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Total digital

# Von der Digitalisierung zur digitalen Revolution

Als Digitalisierung („digitization“) wird im technischen Sinne die Überführung analoger Größen in diskrete (abgestufte) Werte (0 und 1) bezeichnet, mit dem Zweck, sie elektronisch zu speichern oder zu verarbeiten.

Digitus: lateinisch für „Finger“ = mit den Fingern zählen. Wikibooks, Digitale Schaltungstechnik

Im weiteren Sinne wird mit dem Begriff der Digitalisierung allerdings zunehmend auch die sogenannte „digitale Revolution“ ganz allgemein im Sinne des englischen Begriffs „digitalization“ bezeichnet. Hierbei geht es um den durch Computer und ihre Vernetzung ausgelösten Umbruch, der seit Ausgang des 20. Jahrhunderts einen Wandel der Technik wie (fast) aller Lebensbereiche bewirkt. Ähnlich wie die industrielle Revolution 200 Jahre zuvor die agrarisch und manufakturiell geprägte Wirtschaft transformiert hat, so geschieht das heute durch eben diese Digitalisierung.

# Prä-/Mid-/Post-Digital

Wie weit die digitale Revolution inzwischen fortgeschritten ist, hat der Innovationschef von Zenith Media und TechCrunch Experte Tom Goodwin jüngst in seinem Blog-Beitrag „Are we entering the post-digital age?“ treffend auf den Punkt gebracht.

Fanden in der sogenannten prädigitalen Ära (den 1960er- bis 1990er-Jahren) digitale Technologien bereits Eingang in Teilbereiche der Wirtschaft, z.B. in Form großer Main-Frame-Rechner und der ersten automatisierten Maschinen bis hin zum ARPA-Net (als Vorläufer des Worldwide Web), so waren diese jedoch noch nicht im gesellschaftlichen Mainstream angekommen.

In diese Zeit fällt auch die Gründung der meisten Hard- und Softwarefirmen, z.B. Intel (1968), SAP (1972), Microsoft (1975), Apple (1976), Oracle (1977), Sun Microsysystems (1982), Autodesk (1982) und Dell (1984). Das Unternehmen IBM wurde zwar bereits 1896 gegründet, Xerox 1906 und Hewlett-Packard 1939. All diese Unternehmen haben sich aber erst wirklich in den 1960er- und 1970er-Jahren mit der Entwicklung massenmarktkompatibler Computersysteme beschäftigt.

Im Jahr 1943 soll Thomas J. Watson, der IBM bis 1956 leitete, noch folgenden denkwürdigen Satz gesagt haben: „I think there is a world market for maybe five computers.“ Dass er damit nicht Recht behalten sollte, haben die letzten Jahrzehnte zweifelsohne belegt. Spätestens mit Verbreitung der ersten wirklichen PCs in den 1980er–Jahren, basierend auf CPUs des Typs 80286 (286er), 80386 (386er) und später 80486 (486er) wie auch des Apple Macintosh (1984) begann die Digitalisierung dann tatsächlich mehr und mehr in der Mitte von Wirtschaft und Gesellschaft anzukommen.

„I think there is a world market for maybe five computers.“ Thomas J. Watson, Ehemaliger IBM-Chef (1914-1956)

Wirklich angekommen ist sie dort jedoch erst, als Ende der 1990er-Jahre das Internet mit Verbreitung des Word Wide Web in das Bewusstsein der breiten Bevölkerung gerückt ist und damit die sogenannte „mid digital era“ begann. Erst durch das Internet wurden die ersten voll digitalen Geschäftsmodelle wie der digitale Buchladen (Amazon), der digitale Flohmarkt bzw. das digitale Auktionshaus (ebay) oder der digitale Freundeskreis (Facebook) überhaupt erst möglich.

In genau diese mittlere digitale Zeit fällt auch das Aufkommen zahlreicher neuer digitaler Hardwareprodukte. Dazu zählt u.a. die Einführung der ersten digitalen Smart Cards, PDAs und DVDs (zweite Hälfte der 1990er-Jahre), der ersten digitalen Smartphones wie dem Communicator von Nokia (1996), dem Blackberry von RIM (1999) und dem iPhone von Apple (2007), der Digitalkamera (2000), der Launch des digitalen Radios DAB (2004) bis hin zur breiten Verwendung von Graphical User Interfaces bei Autos und Maschinen.

Kennzeichnend für diese Ära war, dass zu diesem Zeitpunkt viele der klassischen „analogen“ Unternehmen noch an ihren alten Geschäftsmodellen festhielten und die Bedrohung durch den neuen digitalen Wettbewerb noch nicht wirklich verstanden hatten. Daniel Goldscheider, CEO von Paperless Inc., hat das in einem Interview mit uns am Beispiel Kodak auf den Punkt gebracht: „Kodak hat 1975 zwar die erste Digitalkamera produziert, aber dennoch nicht verstanden, dass die 'Kodak Moments' und nicht Film der Kern des Unternehmens ist. Heute ist Apple's iPhone das Werkzeug für diese Momente und das wertvollste Unternehmen der Welt. 1997 war Kodak $30 Milliarden und Apple etwas über $2 Milliarden wert.

Weitere Beispiele sind die Versandhändler Quelle und Neckermann, welche die neuen Chancen des Online-Handels zu spät erkannten und daher bald vom Markt verschwanden.

Bereits in dieser Zeit wurden also etablierte Player in einigen Branchen wie dem Handel durch die neuen digitalen Technologien fundamental herausgefordert – z.B., weil neue Online-Player wie Amazon oder ebay den alten Anbieter in Sachen Convenience, Flexibilität und Economies of Scale schnell um einiges voraus waren.

Während dies in der mittleren digitalen Ära nur für einige Branchen galt, wird die Herausforderung klassischer Geschäftsmodelle gewissermaßen zum Grundprinzip der aktuell anbrechenden spät- bis postdigitalen Ära. In dieser Phase scheinen die Grenzen zwischen der digitalen und nichtdigitalen Welt mehr und mehr zu verschwimmen. Digitale Technologien werden dabei so selbstverständlich in unsere Lebens- und Arbeitswelten integriert, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken, ob etwas analog oder digital verarbeitet wird.

„Like pre-digital, nobody will think of ’digital‘ in this age. The concept of it will move into the background and, much like oxygen or electricity, we’ll understand digital to be transformative yet irrelevant. There will be no more Chief Digital Officers in the same way that a Chief Electricity Officer doesn’t exist today.

In the post-digital age, digital technology will be a vast, quiet element forming the seamless backbone of life. The Internet will be a background utility, noticeable only in its absence. Smart homes will work. Video will follow us around. Content will be paid for… all seamlessly and effortlessly.

We will no longer talk of TV versus online, or mobile versus desktop. Retailers won’t consider online-versus-physical as a divide of merit; they will just celebrate sales. Advertising will work around people, seamlessly telling sequential stories to move people to purchase. Content won’t care about national boundaries; even contemporary notions like currency or language will become less central to life”, so der TechCrunch Autor Tom Goodwin jüngst in seinem Blog.

„In the post-digital age, digital technology will be a vast, quiet element forming the seamless backbone of life. The Internet will be a background utility, noticeable only in its absence.“ Tom Goodwin, Head of Innovation, Zenith Media

Parallel dazu werden sich auch die Fertigungswelten verändern: „Manufacturing will be just-in-time. Products will be made to order and shipped by autonomous vehicles.” Phänomene wie AI-driven Manufacturing, Crowdsourcing, Predictive Maintenance, Industrial Robotics, Cloud Computing, Industry 4.0, das Internet of Things, Smart Homes, Wearable Technologies sowie Connected Cars und Unmanned Ships sind Ausdruck dieser kommenden post-digitalen Ära.

# Etablierte Branchen im Umbruch

Diese Entwicklung stellt selbst etablierte Branchen vor enorme Herausforderungen, wie die im Folgenden aufgeführten drei kurzen Beispiele aus der Automobilindustrie, der Finanzbranche oder des Maschinenbaus kurz zeigen sollten:

Beispiel 1: Die Automobilindustrie

„Menschen wollen Mobilität, also schnell, bequem und günstig von A nach B kommen. Ein eigenes Auto ist schnell und bequem, aber sicher nicht günstig, weil es durchschnittlich 95 Prozent der Zeit ungenutzt herumsteht.

Zwei Entwicklungen treiben die Abkehr vom eigenen Auto massiv voran: erstens die Möglichkeiten zum bequemen Teilen eines Fahrzeugs oder einer Fahrt durch Car-Sharing beziehungsweise Ride-Sharing. Zweitens das autonom fahrende Auto, das sich schon deshalb schnell durchsetzen wird, weil es viel weniger Unfälle produziert als der Mensch und uns zudem Millionen Stunden ungenutzter Zeit hinter dem Steuer zurückgibt.

Wenn ich also künftig per App ein selbstfahrendes Auto bestellen kann, das in drei Minuten vor mir steht und zudem deutlich weniger kostet als ein Taxi heute, dann wird der Markt explodieren. Und entsprechend weniger Autos werden gebraucht. Forscher am Massachusetts Institute of Technology haben ausgerechnet, dass alle Fahrleistungen in Städten mit 20 Prozent der heutigen Autos erbracht werden können“, so Holger Schmidt im September 2016 auf dem Expertenportal Springer Professional.

Die deutschen, aber auch ausländischen Automobilkonzerne, die in zunehmendem Maße von Nichtautomobil-Unternehmen wie Google, Apple oder Uber Konkurrenz erhalten, haben ihre Geschäftsmodelle inzwischen angepasst und versuchen mit neuen Mobilitätskonzepten wie ConnectedDrive, Car2Go, Drive Now oder BlaBlaCar und mit neuen Automobilkonzepten wie der i-Serie von BMW darauf zu reagieren.

„Wir warten nicht darauf, dass andere unsere Geschäftsmodelle disruptieren. Das machen wir selbst.“ Dr. Volkmar Denner, CEO Robert Bosch GmbH

Wer das Rennen dabei gewinnt, ist längst noch nicht klar. So haben sich Unternehmen wie Google und Apple Medienberichten zufolge ja inzwischen wieder davon verabschiedet, selbst Autohersteller zu werden. Stattdessen wollen sie eher digitale Plattformen entwickeln, die dann von anderen Autoherstellern genutzt werden können. Entscheidend wird dabei die Frage sein, welcher Bestandteil zukünftig den größten Teil der Wertschöpfung ausmachen wird: die automobile „Hardware“, digitale „Softwaresysteme“ oder gar darauf aufsetzende „intelligente Services“.

Die etablierten Automobilhersteller und ihre Zulieferer haben darauf jedenfalls inzwischen in erheblichem Maße reagiert. Sie haben erkannt, dass sie sich selbst fundamental verändern müssen, wenn sie nicht vom Markt gefegt werden wollen, wie u.a. das Credo von Bosch-Chef Volkmar Denner belegt.

Beispiel 2: Die Finanzbranche

Auch die Finanzbranche ist ein viel zitiertes Beispiel dafür, wie fundamental sich ganze Branchen durch die Digitalisierung verändern:

„Die Digitalisierung hat die Welt der Banken, Börsen und Versicherungen erfasst. Mit einer enormen Dynamik stellt sie bewährte Geschäftsmodelle in Frage. Fintechs – moderne Finanz-Technologie-Dienstleister – sind ein eindrucksvolles Beispiel, wie langjährige und fest etablierte Strukturen innerhalb kürzester Zeit einem fundamentalen Wandel unterworfen werden.

Dies erfasst zentrale Bereiche wie Zahlungsverkehr, Anlagenverwaltung, Kreditgeschäft, Kapitalmarktfinanzierung, Wertpapierhandel und dessen Abwicklung, Versicherungsgeschäfte. Zunehmend wird klar: Mit den veränderten technologischen Möglichkeiten verändern sich auch die Bedürfnisse der Kunden“, so die Börsenzeitung im März 2016.

Wie weit diese Veränderungen zukünftig reichen könnten, zeigt das Beispiel der Technologie Blockchain: „Als Blockchain bezeichnet man eine verteilte Datenbank, in der Einträge in chronologisch aufeinanderfolgenden Datenblöcken festgehalten werden. Durch kryptografische Signaturen ist dabei die Fälschungssicherheit der Einträge garantiert.

Das wohl bekannteste Nutzungsszenario ist die Kryptowährung Bitcoin, bei der alle Guthaben und Transaktionen in einer solchen öffentlich einsehbaren Blockchain dokumentiert sind. Einträge in diese Blockchain kann prinzipiell jeder vornehmen, der genug Rechenkapazität für die Erzeugung eines Proof of Work beim sogenannten Mining bereitstellt“, so Axel Kannenberg bei Heise Online im Juni 2016.

„Durch seinen P2P-Charakter soll der Bitcoin Banken prinzipiell überflüssig machen können. Die Blockchain-Experimente der Finanzindustrie, beispielweise beim Startup R3 CEV, an dem sich zahlreiche Großbanken beteiligen, zielen natürlich auf anderes. Unter anderem etwa ist die Hoffnung der Branche, künftig Vermittler, Rechnungsprüfer, Clearingstellen und ähnliches einsparen zu können – aber nicht sich selbst.“

Es verwundert daher nicht, dass selbst etablierte Player wie die Allianz derartige neue Technologien lieber selbst ausprobieren, z.B. um die Verwaltung und den Handel von Katastrophen-Anleihen und -Swaps zu optimieren.

Um den Anschluss an solche und andere technologische Veränderungen nicht zu verpassen, hat die Allianz den InsurTech-Inkubator „Allianz X“ gegründet. Allianz X ist eine der tragenden Säulen der digitalen Transformationsstrategie der Allianz und umfasst neben dem Bereich Unternehmensaufbau auch eine Venture-Einheit. Allianz X soll dabei neue Geschäftsmodelle im Bereich InsurTech „mit einem Höchstmaß an unternehmerischer Freiheit identifizieren, entwickeln und global skalieren“, so die Allianz in seiner Selbstdarstellung.

Eine Herausforderung, mit der sich die Allianz wie viele Unternehmen dabei konfrontiert sieht, ist, dass solche Inkubatoren häufig „Satelliten“ bleiben, welche die gewachsene Kultur im Kernunternehmen meist nicht in der gewünschten Geschwindigkeit mitziehen können. Zwischen der „alten“ und der „neuen“ Welt entstehen kulturelle Gräben, die eher zu einer weiteren Entfremdung führen und Frustrationen auf beiden Seiten auslösen.

Beispiel 3: Der Maschinenbau

Der deutsche Maschinenbau ist nicht nur Vorzeigebranche der deutschen Wirtschaft. Er ist auch Vorreiter der Digitalisierung der deutschen Industrie: „Ein Tausendsassa in Sachen Industrie 4.0 ist der Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland: Er integriert neue Technik in Produkte und Prozesse und behauptet so seine Führungsposition als sogenannter Enabler“, so die VDMA-Nachrichten im April 2016.

„Auch die Maschinenbauer müssen also dazulernen, was immer schwer zu vermitteln ist, wenn man seit Jahrzehnten Weltmarktführer ist.“ Prof. Dr. Tobias Kollmann, Universität Duisburg-Essen

Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch viele Maschinenbauer in einigen Bereichen wie z.B. beim Thema „Big Data“ noch einiges aufzuholen haben: „Der deutsche Maschinenbau ist Weltspitze, keine Frage. Doch die Anforderungen ändern sich. Big Data ermöglicht heute, aus dem Betrieb der Maschinen begleitende Services zu entwickeln, also z.B. vorherzusagen, wann eine Maschine kaputtgehen könnte, und welches Teil besser vorher ausgetauscht werden sollte.

Das erfordert zwei Kompetenzen, in denen Deutschland bisher weniger Erfahrung hat: Datenanalyse und Dienstleistungen. Auch die Maschinenbauer müssen also dazulernen, was immer schwer zu vermitteln ist, wenn man seit Jahrzehnten Weltmarktführer ist“, so Professor Dr. Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für E‐Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen im Expertenforum Springer Professional.

Ein Beispiel dafür, wie man als tradiertes Technologieunternehmen die digitale Transformation meistern kann, zeigt das amerikanische Unternehmen GE. Das Unternehmen hat sich vor einigen Jahren das Ziel gesetzt, zur „premier digital industrial company“ zu werden. Um dieses Versprechen mit Leben zu füllen, hat das Unternehmen u.a. die Software-Platform PREDIX™ entwickelt.

GE vermarktet PREDIX™ als „world’s first industrial operation system (...). Predix-based applications are connecting industrial assets, collecting, and analyzing data and delivering real-time insights for optimizing industrial infrastructure and operations, including GE and non-GE assets“, so der Tech Blog A Silicion Valley Insider. Im Prinzip ist PREDIX™ eigentlich nichts Anderes als ein „Data Harvester“, der die Sammlung und Auswertung von Daten aus den Maschinen von GE und anderen Herstellern ermöglicht. Mit PREDIX™ ist es GE jedoch gelungen, ein Flagship-Produkt zu schaffen, mit dem das Unternehmen glaubwürdig seinen Weg in eine stärker digitale Maschinenwelt markiert hat.

Fasst man die drei obigen Beispiele zusammen, so wird deutlich, wie stark die Digitalisierung tatsächlich bereits heute unterschiedlichste Branchen verändert. Doch was bedeutet das für Führung von Unternehmen und Mitarbeitern ganz allgemein?

# Der Manager und das Schaf

Sucht man eine Antwort auf diese Frage, dann lohnt es sich, bei einem großen Vordenker der modernen Managementlehre nachzuschlagen: Peter Drucker. Dieser hatte 1967 den Computer unter dem Titel „The Manager and the Moron“ einmal als ziemlich dummes Schaf („moron“) bezeichnet.

Auch wenn Peter Drucker das Potenzial, welches die künstliche Intelligenz bietet, damals ziemlich unterschätzt hatte, so hat er doch vorausgesagt, dass der Computer die Arbeit von Managern zukünftig erheblich vereinfachen würde.

„If the computer doesn’t enable us to simplify our organizations, it’s being abused.“ Peter Drucker, Management-Vordenker

„We are beginning to realize that the computer makes no decisions; it only carries out orders. It’s a total moron, and therein lies its strength. It forces us to think, to set the criteria. The stupider the tool, the brighter the master has to be (…). If the computer doesn’t enable us to simplify our organizations, it’s being abused. (…)

At present the computer is the greatest possible obstacle to management information, because everybody has been using it to produce tons of paper. Now, psychology tells us that the one sure way to shut off all perception is to flood the senses with stimuli. (…) That’s why it’s so important to exploit the computer’s ability to give us only the information we want — nothing else. The question we must ask is not, ‘How many figures can I get?’ but ‘What figures do I need? In what form? When and how?’ We must refuse to look at anything else. (…) Instead, we must decide on our information needs and how the computer can fill those needs.”

# Konzentration auf das Wesentliche

Bereits damals hat Peter Drucker also die Herausforderungen, denen sich Manager in Zeiten der Digitalisierung gegenüber sehen, äußerst präzise beschrieben. Es geht nicht darum, die neuen technologischen Möglichkeiten blind zu übernehmen, sondern sie so zu nutzen, dass man sich auf das Wesentliche in der eigenen Führungsarbeit konzentrieren kann, nämlich die Auseinandersetzung mit dem Menschen und den Unternehmensumfeldern.

“This is why the manager should use the computer to control the routines of business, so that he himself can spend ten minutes a day controlling instead of five hours. Then he can use the rest of his time to think about the important things he cannot really know — people and environment. These are things he cannot define; he has to take the time to go and look. The failure to go out and look is what accounts for most of our managerial mistakes today.” (Peter Drucker).

# Ernüchternde Wirklichkeit

Wie aber sieht die Realität der Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation an der Unternehmensspitze heute aus? Nehmen sich Führungskräfte heute genügend Zeit „to go out and look“, was die Digitalisierung für ihr Unternehmen und die Menschen, die darin arbeiten, zukünftig bedeutet?

Die unternehmerische Realität ist hier tatsächlich dreigeteilt. Betrachtet man die zahlreichen digitalen Start-ups und New Ventures der letzten Jahre, so sind diese meist sui generis „total digital“ ausgerichtet.

Dass sie das allerdings in jedem Fall dazu brächte, Effizienzgewinne dafür zu nutzen, „to go out and look“, wie Peter Drucker es fordert, ist keinesfalls bei jedem Start-up zu erkennen. Vor allem den Start-ups, die scheitern, mangelt es nicht selten an einer realistischen Sicht auf den Markt und die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen.

Auf der anderen Seite stehen die etablierten Unternehmen, von denen viele immer noch nicht erkannt, geschweige denn verinnerlicht zu haben scheinen, welche Konsequenzen die Digitalisierung mit sich bringt. Viele von diesen Unternehmen verweisen bei Fragen nach dem Digitalisierungsgrad ihres Unternehmens gern auf ihre neue Website oder ihre neuste App.

Die Schaffung einer attraktiven Website, der Launch einer neuen App oder auch die Einrichtung eines „innovation labs“ bedeuten jedoch noch lange nicht, dass man die Führung seines Unternehmens adäquat an die digitalen Umfelder angepasst hat. In vielen Unternehmen wird tatsächlich aktuell vor allem an einer digitalen Fassade gearbeitet – außen ganz das „smart enterprise“, aber innen ist alles nach wie vor „old school“.

„In vielen Unternehmen wird tatsächlich aktuell vor allem an einer digitalen Fassade gearbeitet, außen ganz smart enterprise, aber innen ist alles nach wie vor old school.“ d.lead

Die Mehrzahl der Unternehmen ist heute sicherlich in der Mitte zwischen diesen beiden Extrempolen angesiedelt. Die meisten Führungskräfte haben heute erkannt, dass die Digitalisierung unabwendbar ist und das eigene Geschäft im Kern angreifen könnte. Auch haben die meisten Unternehmen inzwischen wichtige Initiativen in Richtung stärkerer digitaler Kompetenz gestartet, z.B. „Digital teams“ aufgesetzt, einen „Chief Digital Officer“ eingestellt, digitale „Spin-offs“ und „New Ventures“ gegründet oder ähnliche Digitalisierungsoffensiven vorangetrieben.

Nichtsdestotrotz haben viele Unternehmen die Bedeutung des Digitalisierungstrends in ihrer Tiefe immer noch nicht vollends erfasst und schon gar nicht umgesetzt. Die Digitalisierung bedeutet im Prinzip nichts Anderes, als dass durch neue digitale Technologien bestehende Geschäftsmodelle, Arbeitsweisen, Absatzkanäle, Lieferketten, Ressourcen, Produkte grundsätzlich in Frage gestellt werden und im Extremfall im eigenen Unternehmen sowie in ganzen Branchen kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Die Digitalisierung droht somit für immer mehr Unternehmen zu einer Frage des Überlebens zu werden.

Wenn man jedoch einmal erkannt hat, wie fundamental die Veränderungsnotwendigkeit in digitalen Zeiten ist, spannen sich mitunter ganz neue Expansionsräume auf, wie das Beispiel Pressevertrieb zeigt:

„Die vergangenen 70 Jahre haben wir als Pressevertrieb in einer komfortablen Nische gelebt. Wir sorgen dafür, dass fast 20.000 Kioske, Lebensmittelhändler oder Tankstellen rechtzeitig morgens zur Ladenöffnung aktuelle Zeitungen und Zeitschriften haben. Doch Print wird seit längerem immer weniger. Wir haben schon vor Jahren begonnen, digitale Vertriebswege zu erschließen und ermöglichen heute weltweit Millionen von Menschen in Hotels, Airlines und anderen hochfrequenten Orten, ihre Zeitungen und Zeitschriften zu downloaden oder zu lesen, wo immer sie wollen. So haben wir uns nicht nur neue Vertriebswege, sogar ganz neue Kunden generiert und aus einem lokalen Monopolisten ein weltweit operierendes Unternehmen gemacht. Veränderungen sind die Grundlage der Zukunft und diese müssen wir nicht reaktiv annehmen, sondern nachhaltig und dauerhaft aktiv selbst herbeiführen“, so Dr. Holger Bingmann, Chairman MELO Group.

# Von der Kutsche zur Formel 1

Viele Unternehmenslenker sehen sich angesichts derartiger Herausforderungen aktuell einem erhöhten Veränderungsdruck gegenüber. Sie wollen agiler, schneller, digitaler werden. Das Problem dabei ist nur, dass die daraufhin dann meist initiierten kosmetischen Veränderungen nicht ausreichen, um den Herausforderungen der Digitalisierung vollumfänglich zu begegnen.

Um dies zu tun, muss es Veränderungen im strukturellen Gerüst des Unternehmens selbst geben, also in der Art wie Unternehmen mit ihren Strategien, Angeboten, Organisationen auf die Herausforderungen der Digitalisierung reagieren.

„Wenn am Markt Formel 1 verlangt wird, ist Kutsche zu fahren, einfach keine gute Strategie.“ d.lead

Um es in einem simplen Bild auf den Punkt zu bringen: Wenn am Markt Formel 1 verlangt wird, ist Kutsche zu fahren, einfach keine gute Strategie. Besonders in digitalen Zeiten heißt es dann auch mal die Pferde bzw. das Fahrzeug zu wechseln.

Das Problem dabei ist nur: Eine Veränderung der eigenen Strategien, Organisation und/oder Produkt- und Serviceangebote, reicht meist nicht aus, um komplexen Transformationsanforderungen wie denen der Digitalisierung begegnen zu können. Dafür sind vielmehr auch Veränderungen in den Wahrnehmungs- und Denkmustern des Managements selbst notwendig.

Um beim Fahrzeugbild zu bleiben: In Zeiten erhöhter Umfeldturbulenz genügt es nicht, einfach nur das Fahrzeug zu wechseln. Hier braucht es eine andere Fahrweise und eine andere Reiseplanung. Das bedeutet in der Konsequenz, dass von der Digitalisierung nicht nur Märkte, Kunden, Wertschöpfungsketten betroffen sind, sondern auch das Wesen der Führung selbst.

# Neue Fahrer braucht das Land

Eine Kernfrage dabei ist, ob ein solches neues „Fahrverhalten“ nicht am besten durch neue Fahrertypen erbracht werden kann. So erhoffen sich viele Unternehmen aktuell durch die Schaffung der Position eines „Chief Digital Officers“ und die Besetzung dieser Position mit einem möglichst kreativen Kopf von außerhalb des Unternehmens, Veränderungen quasi automatisch im Unternehmen implementieren zu können.

Die Praxis zeigt aber, dass dies meist genauso wenig funktioniert wie die Einrichtung externer, nicht mit dem Unternehmen verkoppelter „digitaler Labs“. Zu groß ist häufig die Distanz zum eigentlichen Kerngeschäft des Unternehmens. Zu unterschiedlich sind meist die Mentalitäten.

Ein zusätzliches Problem dabei: In der Euphorie des Neuen wird leider allzu oft übersehen, dass sich in der alten Welt viele Prozesse und Systeme bewährt haben, die auch in der neuen Welt gelten und dort das Fundament für eine erfolgreiche Transformation sind.

# Tragfähige Verbindungen zwischen alt und neu

Für bestehende wie auch neu von außen hinzugeholte Führungskräfte ist es umso wichtiger, diese Gräben zu überwinden und tragfähige Verbindungen zwischen der alten und neuen Welt zu schaffen.

Wie schaffe ich es, in den neuen digitalen Umfeldern Orientierung für mein Unternehmen und meine Mitarbeiter zu bieten, die Zügel zusammenzuhalten und ihnen gleichzeitig mehr Freiraum für Innovationen zu lassen, ohne dabei dem alten Prinzip von „divide et impera“ (lateinisch für „teile und herrsche“) zu folgen?

Was muss ich nicht nur im unternehmerischen Außen – sprich: bei meinen Strategien, Strukturen, Prozessen, und Produkten – verändern, um am Markt erfolgreich zu sein, sondern auch an der Wahrnehmung der eigenen Rolle als Führungskraft und im Hinblick auf die Teams, die ich führe.

Damit werden wir uns in den folgenden Kapiteln ausführlicher auseinandersetzen. Zuvor wollen wir jedoch noch einen näheren Blick darauf wagen, was die Digitalisierung mit uns als Mensch, Mitarbeiter und Führungskraft so alles anstellt und was das für die Führung in digitalen Zeiten bedeutet.

Allen Unkenrufen von einer „totalen Digitalisierung“ zum Trotz sind und bleiben wir schließlich analoge Wesen, die weitgehend „analoges Essen“ zu sich nehmen, „analoge Kleidung“ tragen, „analoge Gefühle und Gedanken“ haben, „analog“ mit anderen Menschen reden und umgehen, selbst wenn digitale Technologien dabei eine immer wichtigere Rolle spielen werden.

Genau durch diesen zunehmenden Gap zwischen dem Digitalen und dem Analogen besteht eine große, wenn nicht die größte Herausforderung für die Führung der Zukunft. Grund genug, sich mit diesem Gap noch einmal etwas ausführlicher auseinanderzusetzen.