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Governance 4.0

# Die Kunst der guten Unternehmensführung

Wie wir am Ende des letzten Kapitels bereits gezeigt haben, sind die Digitalisierung von Unternehmen und daraus notwendige Führungsveränderungen also nicht nur ein Thema, welches das mittlere Management betrifft, sondern insbesondere auch die Spitze von Unternehmen einschließlich ihrer Vorstands-, Aufsichts- und Beiratsgremien.

Führt man sich einmal die zahlreichen Probleme, Konflikte und Krisen vor Augen, die es an der Spitze von Unternehmen heute gibt, dann ist es aus unserer Sicht tatsächlich angebracht, – jenseits aller modischer Attitüden – eine Weiterentwicklung der Kultur der Unternehmensführung im Sinne einer „Corporate Governance 4.0“ zu fordern.

4.0 ist dabei nicht nur als Referenz an die zunehmende Digitalisierung industrieller Prozesse zu verstehen (Stichwort: Industry 4.0), sondern als weiterer wichtiger Schritt in der Herausbildung der Kultur einer wirklich „guten Unternehmensführung“ („Good Governance“) an der Spitze von Unternehmen.

Am Anfang dieser Evolution (Governance 1.0) steht dabei die vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren begonnene Debatte darüber, wie man über bestimmte Grundregeln ein ordentliches Funktionieren der Führung und Überwachung von Unternehmen sicherstellen kann.

Hintergrund dieser Fragestellung waren nicht zuletzt zahlreiche Skandale und Probleme, die eben aufzeigten, dass die Führung und Kontrolle von Unternehmen keineswegs einfach nur eine „Kunst“ darstellt, für die man ein Talent besitzt oder aber nicht, sondern für die man tatsächlich Orientierungsraster aufstellen kann, an denen sich jeder gute Unternehmenslenker und Aufsichtsrat orientieren sollte.

Zu dieser Grunderkenntnis kam in einer zweiten Entwicklungsstufe (Governance 2.0) ein gewisses ethisches Anspruchsdenken hinzu.

Unternehmensführung sollte demnach ganz im Sinne des „Good Governance Kodexes“ nicht einfach nur gelingen, sondern auch gewisse moralische Mindestansprüche erfüllen. Zu den dabei geltenden Grundprinzipien zählt z.B. ein transparentes und formelles Verfahren zur Bestimmung der Board-Mitglieder, ein angemessener Umgang mit Risiken, Managemententscheidungen, die auf eine langfristige Wertschöpfung und nicht kurzfristige Partikularinteressen ausgerichtet sind, die Wahrung der Interessen verschiedener Stakeholder-Gruppen und eine zielgerichtete Zusammenarbeit der Unternehmensleitung und -überwachung.

Neben diesen wichtigen Grunddimensionen der Governance (Grundregeln + Ethik) haben in den letzten Jahren verstärkt auch kulturelle Aspekte Eingang in die Corporate-Governance-Debatte gefunden (Governance 3.0). Vornehmliche Zielsetzung dabei ist es, durch den verstärkten Einbezug von Mitarbeiterbedürfnissen eine gelingende Führung von Unternehmen zu ermöglichen. Ein Resultat daraus sind nicht zuletzt die bereits mehrfach in diesem Werk angesprochenen „Wohlfühlmaßnahmen“ für Mitarbeiter, aber auch die verstärkte Schaffung offener Teamkulturen auf der unteren oder mittleren Ebene des Unternehmens. Damit meinen die meisten Vorstände gerade auch in Zeiten der Digitalisierung schon einen Großteil der kulturellen Transformation bewältigt zu haben.

Unsere Erfahrung zeigt jedoch genau das Gegenteil: Wenn es den Führungs- und Kontrollgremien von Unternehmen nicht gelingt, die oft von erheblichen Egoismen, Konflikten und Machtspielen geprägten Kulturen an der Unternehmensspitze selbst zu transformieren, dann ist es nahezu unmöglich, eine gelingende innere und/oder äußere Transformation auf den mittleren und unteren Ebenen des Unternehmens zu vollziehen.

Warum dies so ist und warum es eine persönliche Transformation von Führung im Sinne einer Governance 4.0, die über die eine rein rechtliche, ethische und kulturelle Dimension hinausgeht, an der Spitze von Unternehmen braucht, das versuchen wir anhand der folgenden Ausführungen zum „digitalen CEO“, „digitalen Vorstand“, „digitalen Aufsichtsrat“ sowie „digitalen Netzwerk“ aufzuzeigen.

# Der digitale CEO

Gibt es einen „digitalen CEO“? Glaubt man der Wirtschaftspresse, dann ja.

Doch was ist das eigentlich für eine Spezies? Ist der digitale CEO jemand, der sich den ganzen Tag im Internet aufhält und der dabei die digitalen Medien kreativ zu nutzen weiß? Ist das jemand, der unbedingt selbst ein „Digital Native“ oder gar „Digital Nerd“ sein sollte? Einer, der einen Tesla fährt, die neuesten technischen Gadgets sein Eigen nennt und seine Mitarbeiter ständig mit Stories von seiner letzten Reise ins „Silicon Valley“ auf Trab hält?

Aus unserer Sicht eher nein. Wer ständig die Religion der Digitalisierung wie eine Monstranz vor sich herträgt und zwischen privater Nutzung digitaler Medien und tatsächlich sinnvollen Digitalisierungsstrategien des eigenen Geschäftes nicht zu differenzieren weiß, der ist aus unserer Sicht auch kein wirklich digitaler CEO.

Ein digitaler CEO ist vielmehr einer, der die Chancen der Digitalisierung rechtzeitig erkennt, der seinem Unternehmen den richtigen Weg in die Digitalisierung ermöglicht, der ein „Digitalization Enabler“ ist und die richtigen Weichen hierfür im Unternehmen zu stellen weiß. Und für den die Digitalisierung so selbstverständlich ist, dass er sie als Thema nicht mehr vor sich herträgt und Wirtschaftsjournalisten in die Blöcke diktieren muss.

„Der digitale CEO ist der wichtigste Enabler für eine erfolgreiche digitale Transformation.“ d.lead

Ein wirklich digitaler CEO im agil-souveränen Sinne ist aber auch ein CEO, der die Risiken, Herausforderungen und wahrscheinlichen Barrieren der Digitalisierung für das eigene Unternehmen, die Mitarbeiter und Kunden nicht ausblendet, sondern diese aktiv managt, der die eigene Kultur im Unternehmen bewusst transformiert und sein eigenes Führungsverhalten entsprechend anpasst.

Warum wir das so ausdrücklich betonen? Weil in der Öffentlichkeit (und in der Selbstbeschreibung des digitalen CEOs gegenüber der Öffentlichkeit) so oft das Gegenteil davon betont wird.

Ein Beispiel von vielen hierzu:

01.08.2016 Pressemitteilung von Opel unter der Überschrift: „DREI JAHRE AUF TWITTER: OPEL-CHEF DR. NEUMANN IST DER DIGITALE CEO“.

>> Rüsselsheim: „Hallo Welt, hier twittere ich als #Opel/#Vauxhall CEO zum größten #Comeback in der Automobilindustrie /KTN.“ Mit dieser Nachricht ging Dr. Karl-Thomas Neumann vor drei Jahren als erster „digitaler CEO“ eines europäischen Autoherstellers beim Social Media-Portal Twitter an den Start. Dies nur wenige Monate, nachdem er bei Opel das Ruder übernommen hatte. Damit machte der neue Opel-Chef deutlich, dass zielgruppengerechte Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil für den Erfolg ist. (...) Mit seinen Kurznachrichten auf @KT_Neumann erreicht der digitale CEO jährlich mehr als drei Million Menschen. Neben Twitter ist er auf weiteren Social-Media-Kanälen wie LinkedIn, YouTube sowie XING aktiv und seine Follower-Zahl wächst stetig.

Jetzt lernen die User eine ganz neue Seite von Dr. Karl-Thomas Neumann kennen: Auf Instagram tritt der 55-Jährige nicht als Unternehmenslenker, sondern als Sportsmann in Erscheinung: Hier wird er mit dem Mountainbike, Segelboot, Opel-Oldtimern oder auf seinen Laufschuhen unterwegs sein.

„Twitter war für die Social-Media-Karriere von Dr. Karl-Thomas Neumann die Initialzündung“, sagt Opel-Kommunikationschef Johan Willems. „Er zeigt, wie wichtig es ist, unterschiedliche Zielgruppen über den jeweils passenden Kanal anzusprechen und sie dort abzuholen. Zugleich beweist unser digitaler CEO, dass wir es ernst meinen mit der Nahbarkeit: Unsere Kunden stehen eben immer und überall im Mittelpunkt.“

Man fragt sich sofort: Was macht der Mann den Rest des Tages so, wenn er sich dauernd nur um seinen LinkedIn-Account, seine Twitter-Nachrichten und seine YouTube-Videocasts kümmert?

Ernsthaft: Natürlich hat er seine Experten dafür und natürlich ist die Nutzung „sozialer“ Netzwerke für die Unternehmenskommunikation heute unerlässlich. Auch ist Karl-Thomas Neumann, was man so liest, ein durchaus erfolgreicher Manager, der eine nicht einfache Aufgabe zu bewältigen hat, nämlich die immer noch etwas angestaubte Marke Opel in die Zukunft zu führen.

Allerdings zeigt die obige Pressemitteilung anschaulich, dass es doch einen erheblichen Unterschied macht, ob man digitale Plattformen nutzt, um das eigene Unternehmen nach vorn zu bringen oder um PR in eigener Sache für sich zu machen. Letzteres ist aus unternehmerischer Perspektive nur bedingt effizient. Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt: Mitarbeiter, Kunden und selbst Investoren nehmen derartige Selbstbeschwörungen und Selbstinszenierungen heute kaum noch ernst. Weil Sie inzwischen erkannt haben, dass der kreative Umgang mit sozialen Medien mit den tatsächlichen Herausforderungen der Digitalisierung nur bedingt etwas zu tun hat.

Die Welt am Sonntag berichtete über US-Präsident Donald Trump, dass dieser zwölf Tweets pro Tag produziere, jedoch ein großes Misstrauen gegenüber Computern hege. Wer auf eine E-Mail überhaupt eine Antwort erhalte, finde im Anhang ein PDF seiner eigenen E-Mail mit handschriftlichen Notizen, die ein Mitarbeiter von Donald Trump eingescannt und verschickt hätte.

Um Computer mache Trump einen großen Bogen. Der digitale Vordenker und Journalist Jeff Jarvis nennt das Tech-Panik. Trump sei technisch weitgehend in den 1980er-Jahren steckengeblieben. Seine Information erhalte er nur auf Papier. Er empfehle den Sicherheitsdiensten sogar, sensible und geheime Informationen wieder per Kurier zu versenden. Die Tech-Giganten im Silicon-Valley machen sich bereits Sorgen um den Tech-Standort USA, wird Jarvis in der Welt am Sonntag zitiert.

# Den digitalen Impact verstehen

Eine ganz andere Frage ist dagegen, wie technikaffin CEOs heute sein müssen. Tatsächlich ist die Bewertung der Chancen und Risiken, die mit neuen digitalen Technologien verbunden sind, eine Frage, die CEOs nur noch bedingt an andere C-Kollegen und deren Fachabteilungen (IT, F&E, Marketing) übertragen können.

Die Frage, ob sie bei der Digitalisierung der Geschäftsprozesse einen guten Job machen, ob sie die richtigen Weichen stellen, Digitalisierungsprojekte richtig umsetzen oder ob sie sich dabei auch einmal vergaloppieren, muss in modernen Vorständen selbstverständlich das Gremium gemeinsam entscheiden. Am Ende bleibt die Richtlinienkompetenz jedoch beim CEO, um hier zu einem ordentlichen Urteil zu gelangen. Dafür muss er jedoch seine Fachkompetenz in digitaler Hinsicht deutlich ausbauen:

„While in the past it may have been OK simply to get reports from the CMO/CDO/CIO, today’s CEOs need to really understand how digital is impacting on their business. That takes time. Crucially, quite a few current marketers (privately) don’t like the digital space – it’s accountable, it’s mathematical, it’s data driven, the customer is in charge, everything can be tracked. If your CMO doesn’t ‘get it’, that means that he or she is quite probably not reporting what you actually need to know… but now, and increasingly in the future, you simply must begin to know far more about digital if you are to justify your existence as a CEO.“

Da Vorstände und (Haupt-)Geschäftsführer naturgemäß nicht die Zeit haben, sich die entsprechende Expertise allein zu erarbeiten, brauchen sie einen Assistenten- und Expertenstab, der sie dabei unterstützt, eine entsprechende Digitalkompetenz zu erlangen. Nur auf dieser Basis können entsprechende Vorstandsvorlagen erarbeitet und Beschlussvorschläge erstellt werden, die ja nicht zuletzt häufig mit Investitionen in Millionenhöhe verknüpft sind.

# Der Vorteil von grauen Haaren

Die Fällung adäquater Digitalisierungsentscheidungen im Vorstand ist unseres Erachtens auch keineswegs eine Frage, die mit dem „richtigen“ Alter verknüpft ist. Gerade für einen souveränen Umgang mit dem Digitalen ist eine richtige Mischung aus digitalem Aufbrauchswillen und einem gehörigen Maß an Erfahrung unerlässlich.

„If anything, ‘grey hairs’ are even more important. Why? Because they have the business experience that Digital Natives don’t. Subject matter expertise and experience are important and young people (generally) don’t have them, simply because they haven’t been around for long enough to accumulate the knowledge required. 

It (digitalization) is a great opportunity for older people to reinvent themselves – they are the best placed to do this as they have amassed years of relevant experience. Weld that to enhanced understanding of the importance of digital in shaping their businesses and it’s a potent mix that will really drive their companies forward.“

Es kommt also weniger darauf an, wie alt ein Vorstand ist, damit er die Digitalisierung meistern kann, sondern ob er bereit ist, seine Erfahrung mit notwendigen Veränderungen der eigenen Führungskultur zu verknüpfen. Unsere Erfahrung zeigt dabei: Wenn sich altgediente Vorstände auf die digitale Transformation wirklich einlassen und bereit sind, alte Zöpfe im eigenen Verhalten, beispielsweise Machtstreben und Kontrollwahn, abzulegen, dann gibt gerade der Mix aus ihrer Erfahrung und neuen wichtigen Impulsen, die von jungen Führungskräften zwangsläufig ins Unternehmen getragen werden, eine wunderbare Mischung, in der die Digitalisierung gelingen kann.

# Der digitale Vorstand

Wir würden einer der zentralen Grundforderungen dieses Werkes (nämlich der nach mehr Teamorientierung, nach einem neuen Führungsverständnis, nach mehr Angstfreiheit und agiler Souveränität etc.) widersprechen, wenn wir die Verantwortung für die Digitalisierung allein dem CEO oder einzelnen Vorständen zusprechen würden.

Zwar kommt dem CEO als „Primus inter Pares“ auch in Digitalisierungsfragen die Richtlinienkompetenz zu. Für eine wirklich gelingende digitale Transformation von Unternehmen ist aber das Vorhandensein ausreichender digitaler Kompetenzen im gesamten obersten Führungsgremium eines Unternehmens erforderlich.

„Digitale Kompetenz sollte zukünftig in allen Vorstandsressorts vorhanden sein, nicht nur beim CEO, CDO oder CIO.“ d.lead

Es reicht aus unserer Sicht daher auch nicht aus, einfach einen CDO einzusetzen oder gar den CMO, CIO oder CTO alleinig mit Digitalisierungsfragen zu beauftragen. Zu vielfältig und umfassend sind Digitalisierungsfragen, zu umfassend auch die Konsequenzen in anderen Ressorts (Produktentwicklung, Produktion, Marketing & Vertrieb, Controlling & Finanzen), welche die Digitalisierung mit sich bringt.

Digitalisierung ist schließlich nicht nur eine Frage der Technologie. Sie hat, wie Lorraine Twohill, VP Global Marketing bei Google, jüngst festgestellt hat, ganz wesentlich auch mit einem neuen Kundenverständnis zu tun: „It’s about understanding people’s behaviours and how they are changing — particularly in their consumption of goods and services.”

Zwar kann Schaffung von neuen Vorstandsbereichen wie dem CDO oder die Einrichtung eines digitalen Vorstandsausschusses ein wichtiger Hebel sein, um ein solches neues, digital ausgerichtetes Kundenverständnis im Unternehmen zu etablieren. Richtig funktionieren kann die damit verbundene mentale Transformation in der Umsetzung jedoch nur, wenn alle Vorstandsressorts mitziehen.

# Konflikte im Board richtig managen

Warum wir das mit der mentalen Transformation quer durch alle Vorstandsressorts so ausdrücklich betonen, hat einen entscheidenden Grund: Immer wieder scheitern wichtige digitale Transformationsprozesse in Unternehmen, weil im Führungsgremium Uneinigkeit herrscht.

Nach außen hin wird dann zwar meist Einigkeit vorgespielt. Intern gibt es aber erhebliche Grabenkämpfe, die ein Unternehmen häufig bis in unterste Führungsebenen hinein lähmen können.

„Eine erfolgreiche digitale Transformation braucht eine gesunde Streit- und Konfliktkultur im Management Board.“ d.lead

Glaubt man der Berichterstattung der Wirtschaftspresse, dann sind etwa die Führungsspitzen von BMW (im Hinblick auf das Thema „Elektrifizierung“) und Allianz (im Hinblick auf die Digitalisierung des Geschäftsmodells Versicherung) mit derartigen Konflikten in den letzten Jahren erheblich beschäftigt gewesen. Nicht umsonst hat BMW 2016 gleich mehrere Topmanager aus der i-Sparte an das bislang noch unbekannte chinesische Start-up Future Mobility verloren. Die Elektroautosparte war lange Zeit kein Lieblingskind des Gesamtvorstands.

Damit soll keineswegs kritisch mit dem Finger auf diese Unternehmen gezeigt werden. Im Gegenteil: Konflikte sind ein wesentlicher Teil von Veränderungsprozessen. Sie sind sogar notwendig und, falls sie offen und fair ausgetragen werden, auch ein wichtiges Instrument für die Weiterentwicklung von Unternehmen. Er gibt jedoch nichts Schlimmeres für Unternehmen, als wenn die auf Board-Ebene bestehenden Konflikte nicht gelöst und dann in das Unternehmen hineingetragen werden.

Daher ist es aus unserer Sicht genauso wichtig, im Board Personen zu haben, die sich mit Konfliktbewältigungsstrategien, Change-Management-Prozessen und komplexen Transformationen auskennen, wie digitale Technologieexperten.

# Digitale Board Tools

Interessant dabei ist: Digitale Technologien wie Business Intelligence Tools können, richtig eingesetzt, zu einer deutlichen Erhöhung von Transparenz und Objektivität führen, was helfen kann, Konflikte zu vermeiden bzw. zu entschärfen.

Darüber hinaus ergeben sich durch diese Tools erhebliche Zeiteinsparungseffekte, Zeit, die Vorstände – um an das Zitat von Peter Drucker anzuknüpfen – für sich nutzen sollten, um sich entsprechend analogen Themen zu widmen.

Zum Beispiel um die Kommunikation im Board zu verbessern und gemeinsam konstruktiv an der Weiterentwicklung des Unternehmens zu arbeiten. Oder aber, um mehr mit den eigenen Mitarbeitern zu kommunizieren und sich zu überlegen, wie man trotz unterschiedlicher Vorstellungen zu einer gemeinsam abgestimmten Haltung im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens kommt. Und darüber, wie man alle Mitarbeiter auf diese Zukunftsreise mitnimmt.

Die zukünftig immer besser, leichter und immediater zugänglichen Daten zur Lage des Unternehmens sollten also nicht zu einer Verstärkung der Kontrollwut in Unternehmen führen. Sie sollten unseres Erachtens vielmehr im Gegenteil als wichtige Motivationsgrundlage genutzt werden, das Schiff in die richtige Richtung zu lenken.

# Der digitale Aufsichtsrat

Für eine zeitgemäße Aufsichtskultur in Unternehmen gilt im Prinzip das Gleiche wie für den digitalen Vorstand: Auch hier sollten digitale Kompetenzen verstärkt vorhanden sein, auch hier können neue digitale Technologien die Erfüllung der Aufsichtsratsaufgabe erheblich erleichtern. Auch hier gilt allerdings ebenso, dass „digitale Aufsichtsratskompetenz“ neben technologischem Know-how auch eine entsprechende kulturelle Kompetenz umfassen sollte.

Was die letzten beiden Punkte anbetrifft, so gibt es allerdings noch einen erheblichen Aufholbedarf in vielen Unternehmen. Weder verfügen die meisten Aufsichtsrats- und Beiratsgremien in Unternehmen heute selbst über eine entsprechende Digitalkompetenz, noch verfügen sie immer über ausreichende kulturelle Führungskompetenz.

„Auch die Aufsichts- und Beiratsgremien in den Unternehmen müssen dringend digitaler werden.“ d.lead

Dabei können etwa digitale Board-Techniken erhebliche Effizienzvorteile bei der Bewältigung der immer anspruchsvolleren Aufsichtsratsarbeit ermöglichen. So verschaffen beispielsweise entsprechend abgesicherte „Supervisory-Board-Plattformen“ Aufsichtsräten nicht nur einen deutlich einfacheren und schnelleren Zugriff auf wichtige Informationen. Sie ermöglichen auch eine revisionssichere Dokumentation von Board-Entscheidungen bei größtmöglicher Datensicherheit. Damit sinkt das Haftungsrisiko für Aufsichtsräte ebenso wie die Gefahr erfolgreicher Hacker-Angriffe.

# Falsche Besetzungspolitik

Die „Technikferne“ vieler Aufsichts- und Beiratsgremien in Deutschland hängt aus unserer Sicht jedoch weniger mit dem fehlenden Einsatz neuer digitaler Technologien im Board selbst zusammen, als vielmehr mit einer fragwürdigen Besetzungspolitik.

Meist sitzen in den Aufsichtsratsgremien von Unternehmen entweder altgediente oder bereits pensionierte Vorstände anderer Unternehmen oder aber Berufsgruppen wie Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder Unternehmensberater. Selten nur findet man in den Aufsichtsgremien jedoch Technologie-, Marketing-, Personal-, und/oder Zukunftsexperten. Da fragt man sich schon, wie auf dieser Grundlage die Zukunftsfähigkeit von Vorstandsentscheidungen sinnvoll kontrolliert werden kann.

# Fehlende kulturelle Kompetenz

Noch seltener findet man leider Aufsichts- und Beiratsgremien, in denen auch kulturelle Führungskompetenz entsprechend personell verankert ist. Dabei sind es neben Vorstandskonflikten gerade auch kulturelle Konflikte in Aufsichts- und Beiratsgremien, welche die Transformation von Unternehmen erheblich lähmen können.

Noch schwieriger ist es, wenn zwischen beiden Gremien – Aufsichtsrat und/oder Beirat auf der einen Seite und Vorstand/Geschäftsführung auf der anderen Seite – Konflikte existieren und nicht vernünftig ausgetragen werden.

Das Interessante dabei ist: Angst, Aversion und ein Sich-nicht-eingestehen-Wollen der oft zwischenmenschlichen Herausforderungen und Probleme in diesen Gremien verhindern immer wieder, dass wichtige sachlogische Probleme gelöst werden.

Dies zeigt sich beispielsweise bei Familienunternehmen sehr häufig, wo nicht selten familiäre Probleme sachliche Klärungsprozesse in erheblichem Maße hemmen können. Erst ein sauberes Aufarbeiten und Lösen der intrafamiliären Probleme ermöglicht häufig eine Lösung der sachlogischen Themen.

Die Praxis zeigt, dass dies auch in börsennotierten Unternehmen nicht viel anders ist. Wenn Aufsichtsräte dort die tatsächlich bestehenden Divergenzen und unterschiedlichen Vorstellungen über die Zukunft des Geschäftes deutlicher aussprächen und mit ihren Vorständen hinter verschlossenen Türen ausdiskutierten, dann würde dies die Aufsichtsratsarbeit erheblich erleichtern.

„Es braucht deutlich mehr kulturelle Kompetenz an der Spitze von Unternehmen.“ d.lead

Dass das häufig nicht geschieht, hängt leider nicht selten mit einem definitiven „old school of business thinking“ und nicht „new school“ zusammen: überzogenes Egomanentum, Machtstreben, Alleinbestimmungswillen. Man kann nämlich als Führungsgremium, ob im Vorstand oder Aufsichtsrat, nur dann wirklich glaubhaft führen, wenn man es schafft, die inneren Konflikte in diesen beiden Gremien und zwischen diesen beiden Gremien konstruktiv zu lösen.

Dazu muss man sich dessen aber überhaupt erst einmal bewusst sein, genauso wie des eigenen Anteils, den man selbst wohlmöglich daran hat. Geschieht dies nicht, so führt dies zwangsläufig zu einer Destabilisierung der sonstigen Unternehmenssysteme, und das sollte man eigentlich dringend versuchen zu verhindern.

Welche extremen Auswüchse nicht richtig ausgetragene Konflikte an der Führungsspitze und eine falsch verstandene Führungskultur von Unternehmen haben können, belegt u.a. das Beispiel Korean Airlines: Nachdem die Airline in den vorangegangenen Jahren durch eine Serie von Unfällen und Beinahe-Katastrophen in Verruf geraten war, wurde die Fluggesellschaft 2001 einer umfassenden Umstrukturierung unterworfen. Air France und Delta Air Lines hatten bereits aufgrund der mangelnden Sicherheitspolitik ihre Code-Sharing-Flüge nach einem Absturz einer Korean Air Cargo-Maschine Ende 1999 in London Stanstead auf Eis gelegt.

Umfassende Recherchen fanden den Grund für die Unfallserie: Viele Piloten kannten sich aus der Militärzeit und sind dann zur Airline gewechselt. Ehemalige Untergebene fanden sich im Cockpit als Co-Piloten ihrer einstigen Vorgesetzten wieder. Während moderne Flugzeuge auf ein Piloten-Team auf Augenhöhe ausgerichtet sind und es in westlichen Kulturen völlig normal ist, dass der Co-Pilot eingreifen oder warnen kann, wenn dem Piloten ein Fehler unterläuft, war das im konservativen Korea, wo Autorität, Hierarchie und die Angst vor Gesichtsverlust immer noch kulturprägende Elemente sind, schlicht unmöglich.

Dass es Konflikte auf allen Ebenen des Unternehmens gibt, so auch an der Spitze, ist natürlich. Wir sind Menschen. Und Menschen sind nicht nur unterschiedlich. Sie haben auch unterschiedliche Meinungen. Trotz dieser Unterschiedlichkeit mittels friedlicher Mittel zu einer Einigung zu gelangen, ist jedoch ein Wesen entwickelter Kulturen.

Das setzt jedoch voraus, dass man in den Führungsgremien selbst, egal auf welcher Ebene, ob im Cockpit eines Flugzeuges, an der Spitze agiler Teams oder eben in Vorstands- und Aufsichtsratsgremien von Unternehmen, eine Kultur des offenen Austragens von Konflikten und eine damit verbundene explizite Lösungsarbeit zulässt.

Agree to disagree“ heißt dieses Grundprinzip in modernen Führungskulturen, das allerdings mit dem Zusatz „We have to find a common way, anyhow“ verknüpft werden sollte. Eine New Governance, wie wir sie verstehen, internalisiert daher solche Konflikte, statt sie zu externalisieren, sprich: nach unten weiter zu delegieren.

Noch einmal: Auch in Aufsichtsratsgremien ist das Auftreten von unterschiedlichen Meinungen, Reibungen und Konflikten nicht ungewöhnlich. Wir halten diese sogar für normal und in gewissen Grenzen sogar produktiv für ein Unternehmen.

Fraglich ist jedoch, wie sie ausgetragen werden: eher im versteckten Kämmerlein, mit falscher Hinterzimmerpolitik und Intrigen, wie es leider nicht nur viele Aufsichtsräte und Vorstände in den letzten Jahrzehnten praktiziert haben, sondern auch die zahlreichen Berater und Anwälte, die sie umgeben (auch diese spielen eine problematische Rolle, wenn sie dazu beitragen, Unfrieden in die Vorstands- und Aufsichtsratsarbeit hineinzutragen und damit Unternehmen zu destabilisieren).

Oder aber offen, im direktem konstruktiven Wettstreit der Ideen und Modelle mit- und untereinander, durchaus hinter verschlossenen Türen, aber im gemeinsamen Kreis und mit einem klaren Ziel: Am Ende muss eine gemeinsame Haltung entstehen, die nur dann auch geschlossen in das Unternehmen hineingetragen werden kann. Ein Management-Board hat die „Elternschaft des Systems“ inne. Wie bei richtigen Eltern entsteht im System sofort Unruhe, wenn sich die Altvorderen nicht einig sind und das nach außen tragen oder, schlimmer noch, die nächsten Ebenen in den Konflikt mit einbeziehen.

# Trennung von Führungs- und Kontrollaufgaben

Dabei sollte auch in digitalen Zeiten nicht vergessen werden, dass die Trennung von Executive- und Non-Executive-Funktionen im Board-Bereich auch im Hinblick auf die Digitalisierung durchaus Sinn ergibt, ob nun in Form eines gemeinsamen Boards (wie im angelsächsischen und amerikanischen Modell) oder in Form getrennter Boards (wie etwa in Deutschland und Österreich).

Wenn sich allerdings, wie jüngst im Manager Magazin zu lesen, der Trend fortsetzen sollte, dass Aufsichts- oder wie in der Schweiz die Verwaltungsräte immer aktiver in das Geschehen von Unternehmen eingreifen und beispielsweise selbst mit Investoren über Strategiethemen sprechen, dann ist das nicht nur aus „Good Governance“-Gesichtspunkten fragwürdig. Dadurch entsteht vielmehr an der Spitze des Unternehmens ein weiteres Machtzentrum, dass dem Prinzip der agilen Souveränität fundamental widerspricht und in der Vergangenheit bereits einige CEOs dazu veranlasst hat, genervt das Handtuch zu werfen.

Wenn nämlich Mitarbeiter der mittleren Ebene, die für die Digitalisierung entscheidend sind, mitbekommen, dass über ihnen nicht eine (direkter Boss), zwei (Geschäftsführung), sondern mindestens drei Ebenen (Aufsichtsrat) angesiedelt sind, die wichtige Transformationsschritte blockieren, dann werden sie naturgemäß selbst kaum bereit sein, notwendige Veränderungsprozesse voranzutreiben.

Gute Aufsichtsratsarbeit sieht daher anders aus. Sie konzentriert sich auch bei Digitalisierungsfragen darauf zu kontrollieren, ob das Unternehmen und die Geschäftsführung hierfür die richtigen Weichen stellen. Bei einer fehlenden sowie überzogenen Agilität des Vorstands in Fragen der digitalen Transformation sind dem Prinzip einer „agilen Souveränität“ folgend Interventionen durchaus gerechtfertigt. Diese sollte es allerdings nur zwischen dem Vorstand und Aufsichtsrat geben und nicht an diesem vorbei. Das untergräbt sonst nämlich die Glaubwürdigkeit des Vorstandes und hemmt die Umsetzung der Transformation im Unternehmen, und das können der Aufsichtsrat und die Eigentümer selbst so nicht wollen.

Interessanterweise stecken hinter dem aktuellen Trend zu einem stärkeren direkten „Involvement“ von Aufsichtsräten in Fragen der Unternehmensführung häufig institutionelle Investoren und Analysten, die über den Umweg über die Aufsichtsräte Druck auf die Vorstände auszuüben versuchen. Das hat bei vielen Aufsichtsräten bereits zu einem erheblichen „Aufrüsten“ im Hinblick auf die Teams, die sie bei der Erfüllung dieser Aufgaben unterstützen, geführt.

Auch hierbei gilt: Gegen eine aktivere Teilnahme am Geschehen im Unternehmen im Sinne einer wirksamen Erfüllung der Aufsichtsratsfunktion ist an sich wenig einzuwenden. Sie ist schließlich solchen Aufsichtsräten, die sich nur einmal im Jahr mit dem Unternehmen beschäftigen und daher wenig Einblick haben, deutlich vorzuziehen.

Auch kann es manchmal hilfreich sein, wenn der Aufsichtsrat in der Erfüllung seiner Kontrollfunktion auch einmal die Rolle eines „Hofnarrs“ übernimmt, um die Vorstandsarbeit herauszufordern. Dies alles setzt jedoch voraus, dass dabei die Rollen dieser beiden Gremien nicht vermischt werden. Wenn der Aufsichtsrat beispielsweise versucht, den Vorstand hinterrücks zu entmachten, führt dies zu Instabilitäten im Unternehmen, die gerade in Zeiten der Digitalisierung, in denen die interne Dynamik und Turbulenz bereits erheblich sind, vor allem eines bewirken: Sie sorgen für „Disruptionen“, die ein vernünftiges Arbeiten der Führungskräfteteams auf der zweiten und dritten Ebene des Unternehmens kaum mehr ermöglichen.

Daher sind auch Analysten und institutionelle Investoren gut beraten, wenn sie ihre Gespräche mit dem Aufsichtsrat nutzen, um nicht mehr Konflikte und damit Unsicherheiten ins Unternehmen zu tragen, sondern um wichtige Fragen zu stellen, die dann im Idealfall zwischen Vorstand und Aufsichtsrat abgestimmte Veränderungsprozesse im Unternehmen induzieren.

# Erhöhung der Diversität

Last but not least, ist es aus unserer Sicht wichtig, dass für eine gelingende Transformationsarbeit in den Führungs- und Kontrollgremien die Diversität in diesen Gremien deutlich zunehmen sollte. Dazu gehört nicht nur, aber auch, die Bereitschaft mehr „Female Power“ in den eigenen Führungs- und Kontrollgremien zuzulassen.

Selbstverständlich stellen Frauen kein „Allheilmittel“ für kulturelle Probleme in Führungs- und Kontrollgremien dar. Selbstverständlich sind auch sie keine Garanten für eine gelingende Transformation in Zeiten der Digitalisierung. Es verhält sich vielmehr genau umgekehrt: Gerade in dem erbitterten Widerstand, den viele Vorstände und Aufsichtsräte gegenüber Quotenregelungen heute immer noch zeigen, offenbart sich eine innere Abwehr von Angst, nämlich die davor, eigene Macht abgeben zu müssen. Lässt man aber zu, dass derartige Ängste die Board-Arbeit weiter dominieren, dann sorgt man dafür, dass auch andere wichtige Veränderungen im Unternehmen aufgrund eben solcher Verkrustungen nicht gelingen.

„Because it is 2015.“ Justin Trudeau

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau hat 2015 bei der Vorstellung seines Kabinetts, auf die Frage, warum er so viele Frauen in das Kabinett aufgenommen habe, die simple Antwort gegeben: „Because it’s 2015.“

Mal kurz nachgefragt: In welchem Jahr genau stecken Sie gerade noch, wenn es um die Besetzung Ihres Boards und Ihrer sonstigen Führungsgremien geht?

# Das digitale Netzwerk

Abschließend wollen wir unsere Betrachtungen zu Herausforderungen an eine zeitgemäße Governance mit der Betrachtung eines Themenkomplexes, der bisher leider nur viel zu selten in den Blick von Unternehmen geraten ist, welche die eigene Digitalisierung vorantreiben wollen. Und das ist die richtige Governance aller externen Partner und Dienstleister, die man für eine erfolgreiche digitale Transformation heute braucht.

Klar ist: Ohne externe Partner sind die meisten Unternehmen nicht in der Lage, die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern. Egal ob es nur um den Relaunch der eigenen Website geht, die Lancierung eines eigenen Web- und/oder Mobilportals, den Aufbau eines zeitgemäßen Content Managements und Digitalmarketings oder aber um den gezielten Einsatz digitaler Technologien bei internen Wertschöpfungsprozessen, die Umstellung hausinterner Server auf zeitgemäße Cloud-Lösungen und den konsequenten Einsatz von Big Data und BI-Tools oder gar gleich um die Entwicklung einer ganzheitlichen Digitalisierungsstrategie, die vollständige Digitalisierung der eigenen Produkt- und Serviceangebote, die Umsetzung von Industrie-4.0-Konzepten und die Umstellung der Fertigung auf vollagile Systeme etc.

In all diesen Fällen wird man um die Unterstützung durch externe Partner, zu denen Technologie- und Softwareanbieter genauso gehören wie Beratungen, Agenturen, Interim-Management-Anbieter und Change-Management- bzw. Transformations-Experten, kaum herumkommen.

Auch den richtigen sachverständigen juristischen Beistand benötigt man (etwa um Fragen des digitalen Urheberrechts zu klären) und steuerberatende Unterstützung (z.B. im Hinblick auf die Klärung wichtiger steuerrechtlicher Fragen bzgl. des grenzüberschreitenden digitalen Geschäftsverkehrs).

Einigen, vor allem mittelständischen Unternehmen, die bisher weniger mit externen Partnern zusammengearbeitet haben, fällt es dabei häufig schwer, externe Einflussnahme zuzulassen. Dies ist aber notwendig, um wichtige Transformationsprozesse zu ermöglichen. Sonst passiert das, was für Innovationsprozesse typisch ist und wirkliche Fortschritte verhindert: Kochen im eigenen Saft und selbstreflexive Abwehrmechanismen, die dann zu Fehlurteilen führen wie: „Das haben wir noch nie so gemacht. Warum sollen wir Bewährtes jetzt plötzlich ändern.“ Oder aber „Kann ein Externer wirklich besser beurteilen als wir, was gut für unser Geschäft ist?“

Richtig an dem vorsichtigen Umgang mit externen Dienstleistern, der sich vor allem bei mittelständischen Unternehmen zeigt, ist, dass sich die Digitalisierungsaufgabe (genauso wenig wie jede andere Strategie- und Umsetzungsaufgabe) komplett nach außen delegieren lässt. Im Idealfall ist diese immer intern verankert. Nicht im Sinne eines „allein machen“, sondern als wesentliche Funktion der Steuerung externer Dienstleister.

„Unternehmen müssen in digitalen Zeiten ihre Steuerungskompetenz im Umgang mit externen Partnern deutlich ausbauen.“ d.lead

Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass tatsächlich eine ausreichende Steuerungskompetenz im Unternehmen selbst vorhanden ist. Falls dies nicht der Fall sein solle, ist man gut beraten, sich für solche Steuerungsaufgaben zumindest interimistisch ebenfalls erfahrene externe Experten ins Haus zu holen.

Womit wir zu einer entscheidenden Herausforderung digitaler Transformation kommen, welche mittelständische Unternehmen genauso betrifft wie umso stärker große Konzerne:

  • Wie wählt man die richtigen Partner und Dienstleister aus?
  • Wie steuert man diese?
  • Und wie geht man damit um, wenn es in der Zusammenarbeit Probleme gibt?

Die Beantwortung dieser Fragen allein könnte sicherlich ein eigenständiges Buch füllen. Doch gibt es einige Grundregeln, die sehr gut in ein Werk passen, dass sich mit den Herausforderungen von Führung beschäftigt.

Auch bei der Auswahl und Steuerung von externen Partnern und Dienstleistern geht es um eine richtige, effiziente, gelingende Führung, Hier ist eine Auswahl der Führungsprinzipien, die wir aus unserer alltäglichen Beratungspraxis hierzu mitgenommen haben:

# Auswahl der richtigen Partner

Die erfolgreiche Digitalisierung des eigenen Unternehmens ist ein höchst komplexer Prozess. Umso erstaunlicher ist es, nach welch simplen Kriterien häufig die Auswahl der Partner erfolgt, die sich Unternehmen dabei suchen:

  • Steht der Partner schon auf der Liste akkreditierter Partner? (Das mag für die Lösung klassischer Probleme richtig sein, nicht aber für neue Digitalisierungsherausforderungen).
  • Wie groß ist das Dienstleistungsunternehmen? (Als ob Größe in Zeiten digitaler Herausforderungen noch der richtige Maßstab wäre).
  • Für welche Wettbewerber arbeiten sie schon oder haben sie schon gearbeitet? (Wie will man da noch Wettbewerbsvorteile erzielen).
  • Erfüllt der Partner die schablonenartigen Kriterien des internen Einkaufs?

Die Liste fragwürdiger Auswahlkriterien ließe sich noch ziemlich lange fortführen. Warum nur stehen so selten die viel wichtigeren Kriterien darauf wie etwa:

  • Wie gut sind die jeweiligen Partner?
  • Wie kreativ und innovativ sind ihre Leistungen?
  • Wie sehr gelingt es diesen, sich konkret auf die spezifischen Herausforderungen meines eigenen Unternehmens einzustellen?

Es ist erstaunlich, wie stark Unternehmen bei der Auswahl ihrer Dienstleistungspartner häufig den eigenen Möglichkeitsraum beschränken. Schuld daran ist nicht zuletzt eine falsche Einkaufspolitik der letzten Jahre, die in der Automobilindustrie ihren Anfang genommen hat und inzwischen viele Branchen erfasst hat.

# Die richtige Einkaufspolitik

Nicht dass wir hier falsch verstanden werden: Die Etablierung einer effizienten Einkaufsabteilung ist für eine Objektivierung und eine effektive Kontrolle des Einkaufsprozesses unerlässlich. Das setzt allerdings voraus, dass eine solche effiziente Objektivierung und effektive Kontrolle auch tatsächlich stattfindet.

Das ist in vielen Unternehmen der Fall. In einigen hat eine falsch verstandene Machtpolitik des Einkaufs jedoch inzwischen zu einer völligen Pervertierung der Verhältnisse geführt. Statt den gesunden Wettbewerb verschiedener Dienstleister untereinander zu fördern, begeben sich die Unternehmen in die gefährliche Abhängigkeit einzelner Generallieferanten an der Spitze ihrer zunehmend pyramidial aufgestellten Lieferantenketten. Kommt es hier zu Ausfällen, bringt dies meist vollständige Kernprozesse im Unternehmen in Gefahr.

Hinzu kommt, dass jetzt häufig die Einkäufer bestimmen und nicht mehr die Fachabteilungen, wer als Partner ausgewählt wird. Das kann funktionieren, wenn der Einkauf über die notwendige, z.B. digitale Fachexpertise verfügt. Leider trifft man in der Praxis jedoch immer wieder auf Fälle, in denen die in der Vergangenheit erfolgte persönliche Auswahl durch Fachmanager nur durch eine ebenfalls subjektiv gefärbte des Einkäufers ersetzt wird.

Schlimmer ist noch, wenn dabei ausschließlich Kostenaspekte die Auswahl bestimmen. Erfolgreiche Digitalisierungsprozesse verlangen Qualität, Nachhaltigkeit und individuelle Anpassung auf die Bedürfnisse eines Unternehmens. Alle drei Dinge kosten Geld. Geld, das man am Anfang des Prozesses dabei in übertriebenem Maße zu wenig ausgibt, führt am Ende des Prozesses häufig zu erheblichen Mehrkosten.

Absurd wird es, wenn sich Dienstleister mit gedrückten Tagessätzen am Ende dazu gezwungen sehen, ihre Defizite durch „virtuelle“ (de facto nicht abgeleistete) Leistungen wieder hereinzuholen. Oder aber, wenn sich akkreditierte Dienstleister massiv der Sub-Unternehmerschaft anderer nicht akkreditierter Dienstleister bedienen und ein solches Fehlverhalten „kollusiv“ von den entsprechenden Fachabteilungen geduldet wird.

Man mag das als „kreative Umgehung“ der geltenden Einkaufsrichtlinien deuten, um am Ende doch noch ein gutes Ergebnis zu ermöglichen. Man kann dies aber auch als Pervertierung eines Systems begreifen, in dem am Ende nicht wirkliche Qualitäts-und Kreativitätskriterien gelten, sondern alte Systeme von Machtspielen und Scheinlegitimierungen notwendige Veränderungsprozesse hemmen.

Interessanterweise sind die Honorare von Anwälten, großen Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen gerade in großen Konzernen kein Thema. Wenn unter Druck ein Millionenetat ohne Pitch an die bekannten Namen der Werbeagenturen vergeben wird, ist es ebenfalls kein Hindernis.

Wir kennen Unternehmen, die sich einer konsequenten Digitalisierung verschrieben haben, in denen diese oder ähnliche Probleme bereits zu erheblichen betriebswirtschaftlichen und juristischen Problemen geführt haben. Unsere Befürchtung ist: Diese Probleme könnten sich im Kontext der fortschreitenden Digitalisierung noch erheblich verstärken.

Wer genau das verhindern will, muss die eigenen Steuerungs- und Kontrollmechanismen im Hinblick auf externe Dienstleistungspartner erheblich verbessern. Er muss jedoch auch bei der Auswahl der Partner andere Wege gehen: Warum bedienen sich viele Unternehmen bisher bei der Auswahl ihrer Partner so wenig des Instrumentes kreativer „Pitches“? Und warum gelangen dabei meist nur diejenigen etablierten Partner auf die Liste, die dort meist schon vorher gestanden haben?

Wirtschaft ist, gerade in Zeiten der Digitalisierung, ein großer „Möglichkeitsraum“. Warum diesen vorschnell einengen? Warum nicht, wie es bei jedem normalen Architekturwettbewerb der Fall ist, dazu ruhig einmal zehn mögliche Partner einladen, wobei man diese auch für ihre kreativen Vorschlagsarbeiten angemessen entlohnen sollte? Und warum bei der Auswahl der richtigen Partner neben internen nicht auch neutrale externe Experten hinzuziehen? Das Unternehmen profitiert davon auf jeden Fall.

# Sicherung einer richtigen Steuerungs- und Kontrollkultur

Die Theorie der Unternehmensführung benennt mit dem „Principal Agent“-Problem eine klassische Herausforderung moderner Unternehmensführung, die auch die Steuerung und Kontrolle externer Dienstleister betrifft. Hat man einmal den richtigen ausgewählt, so muss man diesen auch richtig „briefen“, steuern und in seinen Ergebnissen kontrollieren. Sonst ist kaum sicherzustellen, dass dabei eine gelingende Zusammenarbeit herauskommt.

Kontrollieren? Ist es wirklich „agil souverän“, so etwas zu tun? Widerspricht das nicht den Prinzipien von Teamworking und offenen Innovationskulturen?

Natürlich muss kontrolliert werden. Alles andere wäre „Harakiri“. Immer wieder erlebt man in der Praxis Fälle, in denen man sich genau vor solchen Kontrollen scheut, obwohl sie selbst in dezentralen offenen Innovationskulturen extrem wichtig sind. Es kommt nur entscheidend darauf an, wie man diesen Prozess organisiert. Jeden kleinen Schritt einer Digitalimplementierung durch externe Partner minutiös zu überwachen, ist sicherlich genauso ineffizient, wie ein Bauherr, der acht Stunden am Tag über die Baustelle läuft, um die Bauarbeiter bei der Fertigstellung seines Eigenheims zu überwachen.

Ganz auf jedwede „Bauplanung“ und kontrollierende „Bauleitung“ – wie es bei manchen falsch verstandenen Scrum-Verfahren der Fall ist – zu verzichten, ist jedoch ebenso fahrlässig. Intelligente Steuerung kombiniert effiziente Briefing-, Steuerungs- und Kontrollprozesse zu klar definierten Milestone Gates mit ebenso klar bestehenden deutlichen Freiräumen dazwischen. Genau durch diese intelligente Kombination gelingt es nicht nur, kreative Höchstleistungen zu erzielen, sondern ebenso – als ob nicht auch das für eine gelingende Zusammenarbeit wichtig wäre – ein hohes Maß an Zufriedenheit bei Auftraggebern und Auftragnehmern.

Abb. 16: Anforderungen an eine digitale Board Governance (© hm+p)