahlreiche Beispiele aus der Unternehmenspraxis belegen.

4. Beschränkter Methodenbaukasten

Auch was den Methodenbaukasten agilen Arbeitens anbetrifft, so mehren sich inzwischen die Zweifel, damit tatsächlich den Stein des Weisen gefunden zu haben.

DevOps., Kanban, Time Boxing, Growth Hacking, Design Thinking, Business Canvas, Personas, etc., alles interessante und hilfreiche Tools, aber keine, die alleine ausreichen würden, um ein Unternehmen durch die zunehmend komplexen Marktumfelder zu steuern.

Beste Beispiel hierfür. Design Thinking. „Design Thinking ist zum Hochseilgarten für den Teamgeist mutiert und wird zur Paradelösung für jede digitale Transformation hochgejazzt.“ Dabei ist Design Thinking kaum mehr als eine kreative Brainstorming-Technik.

Sich alleine auf solche Methoden zu verlassen, führt zu einer Übersimplifizierung, die Unternehmen eher schadet denn voran bringt. Man muss diese Methoden daher eher als Ergänzungen des ja bereits sehr elaborierten Methodenbaukastens im Management begreifen, nicht aber als dessen komplettes Surrogat.

5. Überzogener Technikglaube

Neue technologische Möglichkeiten wie digitale Ticketsysteme, Project Backlogs und Kollaborationsplattformen in der Clouds bieten tatsächlich gute Ansatzpunkte um agile Arbeitsweisen in Unternehmen voranzutreiben. Allerdings sorgen diese alleine noch lange nicht für wirklich mehr Agilität.

In den meisten Unternehmen gibt es heute bereits Friedhöfe voll von Produktivitätstools, die am Ende kaum jemand effektiv nutzt.

Bleiben die klassischen Hierarchien in Unternehmen bestehen, die Strukturbäume und Entscheidungswege komplex und konservative Arbeitsmentalitäten unverändert, dann nützen auch die besten technologischen Tools nicht. Oder umgekehrt: Wer wirklich agil sein will, braucht neben digitalen Agilitätstools auch eine wirklich agile Organisation.

6. Unzureichende Umsetzung

Agiles Arbeiten funktioniert am Ende nur wenn sowohl in der Unternehmensführung wie auch bei den Mitarbeitern die Bereitschaft besteht, sich wirklich auf agile Arbeitsweisen einzulassen.

Die Offenheit gegenüber agilen Arbeitsweisen muss dabei ehrlich und nicht vorgetäuscht sein. Die Praxis belegt, dass das Buzzword der Agilität häufig missbraucht wird, um tatsächliche Ineffizienzen zu überdecken. Noch schlimmer ist es, wenn Agilität vorgeschoben wird, um am Ende nicht-agile Agenden im Unternehmen durchzusetzen. „Killing the agile monster“, nennt der indische Scrum Trainer und Certified Enterprise Coach Madhur Kathuria solche Vorgehensweisen.

Auch dürfen Mitarbeiter nicht in einen Teufelskreis aus scheinbarer Agilisierung und tatsächlichem Ausbremsen von mehr Agilität hineingezogen werden. Mitarbeiter entwickeln heute ein sehr gutes Gespür dafür, ob agile Bemühungen ernst gemeint sind oder nicht. Pseudo-Agilisierungsprojekte führen am Ende jedenfalls häufig zum Gegenteil des gewollten, nämlich zu einer Masse an problematischen Nebeneffekten, wie z.B. gesteigerter Frustration, erhöhter Schwerfälligkeit der Organisation, wechselseitigem Mobbing und Blame-Gaming bis hin zu innerer und tatsächlicher Kündigung der Mitarbeiter.

„Wirkliche Agilität sieht anders aus: Modernes Management bedeutet, aus Fehlern gemeinsam zu lernen, statt weiter im ‚Was läuft falsch und wer ist schuld?’-Modus zu leben“, so der Management Coach Andreas Seitz jüngst im Manager Magazin:

Führungskräfte sind hier in einer besonderen Verantwortung. Wenn sie wirklich agile Denk- und Arbeitsweisen nicht vorleben, fällt es ihren Organisationen noch schwerer als sowieso schon, das umzusetzen.

„Wirkliche Agilität braucht mehr als nur die Ankündigung ihrer selbst - vor allem die radikale Bereitschaft von Menschen mit Führungsverantwortung selbst agil zu werden. Und Zeit sich auf einen Prozess einzulassen, statt sich hastig selbst den Agilitätsstempel aufzudrücken. Wer diesen Bewusstseinswandel wirklich hinbekommt, kann auf pseudoinnovative Begrifflichkeiten locker verzichten.“

Christoph Herrmann

99 RED BALLOONS – WENN DIGITALE TRÄUME PLATZEN

Das Berliner Start-Up 99chairs hat Medienberichten zufolge vor kurzem Insolvenz in Eigenregie angemeldet. Endgültig gescheitert ist das Unternehmen damit noch lange nicht. Deutlichen Restrukturierungsbedarf gibt es aber doch. Was können andere davon lernen?

Wer kennt ihn nicht, den berühmten Nena-Song „99 Luftballons“. Die erste Strophe des Liedes beginnt in der englischen Variante mit den Zeilen:

„You and I in a little toy shop | Buy a bag of balloons with the money we have got | Set them free at the break of dawn | Till one by one they were gone…“

99chairs ist natürlich weder ein Spielzeugladen noch ein roter Luftballon sondern eine Plattform für „Curated Furniture Shopping“. Interessierte Kunden können sich dort von erfahrenen Einrichtungsberatern je nach Bedarf und Budget Einrichtungsvorschläge erstellen lassen und erhalten auf Wunsch die passenden Möbel dazu.

An sich ein spannendes Konzept. Allerdings auch eines, das sich aktuell einigen erheblichen Herausforderungen gegenübersieht, Herausforderungen, von denen auch andere Unternehmen lernen können.

1. Geschäftsmodell

99chairs folgt dem Freemium-Ansatz. Das heißt, dass dort nur ein erster Style Check kostenlos ist. Für umfassendere Beratungs-Services müssen Business- wie Privatkunden zahlen und zwar mit mindestens 2.000 € nicht gerade wenig.

Zwar bekommen die Kunden bei Möbelbestellung über 99chairs einen Teil der Service Fee zurück. Mehr als 1.000 € für eine Einrichtungs-Erstberatung dürfte für viele Privatkunden, die eigentlich nur Möbel kaufen wollen und hierfür Inspiration suchen, allerdings immer noch deutlich zu viel sein.

Hinzu kommt, dass einigen Kommentaren im Netz zufolge der Automatisierungsgrad bei 99chairs aktuell noch recht gering zu sein scheint. Die Konsequenz daraus: Man muss davon ausgehen, dass das Geschäft von 99chairs nach wie vor recht „händisch“ und personalintensiv betrieben wird und daher mit nicht unerheblichen Kosten verbunden ist.

Was können andere Unternehmen davon lernen: Nun, bekanntermaßen gilt auch in digitalen Zeiten die recht einfache Formel: Gewinn = Umsatz – Kosten. Wenn das Umsatzpotenzial wegen doch recht hoher preislicher Hürden begrenzt ist, die Kosten aber hoch, dann sollte man das Geschäftsmodell noch einmal auf den Prüfstand stellen. Sicherlich macht 99chairs das gerade.

Vermutlich hätte es aber gar nicht erst zur Insolvenz kommen müssen, wenn man das Geschäftsmodell von 99chairs von vornherein anders aufgesetzt hätte (z.B. mit einem höheren Automatisierungsgrad und dadurch niedrigeren Kosten und Service Fees).

Die Moral von der Geschichte: Unternehmen sind gut beraten, ihr Geschäftsmodell von Anfang an richtig aufzusetzen und dieses im Falle von erkennbaren Schwierigkeiten bei der Umsetzung rechtzeitig zu adjustieren.

2. Firmenkultur

Dem Magazin von 99chairs zufolge, hat man bei 99chairs auf eine Führungskultur nach dem Holacracy-Ansatz gesetzt.

Unter Holacracy (deutsch: Holokratie; nach altgriechisch ὁλόςholos‚ vollständig, ganz und κρατίαkratía‚ dt. –kratie, Herrschaft) versteht man eine von dem Unternehmer Brian Robertson in seiner Firma Ternary Software Corporation entwickelte Systematik der partizipativen, transparenten und selbstorganisierenden Unternehmensführung.

Der Online-Schuhhändler Zappos gilt mit einer Belegschaft von über 1.500 Personen als größtes Unternehmen, welches dieses System bisher umgesetzt hat. Allerdings ist die Umsetzung dieses Prinzips nicht nur bei Zappos inzwischen gescheitert.

Auch andere Unternehmen haben damit zu kämpfen, dass der Wunsch nach weniger Hierarchie, mehr Freiheit und mehr Agilität in Unternehmen am Ende nicht selten zu dem Gegenteil führt, nämlich zu mehr Komplexität statt Transparenz, zu mehr Schwerfälligkeit statt Agilität und zu mehr Überregulierung statt Regelreduzierung.

Auch bei 99chairs hat die Umsetzung der Holacracy offenbar nicht funktioniert. Die Gründe dafür: Fassadenstrategien, Überforderung und Führungsdefizite. Dies legen jedenfalls Kommentare von Mitarbeitern bei den Online-Portalen Kununu und Glassdoor nahe.

Hier zeigen sich zwei klassische Herausforderungen von Führung in digitalen Zeiten: Agile, selbstorganisierende Arbeitsweisen eignen sich nicht für jedes Unternehmen und für jede Unternehmensaufgabe.

Vor allem aber benötigen gerade agile Strukturen immer auch ein ausreichendes Maß an souveräner Führung.

99chairs scheint dies erkannt zu haben und mit der Insolvenz in Eigenregie und der damit verbundenen Restrukturierung inzwischen gegenzusteuern.

Ob diese Restrukturierung am Ende gelingen wird, hängt nicht zuletzt von dem eigenen Personal wie auch den Investoren ab, die diesen Wandel mittragen müssen.

3. Erfahrung

Um mittel- bis langfristig als Startup erfolgreich sein zu können, braucht es mehr als eine coole Geschäftsidee und ein paar junge Nerds und Marketing-Hipster im Team.

Es braucht v.a. auch Menschen mit Führungserfahrung, die wissen, wie man Organisationen aufbaut, effiziente Prozesse etabliert und Teams steuert. Genau das fehlt in vielen Startups aber erkennbar.

Natürlich kann und muss man Führung lernen, allerdings weniger in den üblichen Führungsseminaren, sondern vor allem „on the job“, wenn man dabei von erfahreneren Führungskräften unterstützt wird.

Fehlen diese, was in Startups nicht selten der Fall ist, dann ist man als Gründer, Eigentümer, CEO eines Startups gut beraten, sich hierfür externe Unterstützung in Form erfahrener Process Coaches an Board zu holen.

Auch das Management in Startups braucht so etwas wie „Scrum Master“, die nicht mit den eigentlichen „Project Ownern“ im Unternehmen zu verwechseln sind. Ihre Rolle ist es, neben aller Agilität auch eine hohe Team-Effizienz und Team-Effektivität über klare Strukturen und Prozesse sicherzustellen.

4. Investoren

99chairs wird nur dann eine erfolgreiche Restrukturierung umzusetzen, wenn das Unternehmen Investoren findet, die diese mittragen. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass sich 99chairs öffnen muss und wichtige Impulse der Investoren aufgreifen sollte.

In vielen Startups werden Investoren nicht selten auf die Rolle des Geldgebers, Mitgesellschafters und Aufsichtsrates reduziert. Meist reduzieren sie sich auf diese Rolle sogar selber. Viel zu späten stellen sie oft wichtige Fragen, die aber für den Erfolg eines Startups entscheidend sind, z.B. ob das Geschäftsmodell einen wirklichen überzeugenden Mehrwert bietet, ob das richtige Management und die richtigen Mitarbeiter an Board sind, ob die Prozesse und Strukturen stimmen etc. pp.

Diese Fragen zeigen: Auch Startups brauche eine richtige Governance, die nicht nur von der Geschäftsführung, sondern auch von den Eigentümern, Investoren und Gesellschaftern gelebt werden muss. Nicht im Sinne eines alltäglichen Reinregierens oder überladener Reporting-Systeme, sondern im Sinne einer souveränen Fürsorge für ein funktionsfähiges Business.

Wer hat schon Interesse daran, dass aus den eigenen Investitionsprojekten am Ende nichts übrigbleibt als 99 Luftballons, die man fliegen lassen muss. Um noch einmal Nena zu zitieren:

„Ninety-nine dreams i have had | In every one a red balloon | It's all over and i'm standing pretty | In this dust that was a city | If i could find a souvenir | Just to prove the world was here | And here is a red balloon | i think of you, and let it go...“

Für alle Freunde „agilerer Musik“, hier der Song noch einmal in der Version der Punk-Band GOLDFINGER aus Los Angeles: LINK

Christoph Herrmann

THE CONQUEST OF COOL: DAS INTERNET ENTSCHULDIGT SICH

Von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat das New York Magazine vor ein paar Wochen unter dem Titel „The Internet Apologizes“ einen bemerkenswerten Beitrag veröffentlicht. In diesem entschuldigen sich einige der Pioniere des Internet wie z.B. Jaron Lanier, Antonio Garcia Marquez und Ethan Zuckerman dafür, für Fehlentwicklungen wie „Datenmißbrauch“, „Fake News“ sowie „behavior modification on a mass basis“ mit verantwortlich zu sein. 

Der Beitrag zeichnet in bemerkenswerter Art und Weise die Geschichte des Internets bis heute nach. „Es fing alles mit ‚Hippie Good Intentions“ an. Doch dann kam „Kapitalismus auf Steroiden“ dazu, so Jaron Lanier, einer der Wegbereiter der Virtuellen Realität im Netz.

Besonders bemerkenswert an dem Artikel ist, dass Lanier und seine Mitstreiter dabei den Wunsch „cool“ zu sein, als das zentrale verbindende Element identifizierten, dass die beiden scheinbar widersprüchlichen Pole „Hippie Kultur“ und „Unternehmertum“ im Internet miteinander verbindet.

Oder wie Lanier es audrückt: „We did it out of this desire to be both: cool socialists and cool libertarians at the same time.“

Wie sehr der Wunsch „cool“ zu sein, die Unternehmens- wie Antikultur der letzten Jahrzehnte beeinflusst hat, hat Thomas Frank bereits 1997 in seinem Buch „The conquest of cool. Business culture, counterculture, and the rise of hip consumerism“ auf den Punkt gebracht.

In dem Buch zeigt er anschaulich auf, wie sich die moderne Protest- und Konsumkultur in den letzten Jahrzehnten zunehmend verwoben haben und daher immer stärker leerlaufen.

Das sich dieses Phänomen zunehmend auch in der Auseinandersetzung mit dem Internet erkennen lässt, belegen die folgenden drei kurzen Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit.

  1. Bei einer Veranstaltung an der Bayrischen Akademie der Wissenschaft konnte man vor kurzem Prof. Dr. Jens Großklags, Inhaber des Lehrstuhls für Cybertrust an der TU München, in ziemlich cooler Art und Weise über die Datenmissbrauchsstrategien von Facebook & Co. reden hören. Der Vortrag selbst war sehr hörenswert und gut recherchiert. Das Problem dabei nur: Er wurde eingeleitet von einem coolen Werbevideo, in dem mit Buzzwords wie „Vertrauen“ und „Sicherheit“ jongliert wurde, als handele es sich dabei um Kategorien, die sich an jeder Supermarktkasse problemlos erwerben ließen.
  2. Kurz vor Pfingsten hat Google in ziemlich cooler - man könnte auch sagen „kaltschnäuziger“ - Manier seinen Gründungs-Leitsatz „Don’t be evil“ aus dem eigenen Verhaltenskodoex entfernt, ganz so, als wäre dieser Leitsatz nicht einer der Gründe dafür, warum sich in der Vergangenheit so viele Menschen für Google als ihre Suchmaschine Nr.1 entschieden hätten (von der sie jetzt nicht mehr so richtig wegkommen).
  3. Vor ein paar Tagen konnte man dann noch eine ganzseitige Anzeige in allen großen deutschen Tageszeitungen lesen, in der sich Facebook quasi zum Vorreiter bei der Umsetzung der neuen Datenschutz-Grundverordnung gerierte. Und das selbstverständlich in coolster Manier vorgetragen und ohne jedwede Bezugnahme darauf, dass es u.a. das eigene Fehlverhalten gewesen ist, dass die neue DSGVO überhaupt erst notwendig gemacht hat.

Fasst man dies alles zusammen, dann wird schnell deutlich, dass sich zwar einige Akteure des Internets inzwischen für Fehlentwicklungen im Netz entschuldigen, sicherlich aber nicht das Internet als Ganzes bereits erkannt hätte, was man am eigenen Verhalten ändern sollte. Zu sehr sind die Hauptakteuer noch verstrickt in den Wunsch „cool“ sein zu wollen.

Wenn man mal ehrlich ist, geht das vielen Wirtschaftsvertretern in Deutschland nicht anders, wenn sie über das Netz reden. Nicht ohne Grund hat das Manager Magazin bereits 2016 die „Vorreiter“ der Digitalisierung im deutschen Management wie Zetsche, Höttges und Teyssen unter dem Titel „Kings of Cool“ auf das eigene Cover gehievt.

Was der „Conquest of cool“ für die heimische Wirtschaft bedeutet?

Man muss als guter deutscher Mittelständler nicht gleich selbst zum „Vorzeige-Coolio“ werden oder gar „evil“, um im Netz mithalten zu können.

Man sollte aber auch nicht der Illusion erliegen, dass diejenigen im Netz, die sich Fairness und Freiheit auf die Fahnen schreiben, diese im Geschäftsalltag auch immer praktizieren. Im Gegenteil: Es scheint Teil der „Coolness“ im Netz zu sein, diese sogar ganz bewusst immer wieder zu unterlaufen.

Vielleicht ergibt sich vor dem Hintergrund der Zunahme der Kritik an den negativen Auswüchsen des Netzes in seiner heutigen Form jedoch zukünftig auch die Chance, dass gerade europäische Unternehmen eine andere Art der Wirtschaftskultur im Netz entwickeln und pflegen, jenseits aller falschen Netzromantik.

Dazu muss die Wirtschaft aber erst einmal selbst ihre häufig übertriebene Silicon Valley Verehrung ablegen, wie auch die Angst vor jedweder Regulierung.

Sicherlich ist zu viel Regulierung falsch und die falsche Form der Regulierung kontraproduktiv, wie nicht zuletzt die aktuellen Diskussionen um die DSGVO belegen, die eher den Mittelstand mit einem übertriebenen Bürokratismus überzieht, als die großen Monopolisten im Netz in die Schranken zu weisen.

Dennoch wird es ohne Regulierung nicht gelingen, die Freiheit und Fairness des Internets, das ein zunehmend wichtiger Wirtschaftsraum ist, zu schützen. 

Um mit den beiden St. Gallener Wirtschaftsprofessoren Thomas Beschorner und Martin Kolmer zu sprechen:

„Die aktuellen Vorfälle rund um die Firma Facebook verdeutlichen eines mit sehr großer Klarheit: Der Einsatz von Datentechnologien auf Internetplattformen ist ein gesellschaftlicher Risikobereich.“

Beschorner und Kolmer fordern dabei jedoch keineswegs nur ein bloßes "Mehr" an Regulierung, sondern eine Neuorientierung der bisherigen Regulierungsbemühungen: „Unsere Gesellschaft sieht für alle Risikotechnologien Zulassungsverfahren vor, die vor Markteinführungen verpflichtend zu durchlaufen sind.“ Warum sollte es solche Zulassungsverfahren nicht auch für bestimmte Verfahren im Internet geben? 

Jeder Mittelständler, der ein neues Medikament, einen neuen Baustoff oder auch eine neue Maschine in den Umlauf bringt, muss heute genau solche Zulassungsverfahren durchlaufen.

Es ist daher durchaus an der Zeit, einmal darüber nachzudenken, ob statt mehr „Coolness“ und häufig nur scheinbarer „Netz-Neutralität“ nicht ein wenig mehr Rationalität und richtige Regulierung die Grundlage für den Erhalt eines freien und fairen Internets sein könnten.

Christoph Herrmann

Post Tech: Von Zuckerberg lernen

Der Hype um die Digitalisierung hat dazu geführt, dass digitale Technologien fast so etwas wie eine heilige Kuh geworden sind. Wird mit der Debatte um den Facebook-Skandal diese heilige Kuh nun wieder vom Sockel gestoßen?

Der Skandal um den Umgang mit Daten bei Facebook hat eine erstaunliche Debatte über die Risiken digitaler Technologien hervorgerufen. Erstaunlich deshalb, da selbst wirtschaftsorientierte Medien inzwischen immer häufiger (selbst-)kritische Töne im Hinblick auf die Digitalisierung anschlagen.

„Big Tech ist Bad Tech geworden“ so z.B. Holger Zschäpitz jüngst in der WELT. Und ähnlich: „Es ist an der Zeit, dass wir über unseren eigenen Umgang mit Daten nachdenken“, so Catrin Bialek im Handelsblatt.

Der hierin zum Ausdruck kommende Bewusstseinswandel ist positiv. Er schafft Raum, sich endlich ehrlich damit auseinanderzusetzen, wo die immensen Chancen der Digitalisierung liegen, worin aber auch deren hohe Risiken bestehen und wie man diese in den Griff bekommt.

Einiges an der aktuellen Diskussion um die Herausforderungen der Digitalisierung stört jedoch auch.

Zum einen sind die digitalen Technologien durch die Offenbarungen des Facebook-Skandals ja nicht plötzlich schlecht geworden. Innovativen Technologien wohnt seit jeher das Potenzial inne, gut wie gleichermaßen schlecht zu sein, je nachdem wie man sie verwendet.

Genau deshalb braucht es Regeln für den Umgang mit digitalen Technologien, Regeln, die sich Wirtschaft und Politik aber nach wie vor nur bedingt selbst geben zu wollen scheinen. Lieber wird da – wie etwa im Handelsblatt – auf die „Naivität“ der Menschen verwiesen, so als sei der massive Datendiebstahl von den Opfern selbst verursacht worden.

Gut an der aktuellen Diskussion ist, dass inzwischen nicht nur die Politik auf die erheblichen Störungen unserer Wirtschaftsordnung durch digitalen Missbrauch reagiert, sondern dass sich auch die Stimmen aus der Wirtschaft selbst mehren, die nach einer digitalen Ordnungspolitik rufen.

So etwa jüngst Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des renommierten Instituts der Wirtschaft in Köln in der FAZ. Seiner Auffassung nach gehören die ordnungspolitischen Grundprinzipien des Privateigentums, der Vertragsfreiheit und der Haftung“ dringend in eine Welt überführt, „in der Datensouveränität, Datenbesitz, Datentransfer sowie Plattformmärkte zentrale ökonomische Kategorien sind.“ Und weiter: „Digitale Ordnungspolitik ist von grundsätzlicher Bedeutung.“ Erst „durch einen konsistenten und gesellschaftlich verankerten ökonomischen Ordnungsrahmen entsteht jenes Vertrauen, das als Produktionsfaktor wirkt.“

Es ist bedauerlich, dass derart selbstkritische Töne, erst jetzt, auf dem Höhepunkt des Missbrauchs wirklich Gehör finden. Dabei gibt es bereits seit langem zahlreiche gute und konstruktive Vorschläge aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, wie ein richtiger ordnungspolitischer Rahmen für die Digitalisierung aussehen müsste.

Umso wichtiger ist, dass diese selbstkritischen Töne nun zu konkreten Maßnahmen führen. Und nicht dazu, weiterhin der Hoffnung zu erliegen, die Vordenker des Digitalen könnten die Risiken der Digitalisierung vielleicht selbst durch wieder neue Technologien in den Griff bekommen.

Das ist ja das Erstaunliche an der Digitalisierung, dass sie nicht einfach nur das Ergebnis purer Ingenieurskunst ist, sondern in ganz erheblichem Maße auch das Resultat einer südkalifornisch-utopischen Hippie-Kultur, die bis heute fortwirkt.

Leider hat jedoch das utopische Denken vieler Technologiegurus im Silicon Valley und darüber hinaus bisher weder einen „besseren Menschen“ hervorgebracht, noch eine wirklich „bessere Wirtschaft“. Im Gegenteil: Es sind daraus leider auch zahlreiche Fehlentwicklungen hervorgegangen, wie z.B. monokapitalistische Strukturen in einigen Bereichen (Soziale Medien, Browser, Teile des eCommerce), die einer Wirtschaft nie gut tun.

Es verwundert daher nicht, wenn aktuell selbst die Vorreiter der Digitalisierung wie Sergej Brin (Google), Tim Cook (Apple) und Mark Zuckerberg (Facebook) eine stärkere Balance zwischen den guten und schlechten Seiten der Digitalisierung fordern.

Vielleicht wird man eine solche Balance erst dann finden, wenn aus „Big Tech“ tatsächlich „Post Tech“ oder „Post Digital“ geworden ist. Dieser Zustand, indem digitale Technologien nicht mehr wirklich im Vordergrund stehen, weil sie gewissermaßen in den Dingen selbst verschwinden und damit selbstverständlich werden, hat Nicholas Negroponte bereits vor 20 Jahren im WIRED-Magazin anschaulich beschrieben:

„Wie die Luft und das Wassertrinken wird Digitales nur durch seine Ab- und nicht Anwesenheit bemerkt werden. Computer, wie wir sie heute kennen, werden a) langweilig sein und b) in Dingen verschwinden, die zuallererst etwas anderes sind. [...] Seht es ein – die digitale Revolution ist vorbei. Ja, wir leben in einem digitalen Zeitalter, soweit es uns Kultur, Infrastruktur und Wirtschaft (in dieser Reihenfolge) erlauben. Aber die wirklich überraschenden Veränderungen werden woanders stattfinden, in unserer Lebensweise und wie wir zusammen uns auf diesem Planeten steuern.“

Genau das ist und bleibt der entscheidende Frage: „Wie wir zusammen uns auf diesem Planeten steuern“.

Die digitalen Technologien können uns tatsächlich helfen, diese Steuerungsprozesse besser zu meistern. Am Steuer sitzen am Ende jedoch immer noch wir Menschen selbst.

Es sei denn, wir wollen, dass nur noch die Technologien uns steuern.

Beate Junginger

Typische Irrtümer in der Digitalen Transformation

Im Augenblick herrscht ein unglaubliches Chaos, viele Unternehmens erscheinen „lost in transformation“, Unternehmenslenker jagen den aktuellen Buzzwords hinterher und stampfen Strategien und Projekte aus dem Boden, ohne wirklich zu wissen, worauf diese einzahlen sollten. Nur damit sie den Shareholdern und der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln können, „digital on track“ zu sein. Unter Druck kommen Menschen in den default-mode, der heißt bei vielen geraden „Aktion“ und unterliegen dabei ein paar Irrtümern:

Wir sind nicht automatisch agil, wenn wir

  • ständig neue Strategien, Projekte und Workshops starten
  • die Mitarbeiter alles selbst entscheiden können.

Wir durchleben nicht automatisch eine Digitale Transformation, wenn wir

  • alte Geschäftsmodelle auf digitale Plattformen heben
  • mal schnell eine APP entwickeln lassen oder gleich mal eine Digital-Agentur kaufen.

Wir bekommen nicht automatisch eine starke Unternehmenskultur, wenn

  • unsere Büros mit Euro-Paletten, Kicker-Tischen und Saftbars ausgestattet werden
  • der CEO jetzt auch einen eigenen Twitter-Account hat.

Wir sind nicht automatisch coole Führungskräfte

  • indem wir “junge Wilde“ einstellen oder Creative Labs gründen
  • wenn sich die Chefs duzen lassen und Sneakers zum Anzug tragen.

Es gibt unheimlich viel Kosmetik – outside-in-Ansätze -, denn so sind Manager sozialisiert. Und damit vollziehen sie vor allem umfangreiche Transaktionen, aber keine Transformation. Und meist außerdem noch viel unnötiges Chaos und hohen workload für die Mitarbeiter.

Dafür bräuchte es eine klare und emotionale Vision als Leitstern und eine intensive Leadership, damit die Mitarbeiter die Veränderungen gern mitgestalten, statt innerlich den Kopf zu schütteln und die neue Sau einfach auszusitzen, die gerade wieder durchs Dorf getrieben wird oder gar zu blockieren, weil sie nicht verstanden haben, wofür das alles und wo ihr Platz darin ist. Und das geht besonders in digitalen Zeiten vor allem analog. Dann wirken alle Initiativen auch wirklich in eine Richtung und das schafft Orientierung und spart Ressourcen.

Erfolgreiche Leader sollten sich aus meiner Sicht folgende Fragen stellen und gute Antworten finden:

  • Wie können wir als analoge Wesen sicherstellen, dass wir in der Digitalisierung seelisch nicht verhungern?
  • Wie müssen Unternehmen zukünftig organisiert sein, wie muss geführt werden, um die zunehmende Komplexität zu meistern?
  • Was müssen wir, unsere Kinder und Mitarbeiter lernen und tun, damit wir nicht durch Computer ersetzt werden können?
  • Wer wollen wir als Unternehmen zukünftig sein und was wird unser Beitrag sein und welche Geschäftsmodelle braucht es dafür? Kurz: Was ist unsere Vision?
  • Wie können wir Mitarbeiter führen, dass Sie Appetit auf Veränderung und Leistungsfreude entwickeln?
  • Wie können wir Mitarbeiter auf die veränderten Anforderungen vorbereiten, damit sie mitwachsen und neue Aufgaben in der Organisation finden?
  • Wie können wir uns ohne Blutvergießen von Mitarbeitern trennen, die den Wandel nicht mittragen wollen bzw. von Computern ersetzt werden?

Für eine wirkliche Transformation bräuchte es eine klare Selbstwahrnehmung und den Willen und den Mut, wirklich in den Spiegel zu schauen, die Karten in die Luft zu werfen und wirklich neu zu denken. Es braucht ein Update des mentalen Betriebssystems. Da laufen viele Manager noch auf MS-Dos und damit lassen sich eben keine modernen APPs steuern.

Jack Ma (CEO Alibaba), hat auf dem WEF in Davos in einem Panel darüber gesprochen, was er für essentiell hält, um unsere Kinder (und aus meiner Sicht auch unsere Mitarbeiter) auf die Digitale Zukunft vorzubereiten:

  • Werte,
  • Überzeugung,
  • unabhängiges Denken,
  • Teamwork und
  • Mitgefühl.

Doch was ist, wenn Führungskräfte davon überzeugt sind, dass das alles im Unternehmen schon läuft? Und vor allem bei ihnen selbst? Und die Mitarbeiter und Kollegen das ganz anders wahrnehmen, das Fremdbild stark vom Selbstbild abweicht? Wie können wir etwas lehren, dass wir selbst nicht beherrschen oder nicht einmal als wertvoll erachten?

Um zu merken, dass wir in unserer Selbstwahrnehmung "offroad" müssten wir reflektieren oder Feedback annehmen, das gehört nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen im Top-Management. Führungskräfte brauchen ein größeres Bewusstsein für ihre eigenen Verhaltensmuster, Werte und Glaubenssätze, die ihre Wahrnehmung beeinflussen. Wie beim GPS - nur wenn ich mich selbst richtig verorten kann und genau weiß, wo ich hinwill, kann ich meinen Kurs, meine Strategie bestimmen und verfolgen.

Und es bräuchte ein starkes Bewusstsein für die Wirkung ihres Handelns. Denn die Entscheidungen, die heute getroffen werden, haben große Auswirkungen nicht nur auf die Unternehmen, die Gesellschaft, sondern auch auf jeden einzelnen. Da heißt es, mit ruhiger und besonnener Hand steuern und ein paar Schritte weiter zu denken.

Somit beginnt jede Transformation erst einmal beim ICH, zeigt sich in einem starken WIR und das kann dann zu einem erfolgreichen ES führen. Und das ist dann wirklich eine Transformation.

Christoph Herrmann

Die Rattenfänger von Digitalien

„Wenn's um die Transformation von Geschäftsmodellen geht, haben viele Consultants hauptsächlich Buzzword-Geschwafel zu bieten. Trotzdem fallen selbst gestandene Bosse reihenweise darauf rein."

So das Manager Magazin in seiner letzten Ausgabe zur Tatsache, dass die Digitalisierung zu einem Bombengeschäft für viele Beratungen geworden ist. Ganz so simpel, wie das Manager Magazin sich das vorstellt, sieht die Realität der Beratung in digitalen Zeiten allerdings nicht aus.

Tatsache ist, dass sich die Digitalisierung in den letzten Jahren als ordentlicher Wachstumstreiber für das Beratungsgeschäft erwiesen hat. Laut Aussage des Bundesverbandes der Unternehmensberater (BDU) ist das Beratungsvolumen alleine im vergangenen Jahr um 7% gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Haupttreiber dabei: Die Digitalisierung.

Feststellen muss man allerdings auch, dass in den aktuellen digitalen Zeiten leider auch einige schwarze Schafe unter den Beratern/Beraterinnen sehr einseitige und bisweilen krude Transformationsweisheiten an den Mann bzw. die Frau zu bringen wissen. Zu undurchsichtig ist für viele Unternehmen der Möglichkeitsraum der Digitalisierung und zu riskant das Szenario, dem Wandel auch aus eigener Kraft begegnen zu können. „A gmahde Wiesn“ für die „Dampfplauderer" unter den Beratern also?

Ganz so einfach ist es Gottseidank nicht. Die andere Seite der Digitalisierungswahrheit sieht nämlich so aus, dass die Digitalisierungskompetenz in den Unternehmen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Die Computerwoche bspw. sieht daher immer weniger Chancen für Blender unter den Beratern. Statt auf Buzzwording und große Beratungen setzen immer mehr Unternehmen auf Klasse und Spezialisierung in der Unterstützung durch externe Berater, aber auch auf Generalisten-Kompetenzen, z.B. wenn Berater im Auftrag von Unternehmen komplette digitale Transformationsprozesse steuern.

Auch ist zu erwarten, dass die Digitalisierung nicht ohne Folgen für den Berufsstand der Berater selbst bleiben wird. Zumindest ein Teil der Beratungsleistung wird in Zukunft durch digitale KI-unterstützte Agenten ersetzt werden können. Die digitale Revolution frisst also zum Teil ihre Berater selbst. Allerdings nur zum Teil.

„Wie in allen Branchen werden disruptive Innovationen klassische Muster substituieren oder zumindest stark herausfordern. Vieles, das noch kommen kann, können wir nur erahnen. Die Stichworte lauten Internet of Things, Big Data, Robotic etc.“, so dass Manager Magazin in einem anderen Beitrag zur Digitalisierung des Beratungswesens.

Und weiter: „Es bieten sich aber auch viele neue Möglichkeiten und Betätigungsfelder für Consultants an. (...) Es geht - von Ausnahmen abgesehen - zukünftig nicht mehr darum, nur Expertise, Best Practice, Lösungsvorschläge, Fachautorität und Arbeitskraft einzubringen, sondern um intelligent gestaltete digitale und reale Prozesse, die es ermöglichen, das Know-how sowie die Energie von Organisationen und ihren Menschen gezielt zu heben und zu lenken. Hierfür brauchen die Unternehmen auch in Zukunft durchaus Beratung - allerdings eine besonders gute.“

Wie erfolgreich Unternehmensberater selbst mit der Digitalisierung zurecht kommen und inwieweit sie Unternehmen bei der Digitalisierung eine hilfreiche Unterstützung bieten können, hängt nicht zuletzt damit zusammen, wie veränderungswillig sie sich selbst zeigen.

Wer nur reines Buzzwording zu bieten hat, wird auf Dauer nicht weit kommen.

Wenig Platz in Zukunft also für die „Rattenfänger von Digitalien“.

Christoph Herrmann

Digitalisierung 2018: Wie kommt man spielerisch durch das neue Jahr?

Nichts liegt so sehr im Trend wie der Trend als solches. Vor allem zum Jahreswechsel häufen sich regelmäßig die Prognosen, die uns klar zu machen versuchen, was im kommenden Jahr definitiv im Trend liegen wird. Was ist dran an dem allgemeinen Trend-Hype und welche Rolle spielt die digitale Transformation dabei?

Zunächst einmal ist wichtig zu verstehen, dass Trends keinem Automatismus unterliegen, egal was einem die häufig selbst ernannten Trendgurus nahezulegen versuchen. Zwar stecken hinter Trends gewisse rahmenartige Muster und man kann durchaus mit statistischen Methoden prognostizieren, ob und wie stark gewisse Trends eintreten werden oder nicht.

Dabei ist vor allem wichtig, zu erkennen, wie wahrscheinlich diese von den jeweiligen Bezugsgruppen (Unternehmen, Konsumenten, gesellschaftliche Gruppierungen) angenommen werden. „Beauty lies in the behold of the betrayer“, würden die Engländer in Anlehnung an Platon sagen. Oder wie es eine Forsa-Studie formuliert: „Über die Trefferquoten von Trendforschern entscheidet am Ende immer das von ihnen angesprochene Publikum“.

Dass die Digitalisierung definitiv im Trend liegt, daran besteht heute kaum ein Zweifel mehr. Glaubt man den Zukunftsforschern, dann handelt es sich bei dieser sogar um einen Megatrend, der als 6. Kondratieff-Welle einzustufen ist. Wie stark und in welcher Form sich dieser Megatrend allerdings in Wirtschaft und Gesellschaft durchsetzen wird, liegt nicht zuletzt an uns Menschen selbst und der Art, wie wir mit der Digitalisierung umgehen.

Hier tut sich ein Möglichkeitsraum auf, der extrem umfangreich ist und jeden in die persönliche Verantwortung nimmt. Ein Beispiel von vielen hierzu: Der aktuell gehypte Trend der „Gamification“, der gewissermaßen eines von vielen „Trend-Anhängseln“ des Megatrends Digitalisierung ist.

Spielerische Elemente als Mittel der Kreativitätsfindung auch in Unternehmen zu nutzen, ist im Prinzip ein alter Hut. In Zeiten, in denen Themen wie Teamworking, Selbstorganisation, Agilität, Scrum, Design Thinking, Holacracy und andere moderne Techniken gehypt werden, erhält die Gamification im Unternehmenskontext erhöhte Aufmerksamkeit. Spielerische Elemente können tatsächlich helfen, kreative Prozesse zu befruchten und die Effizienz von Kommunikation zu erhöhen. Allerdings mehren sich zu Recht in jüngster Zeit auch kritische Beiträge, die auf die Grenzen, des Einsatzes solcher Techniken verweisen, so z.B. beim BBC ("Gamification: Is it game over?"), im Deutschlandradio ("Motivation und Manipulation im Alltag"), in der FAZ ("Die Grenzen der Teamarbeit"), bei LinkedIn ("Innovation Labs don't work"), im SPIEGEL ("Teamwork: Warum Teamarbeit blind und faul macht") und in der ZEIT ("Gruppen neigen zu extrem dummen Entscheidungen").

Nicht alles im Wirtschaftsleben ist schließlich ein Spiel, sondern leider ziemlich ernst (was nicht bedeutet, dass ernste Dinge nicht auch Spaß machen können), nicht überall funktioniert Teamwork und neben der spielerischen Arbeit in Gruppen sind es gerade im Umgang mit dem Neuen nicht selten stark systematische Herangehensweisen und durchaus auch einmal autistische Durchbruchsleistungen einzelner, die wirklich revolutionär Neues gebären.

Wie in vielen Bereichen liegt auch hier der richtige Weg nicht einfach in der Mitte, sondern in der Fähigkeit, beides je nach Aufgabenstellung richtig umzusetzen.

Das lässt sich dem Grundprinzip unseres Buches folgend als agile Souveränität bezeichnen: Wissen, wo man spielerisch in der Gruppe agiles Handeln praktizieren sollte und wo man auch einmal souverän eigene Pfade beschreiten und stark systematisierten Vorgehensweisen folgen sollte.

Beides ist wichtig: In spielerischen Teamprozessen Dinge besser zu verstehen, gemeinsames Herauszuarbeiten, Neues auszuprobieren, und doch sich daraus auch wieder herauszuziehen, mit Ruhe und Mut zur Eigenständigkeit kraftvolle Ansätze und Positionen zu entwickeln. Gerade Führungskräfte müssen das beherrschen: Wie können sie ihren Teams sonst Orientierung geben, wenn sie sich immer nur dem Diktat der Gruppe unterwerfen und keine eigenen Standpunkte entwickeln?

Tatsächlich kann man in dieser Hinsicht von der Pädagogik viel lernen: Ein bisschen mehr „Waldorf“ und „Montessori“ kann den meisten Unternehmen nicht schaden. Zuviel davon schadet jedoch auch, ist unproduktiv und fängt selbst Mitarbeiter, die das am Anfang spannend finden, auf Dauer an zu nerven. Eine Trendprognose kann man in dieser Hinsicht schon einmal wagen: Spätestens 2020 werden Unternehmen, die „Bällebäder“ für ihre Mitarbeiter einrichten, wohl nur noch eines sein: „So was von gestern“.

Ganz in diesem Sinne: Kommen Sie spielerisch wie gleichermaßen souverän durch das neue Jahr.

Beate Junginger

Immer schön geschmeidig bleiben

Durch die digitale Transformation entfaltet sich eine erhöhte Dynamik im Inneren der Unternehmen, die sich mit der Dynamik außerhalb zunehmend potenziert. Das in den 90-er Jahren dem militärischen Vokabular entsprungene Akronym VUCA (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) drückt dieser Tage das Erleben vieler Menschen in Zeiten der Digitalisierung aus. Immer mehr Volatilität, Komplexität und Ambiguität als Phänomene haben zunehmende Unsicherheit bei den Menschen zur Folge.

Unter Druck in den „default-mode“

Das stellt Mitarbeiter und besonders Führungskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Denn diese sind mehr denn je gefordert, dieser Dynamik nicht nur zu begegnen und sie aufzulösen, sondern bestenfalls zu antizipieren, um damit verbundene wahrscheinliche Probleme und Konflikte gar nicht erst ausbrechen zu lassen. Nicht nur, aber besonders unter diesem Druck kehren Führungskräfte jedoch zum „default-mode“ ihres Handelns zurück: Action! Dieser oft blinde Aktionismus ist gelernt und bringt meist scheinbar gute Erfolge, zumindest in der Wahrnehmung der Manager. Viele Manager gefallen sich in dem Bild des Machers, der die Ärmel hochkrempelt und eine innovative Strategie aus dem Hut zaubert und es damit richtet. Auch weibliche Führungskräfte machen gern auf starken Mann. Hier fühlen sich Manager gebraucht, sie haben das Gefühl, etwas zu bewegen, Dopamin wird ausgeschüttet.

Immer schön geschmeidig bleiben

Chefredakteur Thomas Vašek beschreibt in der Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft in dem Artikel „Immer schön geschmeidig bleiben“ dieses Teleologische Handlungskonzept (telos = Zweck, Ziel) als Illusion, über die Zukunft verfügen zu wollen. Ein Unternehmen ist aber kein geschlossenes System, sondern wird von sich ständig ändernden und manchmal sogar unbekannten Faktoren von Außen und auch von Innen beeinflusst. Das Leben ist nicht planbar, sondern wie eine Welle zu reiten. Es wirken nicht nur die sichtbaren Faktoren, die unsichtbaren – wie die Unternehmenskultur – wirken noch viel stärker. Die Folgen? Die Unsicherheit, Komplexität und Volatilität innerhalb des Unternehmens nehmen weiter zu, noch mehr Unsicherheit bei den Mitarbeitern. Die tektonischen Kräfte werden angefeuert, es rumpelt allerorten und unberechenbare Bewegungen suchen sich in den Unternehmen, in den Teams ihren Weg.

Neue Strategien und einseitige Kommunikationslawinen halten das Unternehmen nicht nur in Atem, sondern oft vom eigentlichen Geschäft, dem Dienst am Kunden ab. Sinnloser Aktionismus, der wirkungslos bleibt, weil er die Wirkung erzwingen will und nicht in den Gesamtkontext, die Ausrichtung auf die Vision, eingebunden wird. Wenn der Plan nicht aufgeht, werden entweder diese äußeren Faktoren verantwortlich gemacht und/oder in rasender Geschwindigkeit neue Aktionen ins Leben gerufen, das Ruder hektisch rumgeworfen.

Vor lauter Aktionismus sind die Führungskräfte ständig busy und verlieren dabei die wirklich wichtigen Dinge aus dem Auge, wir nennen das Lost in Transformation. Dabei liegt die Lösung eben nicht darin, wieder etwas Anderes zu machen, sondern etwas anders zu machen.

Das Prinzip des Nichthandelns

Thomas Vašek verweist auf den chinesischen Philosoph Laotzi (600 v. Chr), der das Prinzip des Nichthandels (wúwéi), nicht zu verwechseln mit Passivität oder gar Trägheit lehrte. Es heißt, auf einen Plan zu verzichten, es nicht zu erzwingen, sondern geschehen zu lassen. Handeln, ohne zu handeln. Nicht die punktuelle Handlung steht im Vordergrund, sondern - mit Blick auf den Gesamtprozess - die Wandlung, die Transformation von Prozessen, damit diese eine förderliche Wirkung entfalten können. Das Gras wächst ja auch nicht schneller, wenn man daran zieht.

Mit Blick auf Leadership heißt das: Mitarbeitern mehr Handlungsmöglichkeiten geben und Hemmnisse beseitigen, um den inhärenten Kräften des Systems den Weg zu bahnen. Frederic Laloux hat für diese Entwicklung in seinem Buch Reinventing Organzations ein schönes Bild gefunden: In komplexen Systemen wie z.B. die Natur gibt es ja auch nicht am ersten April die Entscheidung von oben, dass die Bäume auszuschlagen haben. Es wurde von der Schöpfung in das System Natur eingepflegt, damit jede Pflanze vor Ort zum richtigen Moment das Notwendige tut - nicht mehr und nicht weniger. Auch Unternehmen sind zu so komplexen Systemen geworden, dass das Management von wenigen allein nicht mehr zum Ziel führt und mehr Schaden als Gewinn bringt.

Thomas Vašek empfiehlt, dass Führungskräfte das jeweilige Situationspotential immer wieder neu einschätzen und bewerten sollten. Die Dinge reifen lassen, um die Immanenz, das drin liegende zu erfassen und wirken zu lassen. Geschäftigkeit ist nicht Effizienz, Aktionismus ist nicht Wirksamkeit.

Die Früchte der Digitalisierung ernten

Dann kann die Digitalisierung richtig umgesetzt werden und in den Unternehmen wie gewünscht zu „mehr Zeit“, „mehr Entlastung von Routinen“, „mehr Raum für persönliche Kommunikation und Entfaltung“, statt zu „mehr Belastung“, „ständiger Überforderung“ und einer de facto „Abnahme von persönlichem Austausch“ und von „freien Entfaltungsmöglichkeiten“ im Job führen. Dafür müssen viele Führungskräfte jedoch erst einmal ihre eigenen Verhaltensweisen und mentalen Modelle auf den Prüfstand stellen und anpassen, um das Schiff mit ruhiger Hand durch den Sturm zu führen. Wieder einmal gilt: Weniger ist mehr.

Christoph Herrmann

Digitale Werte

Im Zeitalter des Digitalen gewinnt plötzlich ein Begriff wieder an Bedeutung, der eigentlich schon einmal in den 70er Jahre und 80er Jahre „en vogue“ war: Der Wertebegriff. 

Bereits in den 70er Jahren hat es, befeuert durch die Studentenunruhen der späten 60ziger Jahre, eine intensive Diskussion um den sogenannten „Wertewandel“ gegeben. Soziologen wie Roland Ingelhard konstatierten damals eine Abkehr von materiellen hin zu postmaterialistischen Werten.

Inzwischen scheint sich diese Diskussion zu wiederholen, allerdings mit anderen nämlich „digitalen“ Vorzeichen. Auch im digitalen Zeitalter gibt es zwar einen Trend hin zur „Dematerialisierung“, jedoch weniger in kultureller als in physischer Form. Die zunehmende„Softwarisierung“ der Welt führt nämlich dazu, dass physische Objekte, Zustände und Produkte mehr und mehr durch Software ergänzt, angereichert oder sogar gänzlich ersetzt werden. „Software is eating the world!“, so hat der Internetunternehmer Marc Andreessen vor geraumer Zeit dieses Phänomen benannt.

Interessant ist, was dies für unsere mentalen und kulturellen Systeme bedeutet. Findet auch hier ein Wandel statt? Verändert sich mit der Digitalisierung unbewusst auch unser Wertegerüst? Oder umgekehrt: Müssen wir dieses ganz bewusst verändern, um den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden?

Immer lauter werden aktuell jedenfalls die Rufe nach neuen digitalen Werten und einer neuen Digitalkultur. Jüngstes Beispiel: Der „GIGA-Gipfel“, den das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche, der Tagesspiegel und die Zeit vor kurzem auf 3.000 Meter Höhe in Sölden veranstaltet haben, um dabei gleich einem „digitalen Manifest“ das Leben zu schenken.

Statt einer wirklich ernsthaften Wertediskussion hat jedoch auch dieser Gipfel mal wieder kaum mehr hervorgebracht als die üblichen Attacken in Richtung Politik nach dem Motto „Warum ist Deutschland immer noch kein Silicon Valley“ (als ob die Politik und nicht viel eher die Wirtschaft dafür etwas könnte).

Ein „Grundrecht auf digitale Grundversorgung“, wie in Sölden gefordert, reicht jedoch alleine wohl kaum aus, um den vielfach geforderten Wertewandel zu schaffen. Dazu müssten die Menschen schon das Gefühl haben, dass man sie mit ihren Wünschen und Hoffnungen, Ängsten und Sorgen ernst nimmt. Und auch die Medien und die Wirtschaft selbst müssen einen aktiven Beitrag dazu leisten, dass genau das passiert.

Tatsache ist, dass nicht wenige Unternehmen, die gerne von Werten reden, nicht selten ziemlich weit von einem wirklichen Wertebewusstsein entfernt sind. Sie betrachten Werte eher als eine Art inhaltsleeren Zuckerguss, um die häufig nicht ganz so rosige Gegenwart in ihren Organisationen zu übertünchen.

Kurt Steffenhagen hat dies im Mai diesen Jahres im Handelsblatt treffend auf den Punkt gebracht:

„Die Werte in Unternehmen sind ein exzellentes Beispiel für mangelndes Hinterfragen. Keine Hochglanzbroschüre der Unternehmen, kein Manager verzichtet darauf, die Bedeutung von „Werten“ im Unternehmen mantrahaft wiederzukäuen. Aber was meinen die mit Werten? Was meint man mit „Der Mensch im Mittelpunkt“? Welches Menschenbild verbirgt sich eigentlich dahinter? Keines! Wenigstens keines, das reflektiert und oder gar definiert wäre. Werte sind – auch wenn es so suggeriert wird – keine Naturkonstante. Werte sind verhandelbar! Und die laut propagierten Werte stimmen selten mit der Realität überein. Man könnte sie genauso gut durch kleine Klebebilder ersetzten und sie als Unternehmens-Poesiealbum den Mitarbeitern überreichen.“

Unternehmen, die so agieren, tun letztendlich nicht anderes, als das, was Friedrich Nietzsche einmal als „Umwertung aller Werte“ bezeichnet hat. Wer so handelt, darf sich dann nicht wundern, wenn das zu Demotivation, Opposition oder gar blankem Zynismus im Unternehmen führt, auch und gerade wenn es um die Bewältigung wichtiger digitaler Transformationsprozesse geht. 

Dass es auch anders gehen kann, belegen Unternehmen, die es mit der Wertarbeit jenseits eines bloßen Buzzwordings wirklich ernst meinen. Vaudé ist ein solches Unternehmen oder Twitter, um ein genuin digitales Beispiel zu nennen.

Schwierig wird es vor allem immer dann, wenn Unternehmen erkennen, dass sie ihr Werte-Set grundlegend verändern müssen, um im Zeitalter der Digitalisierung überleben zu können. Interessanterweise, sind es dabei häufig recht analoge Werte (selbstbestimmtes und sinnvolles Arbeiten, Respekt, Schutz der Privatsphäre, Vertrauen-Können, gemeinsames Streben nach Projektzielen, an die man glaubt etc.), die Menschen motivieren, aktiv an der Digitalisierung mitzuarbeiten.

Digitale Werte sind demnach eigentlich recht analog. Diese analogen Werte gewinnen allerdings in Zeiten der Digitalisierung mehr denn je an Bedeutung.

Christoph Herrmann

Allheilmittel Start-up?

Start-ups können etablierten Unternehmen helfen, schneller Innovationen zu generieren und neue Geschäftsfelder für sich zu erschließen. Sie eignen sich jedoch nur bedingt als alleiniges „Role Model“ für jede Form der digitalen Transformation.

Sascha Hackstein, Direktor beim Interims-Dienstleister Atreus und Experte für digitale Geschäftsmodelle, hat Anfang Oktober einen sehr lesenswerten Beitrag zu dieser Thematik bei Linkedin veröffentlicht. Darin kritisiert er unter der Überschrift „Berlin, Berlin. Wir fahren nach Berlin“ nicht ganz zu Unrecht den fast schon naiven Glauben so manchen Unternehmenslenkers, mit dem einen oder anderen Investment in ein cooles Start-up in Berlin seien quasi mit einem Schlag alle Innovationsherausforderungen im Unternehmen gelöst.

Ohne Zweifel besitzt Berlin eine hohe Anziehungskraft für Investoren wie Techies gleichermaßen. Und ohne Zweifel ist auch jeder Unternehmenschef gut beraten im Auge zu behalten, welches Start-up demnächst das eigene Geschäftsmodell „disruptieren“ wird. Auch macht so manches Investment in ein solches Start-up durchaus Sinn (selbst in Berlin gibt es neben zahlreichen gescheiterten Start-ups schließlich auch einige sehr erfolgreiche Beispiele hierfür).

Richtig ist aber auch, dass Berlin sicherlich nicht der einzige Ort ist, an dem sich Start-ups sinnvollerweise denken und realisieren lassen. Im IoT-Kontext liegen hier die klassischen TU-Städte in Deutschland (eben Aachen, München, Dresden, Darmstadt etc.) sicherlich näher. Andererseits gibt es jedoch nach wie vor auch viele Argumente, die für die Standortwahl Berlin sprechen (nicht zuletzt die hohe Anziehungskraft für junge Nachwuchskräfte).

Mindestens genauso wichtig wie die Standortwahl ist jedoch sicherlich auch, dass sich Unternehmen überlegen, wie sie neben sinnvollen Investments in Start-ups ihr eigenes Innenleben, mit allem was daran hängt (Strukturen, Prozesse, Ressourcen, Unternehmenskultur etc.), transformiert kriegen. Dies ist eindeutig die größere Herausforderung als nur mal eben ein bisschen Geld aus der Kriegskasse in ein Start-up zu investieren.

Zeit, am besten jetzt sofort damit zu beginnen.

Christoph Herrmann

Coaching im digitalen Wandel

Coaching & Trainings können ein wichtiges Element bei der Bewältigung des digitalen Wandels sein. Allerdings nur dann, wenn sich die Natur des Coachings selbst verändert.

Der Chefredakteur des Coaching Magazins, David Ebermann, hat sich in den Ausgaben 1/2017 und 2/2017 seines Magazins mit den Herausforderungen des digitalen Wandels auf den Coaching-Markt auseinandergesetzt. Dabei zeigt er einige interessante Perspektiven für das Coaching der Zukunft auf. Demnach ist es höchstwahrscheinlich, dass zumindest ein Teil klassischer Trainings- und Coaching-Programme in Zukunft selbst digitalisiert, automatisiert und um VR/AI-Elemente (Virtual Reality, Artificial Intelligence) bereichert werden. Online Coachings, wie dies einige Plattformen bereits heute anbieten, werden vermutlich bereits in wenigen Jahren wesentliche Teile des Präsenz-Coachings ersetzen.

Dennoch bleibt die persönliche Interaktion zumindst für bestimmte Teile des Coachings und Trainings auf absehbare Zeit wichtig. Gerade in komplexen Transformationsprozessen wie der Digitalisierung sind „Face-to-face Settings“ – z.B. zur Überwindungen von grundsätzlichen Kulturbarrieren in Teams – wesentlich. Andererseits lassen sich gerade bei weltweit verstreuten virtuellen Teams bestimmte Coaching- und Trainingsprogramme zukünftig überhaupt nur noch realistisch umsetzen, wenn diese zunehmend selbst digitale Elemente integrieren.

Mindestens genauso wichtig wie die Auswahl des richtigen digitalen und analogen Settings zur Überwindung von Transformationshemmnissen ist jedoch auch, dass sich die Coaches selbst persönlich mehr Wissen über die Digitalisierung aneignen und mehr Verständnis dafür entwickeln, wo die wirklichen Herausforderungen der Digitalisierung zu suchen sind. Dabei Auftraggebern einen schnellen Change mithilfe von 1-2 Trainings zu versprechen, greift dabei ebenso zu kurz, wie der Reflex so manchen Coaches, sich vor lauter Mitgefühl einseitig auf die Seite wandlungsresistenter Mitarbeiter zu schlagen und sie vor unausweichlichen Veränderungen zu beschützen.

Auch in digitalen Zeiten sollte ein guter Coach und Trainer, genauso wie ein guter Berater, immer jemand bleiben, der das Team mit den richtigen, für alle Seiten transparenten Mitteln zu einem guten Spiel motiviert, aber niemand, der dabei selbst die Spielführung zu übernehmen versucht.

 

Christoph Herrmann

Legales Crack

Manager geraten heute immer mehr in einen digitalen Vollrausch. Dabei braucht Führung in digitalen Zeiten vor allem eines: Agile Souveränität.

Der Boom um die Digitalisierung wird immer mehr selbst zum „Buzz“. So erzielt die Kombination „digital+buzz “ bei Google bereits über fünf Millionen Treffer. Gut an der Digitalisierung ist, dass sie es tatsächlich schafft, alte Verkrustungen in vielen Unternehmen, Behörden, Parteien und Verbänden aufzubrechen. Und dass sie im besten Schumpeter’schen Sinne dafür sorgt, ineffiziente Marktstrukturen zu zerstören.

Schlecht an ihr ist allerdings, dass sie viele Menschen dazu verleitet, in einen regelrechten Vollrausch zu verfallen, bei dem sie alle Hirnzellen auszuschalten scheinen. So berichtete jüngst der Facebook-Aussteiger Antonio Martinez, für Facebook zu arbeiten sei wie „legales Crack“. Das deckt sich mit sozialwissenschaftlichen Diagnosen: „Der Trend der Gegenwart ist harder, better, faster, stronger“, so Hartmut Rosa auf einer Veranstaltung des Hertie-Forums in Berlin. „Das sieht man nicht nur im digitalen Bereich, sondern auch daran, wie Transport und Produktion oder auch Drogenkonsum alle auf ein schnelleres Tempo setzen.“

Nun mag man meinen: Ein bissel mehr Tempo könnte auch deutschen Unternehmen nicht schaden. Das Problem ist nur: Seit wann, bitte, lassen sich vernünftige und nachhaltige Entscheidungen gut treffen, wenn man dabei wie auf Speed agiert? Immer häufiger erlebt man im Alltag Manager, die nicht mehr in der Lage sind, sich auf eine Aufgabe richtig zu fokussieren, mal ein einstündiges wichtiges Meeting, ein Mitarbeitergespräch, eine Vorstandssitzung ohne permanenten Blick auf ihr Smartphone durchzustehen.

Dass die Digitalisierung ohne Zweifel für Wirtschaft und Gesellschaft so fundamentale Veränderungen mit sich bringen wird wie einst die Erfindung der Dampfmaschine oder der Elektrizität, steht außer Zweifel. Gerade deshalb gilt, dass wir einen gesunden Umgang mit dem Digitalen entwickeln müssen. Genau das scheint vielen schwerzufallen.

Das lässt sich am Führungsstil vieler Manager erkennen. Sie „zappen“ in ihrem Führungsverhalten immer häufiger hin und her, werden zu „hybriden Managern“, die heute so und morgen anders agieren, und verfallen einem Aktionismus, der alles andere als effektiv ist. Das hat mit wirklicher Agilität wenig zu tun. Wer wirklich agil sein will, muss diese Agilität mit einem gehörigen Maß an souveräner Führungskompetenz kombinieren.

Auch in digitalen Zeiten werden die meisten Rennen immer noch auf der Langstrecke gewonnen. Dazu braucht es aber einen klaren Kopf, den man nur dann hat, wenn man die Digitalisierung ganz nüchtern als das begreift, was sie ist: eine Chance, bei der es nicht zuletzt an uns selbst liegt, was wir aus ihr machen.

HINWEIS: Dieser Blog-Beitrag ist am 10. August 2017 als Gastkommentar im Handelsblatt erschienen.

Christoph Herrmann

Die Neuerfindung der Kreativität

„Können Daten auch Ideen generieren, die (...) völlig neue Bedürfnisse (...) erzeugen?“ Dieser Frage ist Christian Rätsch, Deutschland-Chef von Saatchi & Saatchi, gerade in der Zeitschrift Business Punk nachgegangen. Um sie gleich mit NEIN zu beantworten. Daten können seiner Meinung nach die „unreasonable power of creativity“ nicht ersetzen.

Ganz so einfach ist die Schlussfolgerung allerdings nicht. Wie ein Blick auf die Agenturbranche selbst beweisst. Immer häufiger werden Agenturen in ihrer Kernkompetenz herausgefordert, nämlich gute Umsetzungen von guten Kreativideen zu liefern.

Was die kreative Umsetzung anbetrifft, so wird diese immer stärker automatisiert. Adobe ist ein Beispiel hierfür. Die Marketing Cloud umfasst bereits heute immer mehr intelligente Kreativtools, die es Marketing Professionals erlaubt, “quick & dirty” Graphikaufgaben selbst auszuführen.

Damit lassen sich sicherlich (noch) keine kreativen Meisterwerke schaffen. Aber für den berühmten “long tail” der Kommunikation (Präsentationen, kleinere Broschüren, Adaptionen etc.), mit dem die Agenturen früher viel Geld verdient haben, ist dies schon eine Herausforderung.

Noch ist man nicht so weit, dass Roboter Kreativleistungen gänzlich ersetzen. Auf klugen Algorithmen beruhende Kreativtools können aber die Kreativarbeit von Agenturen erheblich erleichtern und bereichern.

Ein paar Beispiele hierzu: Das schottische Startup PingGO ermöglicht es, kurze Pressetexte mit einem Algorithmus zu erstellen. Die Webseiten Tailor Brands, Logo Jov und Withcomph generieren automatisch Logos auf der Basis intelligenter Browser-basierter Vektorgraphik-Software-Lösungen. Und Anbieter wie Shopify, Frontify oder Typorama ermöglichen es quasi “on the fly” Slogans, Taglines und auch ganze graphische Markenwelten zu schaffen (incl. Colour Codes, UI-kompatiblen Pattern Libraries etc.).

Nicht zu vergessen Anbieter wie Template Monster, Elegant Themes, Themeforest oder Templatic, die es in Verbindung mit einem Content-Management System wie Word Press selbst Laien ermöglichen, hochprofessionell aussehende Webseiten zu gestalten.

Sind damit Werbeagenturen bereits endgültig tot, wie auf vielen Webseiten im Netz bereits zu lesen ist? Nicht wirklich, wie gerade die Akquisition der deutschen Agentur thjnk durch WPP zeigt.

„Big data“ braucht schließlich immer noch „big ideas“, wie André Kemper jüngst richtig gesagt hat. Das Problem dabei nur: „Big ideas“ brauchen immer auch „great minds“. Und die laufen den Agenturen immer häufiger davon. Schließlich ist es deutlich cooler, heute in einer Digitalagentur oder gar in einem Digital-Startup zu arbeiten, als in einer Werbeagentur.

Nicht ohne Grund setzen gerade die großen Player wie Facebook, Google, Amazon auf Inhouse-Kreativteams, die sie geschickt mit Freelancern von außen kombinieren. Digitalagenturen übernehmen immer häufiger den Lead in der Markenführung.

Auch das ist nicht ganz unproblematisch. Nicht selten erlebt man, dass Digitalagenturen dabei ein aktionistisches „Kampagnendenken“ über die Markenführung stellen, ganz so wie manch klassische Werbeagentur früher.

In Zeiten von Omnichannel Marketing, komplexen Customer Journeys und vielschichtiger Brand und Sales Activation Prozessen müssen also Agenturen gleich welcher Herkunft umdenken lernen.

Sie müssen NOCH MEHR Fokus auf Kreativität, statt nur auf Umsetzung legen (denn die wird am Ende auch am besten bezahlt). Andererseits müssen Sie auch in mehr Technik-Know How investieren und ihre Arbeitsprozesse mit Hilfe neuer Technologien erheblich entschlacken. Vor allem aber müssen sie lernen, Kreativität noch besser mit Marken- und Beratungs-Know-how zu verknüpfen.

Nicht indem sie zwangsläufig die Denk- & Arbeitsweisen der klassischen Beratungsfirmen kopieren. Sondern indem sie diese mit innovativen Ansätzen disruptieren.

Christoph Herrmann

Digitaler Darwinismus reloaded (Teil 1)

„Die Welt redet sich seit langem betrunken über ‚Disruption’, über radikale Erschütterungen – aber Chauvinismus, schlechtes Büroklima und Machtrausch können damit nicht gemeint sein.“ So Hans-Jürgen Jakobs vor ein paar Stunden im „Handelsblatt Morning Briefing“ zu den Führungsskandalen rund um Travis Kalanick, CEO von Uber.

Allen Unkenrufen zum Trotz liefert die „new digital economy“ tatsächlich nicht nur Belege für eine bessere Führungskultur. Im Gegenteil: So revolutionär im positiven Sinne viele digitale Geschäftsmodelle häufig sind, so disruptiv im negativen Sinne verhalten sich leider auch manche Startups, wenn es um Fragen einer „good governance“ geht.

Das mag zwar auf den ersten Blick als darwinistisch bezeichnet werden, weil darin der Wille zum Überleben im knallharten Verdrängungswettbewerb zum Ausdruck kommt.

Versteht man den Begriff des digitalen Darwinismus allerdings richtig, nämlich eher adaptiv denn disruptiv und damit genau so wie Evan Schwartz als Urheber diesen Begriff gemeint hat, dann ergibt sich daraus zwangsläufig ein ganz anderes, nämlich tatsächlich eher evolutionäres denn disruptives Führungsverständnis.

Wie ein solches evolutionäres Führungsverständnis aussieht, kann man u.a. hier nachlesen.

Christoph Herrmann

Digitaler Darwinismus reloaded (Teil 2)

Des Eindrucks, viele könnten der Digitalisierung nur noch "berauscht" begegnen, kann man sich leider auch im Umgang mit dem Thema „Big Data“ häufig nicht erwehren. Dass Daten ein neuer zentraler „Rohstoff“ unserer Wirtschaft sein werden oder bereits sind, daran besteht kein Zweifel. Ebenso ist jedoch auch klar, dass man diesen Rohstoff nur dann auch in Zukunft nachhaltig nutzen können wird, wenn man damit nicht so umgeht, wie es die „Hasardeure“ zu Zeiten des Goldrausches getan haben, nämlich ohne Sinne und Verstand.

Zwei kurze Beispiele hierzu:

Ein Anwalt erzählte mir kürzlich von der Idee einer Trading Plattform im Netz, bei der es im Prinzip gar nicht um das "Traden" (sprich "Handeln") von irgendetwas gehe. Die Trading Plattform sei gewissermaßen nur ein trojanisches Pferd, um eine „kleine Box“ in Privathaushalten installieren zu dürfen, bei denen Nutzer Tonnen von Daten zur Verfügung stellten, ohne davon Kenntnis zu haben.

Ganz ähnlich die Diskussion mit einem Beraterkollegen vor einigen Monaten, der sich an einer Firma beteiligt hat, die Daten über Patienten im Netz sammelt, um diese an Versicherungen weiterzuleiten, ohne dass die Patienten wirklich etwas davon wüssten.

Die beiden Beispiele sind nicht nur in ethischer Hinsicht problematisch, sondern auch im Hinblick auf die darin zum Ausdruck kommende juristische wie wirtschaftliche Naivität.

Es ist nicht nur rechtlich höchst bedenklich in Geschäftsmodelle zu investieren, die bereits mit geltenden Datenschutzrecht kaum zu vereinen sind. Auch wirtschaftlich stellt sich die Frage, ob sich mit der Anfang 2018 in Kraft tretenden neuen europäischen Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) die Grundlagen solcher Geschäftsmodelle nicht noch einmal erheblich verändern werden.

So manches aktuell noch gehypte datengetriebene Geschäftsmodell könnte dann tatsächlich ganz „digital darwinistisch“ vom Markt verschwinden. Besser beraten ist, wer sein Geschäftsmodell bereits jetzt adaptiv an die neuen Gegebenheiten anpasst. Auch Amazon („Alexa“) und andere Data Crawler werden das tun müssen.

Noch einmal: Daten werden immer wichtiger und „Big Data“ bringt – richtig umgesetzt – wirtschaftlich wie gesellschaftlich viele Vorteile mit sich. Aber eben nicht, wenn man damit in Wild West Manier umgeht oder aber mit der in vielen Unternehmen derzeit noch anzutreffenden Naivität, welche eine befreundete Anwältin jüngst folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat:

„Seit Jahren treffe ich in den Unternehmen auf eine paradoxe Mischung aus Bedenkenträgern (Betriebsrat, Arbeitnehmer, die aber dennoch gerne WhatsApp und Skype verwenden) und sorglosem Management, das gerne möglichst schnell der Anfrage der US-Mutter nach Übertragung aller HR Daten an das Headquarter nachkommen möchte/muss.“

Wer sich als Unternehmen wirklich adaptiv-evolutionär weiter entwickeln will, ist gut beraten, diese Naivität schleunigst abzulegen.

Auch in ethischer Hinsicht stellen sich wichtige Fragen, die im Sinne einer „Minima Moralia“ dringend stärker Eingang in die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Diskurse dieser Tage finden müssten.

Beate Junginger

Damit die Digitale Transformation ein Erfolg wird

Wie jeder Change-Prozess spaltet auch die Digitale Transformation die Menschen innerhalb der Unternehmen in unterschiedliche Lager. Und das auf Führungs- wie auf Belegschaftsebene. In einer aktuellen Befragung von Großunternehmen der Digital-Beratung etventure zeigen sich die größten Hemmnisse bei der Digitalen Transformation bei den Menschen: Die Mitarbeiter reagieren mit Widerstand, 50% verteidigen bestehende Strukturen. Deshalb ist das Thema in Deutschland mittlerweile bei 35% der Unternehmen zur Chefsache geworden, um einschneidende Entscheidungen zu treffen und vor allem umzusetzen zu können. Die Belegschaft soll für die Bedeutung der Veränderung mitgenommen werden.

# Mitarbeiter im Widerstand

Doch das hat doch bei bisherigen Change-Prozessen auch schon nicht wirklich geklappt. Warum jetzt, wenn der Druck, die Unsicherheit und auch die Veränderungen exponentiell höher sein werden als in jeder bisherigen Change-Initiative? Viele Mitarbeiter der klassischen old-economy-Supertanker fragen sich noch immer nicht, wie sie mit den Veränderungen umgehen werden, sondern ob sie die Veränderungen überhaupt wollen. Als hätten sie es eine Wahl. Es ist die Illusion, dass sie Opfer neuer Umstände seien, die einfach aufgehalten und umgekehrt werden müssten. Es ist die Leugnung des Offensichtlichen und Unabwendbaren. Wie Kinder, die Verstecken spielen und sich die Augen zuhalten, um unsichtbar zu werden. Interessanterweise sind Mitarbeiter mit dieser Haltung viele Jahre lang tatsächlich durchgekommen, weil sich Führungskräfte nach vielen vergeblichen Versuchen von Überzeugungsarbeit entnervt den Willigen zugewandt und die Widerständler irgendwie mitgeschleppt haben. Doch das wird sich in Zukunft kein Unternehmen und keine Führungskraft mehr leisten können. Um die Menschen wirklich mitnehmen zu können, sollte die Chefetage die eigene Flughöhe zu verlassen, um zu schauen, was es wirklich braucht.

# Die Versäumnisse der Vergangenheit

Bei Mitarbeitern im Widerstand ist schnell von „Altlasten“ die Rede, die eben nicht entsorgt werden können, sondern gelagert werden, während sie kräftig das Grundwasser vergiften. Doch die Haltung dieser Mitarbeiter ist nicht entstanden, sie wurde aktiv und auch passiv geschaffen. Von den Mitarbeitern selbst. Vor allem aber ist mitunter eine sprichwörtliche Reihe von Führungskräften und damit das Unternehmen ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden: Mitarbeiter nicht nur fachlich und strukturell, sondern vor allem auch emotional zu befähigen, ihr Potential zu entwickeln. Und wenn das an dieser Stelle nicht möglich ist, eine andere zu finden. Es nicht zuzulassen, dass jemand seine Ressourcen und damit die seines Teams und des Unternehmens vergeudet, weil er oder sie in den Widerstand geht oder die vereinbarte Leistung nicht erbringt.

# Was Mitarbeiter wirklich wollen

Erfolgreiche Führungskräfte haben längst verstanden, dass Widerstand nur eine missglückte Formulierung eines Bedürfnisses ist: Mitarbeiter wollen zum gemeinsamen Erfolg beitragen und das Selbstvertrauen haben, das auch zu können.

Jetzt sind wir wieder beim „man muss die Mitarbeiter mitnehmen“: Große PowerPoint-Präsentationen werden erstellt, Workshops organisiert und eine großangelegte interne Medienkampagne, vom Intranet über Poster etc. aufgesetzt. Doch auch das verfehlt zur Überraschung vieler seine Wirkung. Damit die Mitarbeiter intellektuell verstehen können, müssen die Führungskräfte emotional verstehen:

Es sind doch folgende Fragen, die nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Mitglieder des mittleren Managements derzeit stark beschäftigen:  Werde ich mich auf die neuen Herausforderungen einstellen können? Kann ich fachlich, aber auch mental mithalten? Kann ich noch Halt finden in einem Unternehmen, wenn ich nicht mal mehr einen festen Arbeitsplatz haben werde? Werde ich noch einen wertvollen Beitrag leisten können? Werde ich mich und meine Familie auch in Zukunft durch meine Arbeit ernähren können? Kurz gesagt, es sind die ganz existenziellen Ängste der Menschen:

  1. Habe ich genug?
  2. Werde ich geschätzt/geliebt/gebraucht?
  3. Bin ich gut genug?

# Im Wohnzimmer löschen, wenn es in der Küche brennt

Besonders in Zeiten der digitalen Transformation wirken – zumeist sogar unbewusst – tiefsitzende Bedürfnisse und Ängste. Doch diese werden von der instrumentellen Logik des Managements nicht erfasst, was die Probleme meist verschärft. Das ist so, als ob man im Wohnzimmer löscht, wenn es in der Küche brennt. Viele Manager unterliegen auch dem Missverständnis, dass der Umgang mit Befindlichkeiten, der Begegnung auf der Beziehungsebene mit einem Autoritätsverlust einhergeht. Sie glauben, man müsse jetzt nur noch lieb sein und dem anderen seine Wünsche erfüllen. Dabei eiern sie herum und richten in ihrer Hilflosigkeit in abwechselnd verharmlosender, beschwichtigender und dann wieder sehr harter und bestimmender Art und Weise auf der Beziehungsebene ungewollt großen Schaden an. Klarheit und Wertschätzung multiplizieren sich wirkungsvoll, sie schließen sich nicht aus.

Das Verständnis des Wofür, das Sensemaking kann nur in der persönlichen Auseinandersetzung entstehen, im Gespräch, im Ringen – gar nicht unbedingt im Finden – eines gemeinsamen Verständnisses. Keine Kampagne, keine Präsentation kann signalisieren: „Es kommt auch auf Dich an, komm mit!“ Das kann nur im persönlichen Gespräch entstehen. Nicht in hektisch aufgesetzten Meetings, sondern im täglichen Kontakt.

# Damit die digitale Transformation klappt

Die eingangs genannte Studie benennt den Kulturwandel als „... eine notwendige Voraussetzung auf dem Weg zu einer agilen und exiblen Gesamtorganisation. (...) Wenn es um Einstellung und digitales ‚Mindset’ geht, liegen Welten zwischen Deutschland und den USA. Die Ergebnisse bestätigen aber auch, dass Digitalisierung nicht allein dazu dient, Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle für die Zukunft zu machen, sondern auch als Aushängeschild auf dem Arbeitsmarkt dient.“

Doch die Frage, wohin ein Kulturwandel führen und vor allem wie der initiiert und durchgeführt werden kann, wird auch in dieser Studie weder erfragt, noch beantwortet. Aus unserer Sicht ist das die wichtigste Frage, die sich bislang jedoch kaum jemand stellt. Der Fokus bei fast allen Veröffentlichungen und Diskussionen in Foren ist noch immer vor allem auf der transaktionalen Seite, dem „WAS“: Strategien, Ziele, Maßnahmen. Und aus guter alter Gewohnheit werden auch die kulturellen Themen ebenso angepackt. Doch es braucht keine neuen Maßnahmen, sondern eine neue Art, die Dinge zu erleben und zu tun. Eine Transformation des Innen. Um überhaupt agil und disruptiv handeln zu können, müssen Menschen ihr mentales Betriebssystem umstellen. Sich ihrer meist unbewussten Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster bewusster werden und diese gegebenenfalls justieren. Und Verantwortung übernehmen nicht nur für ihr Handeln, sondern auch für ihr Denken.

# Den Veränderungsmuskel trainieren

Was auch immer an Herausforderungen an uns herangetragen wird, durch die Digitalisierung oder unseren Alltag, werden wir Menschen lösen müssen und dürfen. Um durch positive Veränderungs-Erlebnisse ein gesteigertes Selbstvertrauen zu bekommen, müssen Führungskräfte sich und ihre Mitarbeiter regelmäßig aus der Komfortzone holen. Bevor es das richtige Leben tut. Dann ist fühlen sich Menschen den Herausforderungen eher gewachsen. Und es braucht viele Gespräche, inoffiziell, damit die Mitarbeiter eine andere Sicht auf sich und die Dinge finden können. Es muss viel mentale Aufräumarbeit in den Köpfen nachgeholt werden, um sich auf das zu fokussieren, was gestaltet werden kann. Die Vergangenheit, das Verlorene und Entscheidungen, auf die wir keinen Einfluss haben, sind es jedenfalls nicht.

Beate Junginger

Living in a VUCA-World

Durch die digitale Transformation entfaltet sich eine neue Dynamik im Inneren der Unternehmen, die sich mit der Dynamik außerhalb zunehmend potenziert. Das in den 90-er Jahren dem militärischen Vokabular entsprungene Akronym VUCA (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) drückt dieser Tage das Erleben vieler Menschen in Zeiten der Digitalisierung aus. Die Auswirkungen auf das gesellschaftliche, berufliche und auch private Leben sind so komplex und interdependent wie die Veränderungen in ihrem Ausmaß und ihrer Geschwindigkeit kaum berechenbar sind. Es kennt sich kaum noch jemand aus.

Das stellt besonders Führungskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Sie sind stärker als früher gefordert, dieser Dynamik nicht nur zu begegnen und sie aufzulösen, sondern bestenfalls zu antizipieren, um damit verbundene wahrscheinliche Probleme und Konflikte gar nicht erst ausbrechen zu lassen.

Entscheidend dabei ist jedoch, dass die Digitalisierung richtig umgesetzt wird und in den Unternehmen wie gewünscht zu „mehr Zeit“, „mehr Entlastung von Routinen“, „mehr Raum für persönliche Kommunikation und Entfaltung“, statt zu „mehr Belastung“, „ständiger Überforderung“ und einer de facto „Abnahme von persönlichem Austausch“ und von „freien Entfaltungsmöglichkeiten“ im Job führt.

Damit genau das passiert, müssen viele Führungskräfte jedoch erst einmal ihre eigenen Verhaltensweisen und mentalen Modelle verändern. Viele von ihnen sind nämlich aktuell noch ziemlich „lost in transformation“, obwohl sie nach außen natürlich genau das Gegenteil vorgeben.

Führungsverständnis verändern? Anders führen? Machen das Führungskräfte nicht bereits? Findet hier nicht schon längst eine Veränderung im Management statt?

Glaubt man der Managementpresse, dann hat die Neuerfindung der Unternehmensführung schon längst stattgefunden. „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“, so titelte beispielsweise kürzlich der Harvard Business Manager und zeigt dabei auf, wie man den Spagat zwischen Tempo und Tagesgeschäft mit mehr „Agilität“ meistern kann.

Ganz ähnlich das Manager Magazin, das mit Timotheus Höttges, Johannes Teyssen und Dieter Zetsche gleich drei DAX-30-Vorstände auf sein Cover setzt und zu „Kings of Cool“ ernennt, weil sie ihre Unternehmen nicht nur einem konsequenten Digitalisierungskurs verschrieben, sondern dabei auch ihren Führungsstil verändert hätten.

# Midlife-Crisis

Also alles cool im Manager-Land? Oder ist der „digitale“ Führungsstil nicht eher so, als sei das Management in eine Art kollektive Midlife-Crisis geraten?

Nachdem sich in Sachen Führung in deutschen Unternehmen lange eher wenig getan hat, Veränderungen nur schleppend und gegen großen Widerstand umgesetzt wurden, die Kommunikation zwischen Führungskräften und ihren Teams mehr und mehr unter die Räder einer ausufernden Reporting-Kultur geriet, wo lange also keinerlei Bewegung möglich schien, bleibt plötzlich gefühlt über Nacht kein Stein mehr auf dem anderen.

Wie bei so manchem Mann in den besten Jahren, der von einem Tag auf den anderen ins Fitnesscenter stürmt, die Familienlimousine gegen einen Sportwagen tauscht, fortan Dreitagebart, löchrige Jeans und Sneakers trägt, sich eine junge Geliebte zulegt und sich plötzlich fühlt, als sei er ein ganz anderer Mensch, so sind auch in den Unternehmen nun plötzlich scheinbar revolutionäre Veränderungen gewünscht und gewollt.

Es stellt sich also die Frage: Wie viel ist dran an der schönen neuen Führungskultur? Hält sie einem Faktencheck stand? Und falls nicht: Wie muss sich Führung verändern, um den Anforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden?

# Faktencheck

Nimmt man allein die aktuelle Managementsprache unter die Lupe, so werden Buzzwords wie „Agilität“, „Disruption“, „Radikale Innovation“ und „Teamorientierung“ heute so gut wie von jedem Manager gebraucht. Es gehört inzwischen zum Selbstbild einer modernen Führungskraft, modern, freundlich, mitarbeiterorientiert, delegationsbereit, agil und auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern zu sein. Zumindest steht das so auf vielen Flaggen.

Allerdings sieht die Situation bei Weitem nicht in allen Unternehmen so aus: So ist die Unzufriedenheit mit der Kultur in vielen Unternehmen trotz vieler kosmetischer Verbesserungen immer noch erheblich. Laut der Studie „Jobzufriedenheit 2016“ der Manpower Group ist beispielsweise jeder zweite Deutsche unzufrieden mit seinem Job Als Hauptgründe für die Unzufriedenheit wird dabei häufig die schlechte Kultur im Unternehmen und der direkte Vorgesetzte genannt.

Ulrich Schäfer hat kürzlich in seiner Kolumne "Das deutsche Valley" in der Süddeutschen Zeitung gefordert: Seid demütig! "Tatsächlich trifft man oft auf das Gegenteil: Arroganz, Überheblichkeit, Abgehobenheit. Wer mit Führungskräften aus dem Silicon Valley redet, trifft oft Menschen, die von überzogenem Weltverbesserungsdrang getrieben sind und meinen, sie wüssten, wie die Zukunft aussieht. Und wer mit Führungskräften aus etablierten Konzernen spricht, trifft oft Menschen, die von oben herab entscheiden, im Glauben, sie seien die Klügsten und Besten ...". In seiner Kolumne zitiert er Prof. Michael Wade, den Leiter des Global Center for Digital Business Transformation: "Manager sollten sich bewusst sein, dass sie in einer Zeit, in der sich die Technologie (und damit das Geschäft vieler Unternehmen) rasanter verändert denn je, längst nicht mehr alles wissen können. Sie sollten akzeptieren, dass andere Menschen meist über viel mehr Know-how verfügen - und daher offen sein für deren Rat, Meinung, Feedback."

# Neue Kleider, altes Denken

Kernproblem der neuen schönen Führungswelt ist also, dass man mit Jeans und Sneakers zwar plötzlich ganz anders rüberkommen mag. Drinnen stecken aber – allen Selbstbeschwörungen zum Trotz – immer noch dieselben Manager. Denen fällt es aber häufig schwer, ihr altes Denken und Verhalten abzulegen. Gerade in den Unternehmen, in denen die Wände mit progressiven Selbstbeschreibungen, Führungsgrundsätzen und Bildern vollgepflastert sind, die also den Teamgeist und eine Innovationskultur beschwören, sieht die Realität meist ganz anders aus. Das zeigen nicht nur Phänomene wie Mobbing, innere Kündigung, hohe Krankenstände, Politik und schlechte Stimmung, die immer noch in vielen Unternehmen vorhanden oder gar auf dem Vormarsch sind, sondern auch das häufig schleppende Umsetzungstempo und die hohen Widerstände, mit denen von der Unternehmensspitze intendierte Veränderungen in der Praxis häufig zu kämpfen haben.

Manager haben ja grundsätzlich häufig die Angewohnheit, dem „Mehr“ (mehr Ereignisse, mehr Daten, mehr Information, mehr Herausforderungen, mehr Möglichkeiten) mit einer Strategie des „Mehr“ zu begegnen. Das bedeutet konkret, dass immer mehr Informationen, Vorgaben, Pläne, Ziele, Analysen, Präsentationen, Projekte in das System „Unternehmen“ eingespeist werden.

Gerade in digitalen Umfeldern erlebt man diesen Aktionismus besonders stark: schnell eine neue App, ein Start-up in Berlin, ein „Wir kaufen dann mal eben eine Digitalagentur oder gründen gleich sofort ein „Creative Lab“ in Kalifornien“.

Die Segnungen der digitalen Welt werden auch hier zum Fluch: Die Zahl der E-Mails, Conference Calls, Anrufe auf dem Handy (gern auch am Wochenende), mit denen Führungskräfte ihre Mitarbeiter überschütten, aber umgekehrt auch von diesen traktiert werden, ist deutlich gestiegen. Führt all dies zu mehr Erfolg? Eher nicht.

Immer häufiger trifft man in Unternehmen jedenfalls auf Führungskräfte, die kaum mehr in der Lage sind, sich zu fokussieren. Sie versuchen den Herausforderungen von mehr Dynamik und Intensität mit einer Potenzierung der Dynamik und Intensität zu begegnen, statt genau das Gegenteil davon zu tun. Ein ruhiges Gespräch, ein konzentriertes Meeting, ein „bei der Sache bleiben“ ist da kaum mehr möglich. Manager, die während Meetings ständig auf ihr Smartphone schauen, E-Mails bearbeiten, nicht mehr richtig zuzuhören, all dies ist heute eher die Regel denn die Ausnahme.

Interessant daran ist, dass das nicht nur für etablierte Unternehmen gilt, sondern auch für die digitalen Benchmark-Unternehmen selbst. Dabei sind diese doch eigentlich angetreten, die Arbeitswelt zu revolutionieren. So berichtete jüngst der Facebook-Aussteiger Antonio Martinez, nicht nur Facebook zu nutzen, sondern auch dort zu arbeiten sei wie „legales Crack“.

Tatsächlich generieren solche Aktionen „quick wins“, die kurzfristig das Gefühl der Wirksamkeit, des Erfolges, des Gebrauchtwerdens, der eigenen Bedeutsamkeit simulieren und zur Ausschüttung von Dopamin führen. Die körpereigene Apotheke gibt großzügig Drogen aus, auch wenn der Kater ebenso zuverlässig folgt. Viel schlimmer ist es, dass hier nicht Ergebnisse die Basis für Entscheidungen und Handlungen bieten, sondern der Wunsch nach dem nächsten Selbstbestätigungstrip. Statt eines wirklich mutigen Schrittes wird dann eher an der Oberfläche operiert: eine kleine App, ein kleiner Website-Relaunch, ein nettes neues kleines Big-Data-Tool, ohne einen rechten Plan, worauf das letztlich einzahlen soll. Das bestätigt auch Thomas Helbing, Vorstand der Ray Sono AG, der in einem Interview mit uns zu dem Urteil kommt:

Unsere Kunden sind am Thema Digitalisierung schon seit vielen Jahren dran, seit den letzten zwei Jahren aber nochmals verstärkt und deutlich umfassender. Aus digitalem Marketing wird digitales Produkt- und Servicedesign. Neukunden-Anfragen zeigen aber auch deutlich, dass besonders in großen Unternehmen ein hohes Maß an Unsicherheit herrscht, Projektideen werden gestartet, viel Geld wird investiert, aber sie scheitern dann häufig an internen Hürden und sind daher eher ‚Corporate Entertainment’, als dass diese einen konkreten Nutzen hätten. Es herrscht regelrecht Goldgräberstimmung: Millionen-Euro-Aufträge, die dann an den kulturellen, organisatorischen und technischen Barrieren innerhalb des Unternehmens scheitern, sind in unserer Branche derzeit keine Seltenheit. Wir beginnen deshalb mittlerweile zunächst erst einmal beratend und setzen dann nur solche Projekte um, die dem Unternehmen dann auch einen echten Mehrwert bieten.

Das Statement von Thomas Helbing zeigt deutlich, dass die Kernherausforderung der Digitalisierung nicht in der Schaffung eines „Mehr“ zu suchen ist, sondern im Gegenteil eher in der Beherrschung dieses „Mehr“, durch die richtige Interpretation, Selektion und Fokussierung auf das Wesentliche, inhaltlich wie menschlich. Dann sind die Mitarbeiter auch wirklich an Bord, statt über die aktuellen Sperenzien der Führungsetage die Augen zu verdrehen.

Christoph Herrmann

Digitizing versus Digitalizing

Immer wieder trifft man bei Kundenprojekten auf die Frage, wie man denn den Begriff der Digitalisierung richtig ins Englische übersetzt. Heißt es nun richtig „digitization“ oder „digitalization“.

Jenseits der reinen Erbsenzählerei gibt es tatsächlich einen fundamentalen Unterschied zwischen beiden Begriffen.

Während der Begriff der „Digitization“ dafür steht, dass man eine eigentlich analoge Quelle, ein analoges Signal, ein analoges Objekt oder auch analoge Prozess „digitalisiert“ spricht in ein numerisches Format transformiert bzw. mit digitalen Eigenschaften ausstattet, bedeutet der Begriff der „Digitalization“ deutlich mehr.

Laut dem Gartner Glossary steht dieser für eine „use of digital technologies to change a business model and provide new revenue and value-producing opportunities; it is the process of moving to a digital business.

Uwe Riss, Senior Researcher for Digital Business, Research & Innovation Hub St. Gallen, bringt den Unterschied am Beispiel SAP schön auf den Punkt: At SAP we’ve done digitization for many decades. Now we are on the way to digitalization, which is different. Digitizing has increased the efficiency of our processes; digitalization means that business now uses technology to engage with people to precisely address their particular needs.”

Wer einem solchen Verständnis folgt, muss deutlich mehr tun als nur einzelne Elemente oder Produkte des eigenen Unternehmens zu „digitalisieren“. Er/Sie muss vielmehr die gesamten Strategien, Strukturen, Prozesse und Führungssysteme im eigenen Unternehmen auf den Prüfstand stellen.

Christoph Herrmann

Empathie 4.0

Leben und arbeiten wir in post-empathischen Zeiten? Diesen Eindruck mag man gewinnen, schenkt man dem Titelbild der letzten Ausgabe der Wirtschaftswoche Glauben. Unter der Überschrift: „Die Irrlehre vom emphatischen Chef" wird dort davor gewarnt, zu stark auf seine Mitarbeiter einzugehen.

Dies verwundert umso mehr, da gerade in digitalen Zeiten Unternehmen ihre Wohlfühlstrategien deutlich verstärkt haben. Von Kickertischen über partizipatives Teamworking bis hin zu Scrum für alle: Der Mitarbeiter steht heute mehr denn je im Zentrum der modernen Führungslehre.

Richtig an dem Beitrag der WiWo ist, dass eine falsch verstandene Empathie unproduktiv sein kann. Zu Beispiel dann, wenn sie dazu verleitet, auf notwendige Führung, Orientierung und auch mal ein klares Wort an richtiger Stelle gänzlich zu verzichten. Oder aber, wenn sie nur als „Zuckerguss“ verstanden wird, hinter deren Rücken weiterhin die eiskalte Autokratie gelebt wird.

Dass aber Organisationsforscher und Psychologen inzwischen vor übertriebenem Einfühlungsvermögen warnen würden, ist selbst eine Übertreibung. In der modernen Organisationslehre und Wirtschaftspsychologie dominieren ganz klar die Beiträge, die belegen, dass Empathie eher eine Stärke denn Schwäche moderner Führungskräfte ist.

Karim P. Fathi spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Sara Konrath gar von einem „Empathie Paradox“:

„Obwohl die Forderungen nach mehr Empathie und Empathieförderung immer lauter werden, ist bezüglich der praktischen Umsetzung ein allgemeiner Rückgang von Empathiefähigkeit zu beobachten... Sogar eine zunehmende Dominanz „anti-empathischer“ Werthaltungen lässt sich vor allem im Top Business beobachten. Studien belegen sogar, dass ein enormer Anteil an Führungskräften psychopathisch – sprich: frei von jeglichem Mitgefühl und Reue – einzuordnen ist. Ein wesentlicher Grund für diesen Trend: Der zunehmende Dauerstress der Leistungs- und Konsumgesellschaft, der sich in der steten Zunahme psychischer Erkrankungen, wie z.B. Burn Out, zeigt und hochgradig „empathiehemmend“ wirkt..“

Karim P. Fathi fordert daher einen neuen aufgeklärteren Umgang mit dem Empathiebegriff im Sinne einer Empathie 3.0. Weniger um ein pures „emotionales Einfühlungsvermögen“ geht es dabei (Empathie 1.0), noch um eine gesteigerte „Selbstempathie“ und die Fähigkeit zur „Integration von Herz und Kopf“ (Empathie 2.0), sondern um eine erhöhte „Kommunikations- und Bindungsfähigkeit, zugleich aber auch Konflikt- und Führungskompetenz und schließlich seelische Widerstandsfähigkeit (Resilienz)“ (Empathie 3.0).

Führung bleibt also auch in digitalen Zeiten wichtig. Sie muss allerdings deutlich flexibler, anpassungsfähiger agieren als noch in nicht-digitalen Zeiten.

Um noch einmal mit Karim P. Fathi zu sprechen: „Vielmehr bedeutet dies die Fähigkeit zwischen unterschiedlichen Verhaltensstilen, angepasst an die jeweiligen Erfordernisse der Situation und der beteiligten Personen, zu variieren. In diesem Sinne zeichnet sich z.B. die „empathische Führungskraft“ nicht nur dadurch aus, sich selbst und ihre Mitarbeiter zu verstehen, sondern auch zwischen unterschiedlichen Führungsstilen – z.B. coachend, gefühlsbetont, aber auch befehlend und fordernd – nahtlos zu wechseln und sie effizient zu kombinieren.“

In unserem Buch d.lead gehen wir noch einen Schritt weiter und fordern im Sinne einer „agilen Souveränität“ anstelle des kreativen Hin- und Her-Switchens zwischen unterschiedlichen Führungsstilen eher ein Blending daraus zu suchen, das empathisch-agile Aspekte mit orientierend-souveränen Elementen kombiniert (Empathie 4.0).

Darin sind wir uns übrigens mit der WiWo einig: Fühlen kann auch in digitalen Zeiten Führen nicht ersetzen. Gute Führung hört zu, fühlt, versteht, kommuniziert und scheut doch vor klarer Orientierung und auch einer harten Entscheidung wo notwendig nicht zurück.

Management ist niemals nur eine „Spielwiese“. Gerade wirklich und nicht nur vortäuschend „empathische“ Führungskräfte verstehen das unserer Erfahrung nach am besten.

Beate Junginger

Von Idioten umzingelt

In der Aprilausgabe der brandeins  spricht Erik Nagel, Professor für Organisation an der Hochschule Luzern über Widerstand der Mitarbeiter: "Wenn Vorstände auf Widerstand stoßen – also etwa auf Mitarbeiter, die sich offen auflehnen oder subtil verweigern –, interpretieren sie das häufig so, dass diese Leute nicht begriffen hätten, was gut für sie ist. Dahinter steht die Überzeugung: Die haben zu spuren."

Wie können Führungskräfte mit den Widerständen der Mitarbeiter oder auch Kunden umgehen, die durch die komplexen und umfassenden Veränderungen im Rahmen der Digitalisierung auftreten? Oder diesen Gegenwind gar verhindern?

Zum einen braucht es in den Führungsetagen mehr Empathie, also die Fähigkeit sich in andere Menschen, die Mitarbeiter hineinzuversetzen, um angemessen reagieren zu können. Es braucht jedoch vor allem eine andere Wahrnehmung, eine Transformation des Innen, um die Zeichen richtig deuten zu können. Sich über Widerstand nicht zu ärgern, sondern als Warnlampe zu sehen und genauer hinzuschauen, was es braucht, um das Projekt (wieder) zum Laufen zu bringen. Im Auto reißt ja auch niemand fluchend die Verkabelung des Armaturenbretts raus, nur weil die Tankanzeige so nervig leuchtet.

Widerstand der Mitarbeiter als Hinweis zu deuten, dass die Mitarbeiter zum einen offenbar noch nicht verstanden haben, warum die Veränderungen nötig sind, zum anderen vermutlich Angst haben. Menschen neigen zum Geisterbahnfahren, also dazu, sich über die Auswirkungen von Veränderungen negative Phantasien zu gestalten. Mitarbeiter sind nur dann aus der Komfortzone herauszulocken, wenn sie einen Gewinn darin sehen und das Selbstvertrauen verspüren, über die Hürde auch springen zu können. Es braucht also eine gemeinsame Vision und Sensemaking. Und dafür braucht es viele analoge Gespräche, gerade in digitalen Zeiten. Somit sind also Führungskräfte dafür verantwortlich, ob es Widerstand im Unternehmen gibt. Die gute Nachricht: Sie sind nicht nur verantwortlich, sie haben auch Einfluss und sind eben nicht "von Idioten umzingelt".

Beate Junginger

Was nützt ein hoher IQ, wenn man ein emotionaler Trottel ist? (Goleman)

Bereits Anfang der 90er-Jahre haben Peter Salovey (Yale University) und John D. Mayer (University of New Hampshire) in einem Artikel über Emotionale Intelligenz aufgezeigt, dass die Fähigkeit sich seiner eigenen Emotionen bewusst zu sein und zu verstehen, wie sie entstehen und wie man sie selbst regulieren kann, offenbar großen Einfluss darauf haben, ob jemand in der Schule gut klar kommt, den Job seiner Träume bekommt oder den Partner fürs Leben findet.

Mit seinem Buch EQ - Emotionale Intelligenz hat der Psychologe Daniel Goleman 1995 das Thema zumindest intellektuell auch in die Führungsetagen der Unternehmen gebracht: "Emotionale Intelligenz ist eine Metafähigkeit, von der es abhängt, wie gut wir unsere sonstigen Fähigkeiten, darunter auch den reinen Intellekt zu nutzen verstehen“ (Daniel Goleman).

Wie die Psycho-Neuro-Immunologie aufgezeigt hat, haben unsere Gedanken und Gefühle sogar direkten Einfluss auf unser Immunsystem und damit auf unsere Gesundheit.

Kontantionos Petrides forscht am University College in London und geht der Frage nach, ob Emotionale Intelligenz gelehrt werden kann: Evidence suggests that EI can be taught, but that the process is more time-consuming and difficult than many self-appointed gurus, teachers, and trainers often suggest (...) First, and most important, the individual usually must be highly motivated and willing to devote considerable time and energy to the change effort. Second, the teacher or trainer must have a high degree of skill, particularly in the social and emotional domains, to be helpful.

Eine Transformation des Innen ist also mit den üblichen Management-Strategien nicht zu lösen.

Christoph Herrmann

Von wegen Revolution?

Einen eher skeptischen Beitrag zum Thema „Digitalisierung“ haben in der vergangenen Woche die Soziologen Stefanie Büchner, Stefan Kühl und Judith Muster in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht.

Sie beklagen dort, dass vieles an dem aktuellen Digitalisierungshype vor allem „Management- und Beratungsrhetorik“ sei. Mehr noch, Sie sprechen sogar von einem„gedanklichen Kurzschluss“, wenn man in digitalen Zeiten automatisch auch von einer„Revolution von Organisationen“ ausgehe. Die „Prise Realismus“, zu der Sie im Umgang mit organisatorischen Fragen in digitalen Zeiten auffordern, teilen auch wir. Allerdings glauben wir, dass sie irren, wenn sie sagen: „Allem Gerede von organisationalen Revolutionen zum Trotz ist in Unternehmen kaum etwas konstanter geblieben als funktionale Arbeitsteilung, die Gliederung in Hierarchien und die Strukturierung von Arbeit durch Programme.“

Bei dieser Diagnose machen es sich die Damen und Herren Soziologen zu einfach. Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte beweist: Neue Technologien haben immer auch neue Organisationsformen hervorgebracht. Das wird auch in der Digitalisierung so sein. Entscheidend ist, wie dabei alte und neue Organisationsformen in Einklang miteinander gebracht werden und wie die für einen Organisationswandel immer notwendigen Transformationsprozesse umsichtig vorbereitet, umgesetzt und geführt werden.

Christoph Herrmann

Mehr Führungsintelligenz wagen

Apropos Führung. Für eine erfolgreiche Digitalisierung braucht nicht nur mehr Digitalkompetenz, sondern auch mehr Führungsintelligenz. Darauf hat u.a. Barbara Liebermeister jüngst in der Zeitschrift Impulse verwiesen: „Führung wird im digitalen Zeitalter immer wichtiger – denn je instabiler sowie von Veränderung geprägter das Umfeld der Unternehmen ist, um so mehr sehnen sich ihre Mitarbeiter nach Halt und Orientierung.“

Richtig führen ist jedoch eine Selbstverständlichkeit. Sie muss gelernt werden! Oder, um es anders zu formulieren: Um in digitalen Zeiten richtig zu führen, müssen Führungskräfte „umlernen“. Neben mehr Digitalkompetenz brauchen sie vor allem mehr „Persönlichkeitsintelligenz“ und „Beziehungsintelligenz“, so Barbara Liebermeister in der Zeitschrift Impulse. „Führungskräfte sollten sich als emotionale Leader begreifen, die ihre Mitarbeiter inspirieren, so dass diese sich freiwillig für das Erreichen der gemeinsamen Ziele engagieren.“

Emotionale Leadership bedeutet dabei keineswegs die Abwesenheit von Führung. Gerade in digitalen Zeiten besteht eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung von Führung darin, dass Manger ihren Mitarbeitern Orientierung bieten. Dafür sind Vertrauen und Kommunikation wichtig. Aber ebenso „klare Ansagen“, wenn beispielsweise das Schiff mal in schwere See gerät. „Knowing where to go ‚tight’ and ‚loose’“, darin besteht laut Linda Holbeche, Autorin des Buches „The agile organization“ (How to build an innovative and resilient business) daher auch die Hauptherausforderung für Unternehmen in agilen Zeiten.

Wir bezeichnen diese Fähigkeit als „agile Souveränität“: „Souverän agil bzw. agil souverän ist, wer in Zeiten hoher Dynamik, Ereignisdichte und Unsicherheit, aktiv, adaptiv, flexibel und damit möglichst effektiv auf eine jeweils gegebene Situation reagieren kann.“

Beate Junginger

Wie künstliche Intelligenz lernt

Mit „Quick, draw!“ hat A.I. Experiments sehr unterhaltsam aufgezeigt, wie künstliche Intelligenz lernt. Sehr lustig. Weitere Experimente gibt es hier: A.I. Experiments.

Christoph Herrmann

Warum wir eine andere Digitalpolitik brauchen

Dass die Digitalisierung einen fundamentalen Wandel mit sich bringt, haben inzwischen viele verstanden. Allerdings noch nicht so richtig, wie ein richtiger Umgang damit aussehen könnte. Professor Julian Nida-Rümelin hat in einem Gastinterview mit der Zeitschrift Elektronik Praxis vor kurzem sehr schön dargelegt, dass die Digitalisierung unsere Wirtschaft zwar grundlegend verändern wird, aber der damit verbundene fast schon religiös anmutende Glaube an einen „Transhumanismus“ doch in vielerlei Hinsicht „utopische Fantasterei“ sei.

Vonnöten ist aus seiner Sicht daher ein realistischerer Umgang mit der Digitalisierung. Und: Es braucht gesetzliche Normen, die diese Digitalisierungsprozesse einrahmen“.

Ähnlich wie Prof. Julian Nida-Rümeling fordert Tobias Kollmann in einem Beitrag zur Netzpolitik bei Zeit Online: „Deutschland braucht endlich eine Digitalpolitik!“

Auch wenn sich die Bundesregierung inzwischen intensiver um eine angemessene Digitalpolitik bemüht (man denke nur an die aktuellen Gesetzesinitiativen von Heiko Maas zur Bekämpfung von Hass und rechtswidrigen Inhalten im Netz), so sei Deutschland „digitalpolitisch immer noch #neuland und eben nicht #digitalland. Und das ist im internationalen Wettbewerb fatal.“

Ein Grund für die Misere sieht er u.a. darin, „dass für Digitalpolitik irgendwie jeder und doch niemand so richtig zuständig ist.“

Seine Forderung daher: „Neben einem schlüssigen ressortübergreifenden Konzept braucht es nach der Bundestagswahl zudem jemanden, der es umsetzt und eine Digitalpolitik aus einer Hand ermöglicht: einen zentralen Digitalminister mit einem eigenständigen Ministerium für Digitales in Berlin.“

Christoph Herrmann

Strategien gegen den digitalen Overkill

Die Digitalisierung, wie jede technologische Revolution, bringt für Mitarbeiter und Manager nicht nur Vorteile mit sich, sondern ist auch häufig mit einer mentalen Überforderung verbunden, worauf Sabrina David jüngst in der Fachzeitschrift ADP Personalmanager hingewiesen hat.

Sie plädiert daher für einen souveräneren Umgang mit den neuen digitalen Medien, vor allem um die Fähigkeit, sich fokussieren zu können, nicht zu verlieren: „Unsere Slow-Types-Studie hat ergeben, dass 93 Prozent aller Bundesbürger es wichtig finden, sich voll und ganz auf das zu konzentrieren, was sie gerade tun. Und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Das ist ein sehr hoher Wert und zeigt, dass Fokussierung ein Grundbedürfnis ist. Bei der digitalen Kompetenz geht es aber nicht um on- oder offline. Es geht darum, das souveräne Hin-und-Herschalten zwischen On und Off zu lernen und zu ermöglichen... Es ist ein sehr wichtiges Startsignal, dass sich die oberste Führungsebene diesem Thema zuwendet und den digitalen Arbeitsschutz offensiv auf die Agenda setzt: 'Wir wollen, dass Ihr konzentriert arbeiten könnt und suchen nach Wegen, wie das am besten geht', lautet das Zeichen. Und dann müssen Führungskräfte natürlich als Vorbild vorangehen und dürfen sich selbst nicht im E-Mail-Klein-Klein verzetteln.“