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Alles fließt

# Der digitale Mensch

Es ist eine fast schon philosophische Grundfrage, ob wir Menschen eher digitale oder analoge Wesen sind. Anhand eines schönen Beispiels hat Carol Wilder vor Jahren einmal aufgezeigt, wie stark das menschliche Sein tatsächlich von digitalen Zügen geprägt ist.

“There is something in the human mind that seems to make sense of things by finding polar oppositions. Saussure explained this by arguing that concepts have no meaning in themselves and are purely differential. It is the relationships that concepts have with other terms in the system in which they are embedded that are critical. That is, the mind finds meaning essentially by making polar oppositions.”  (Carol Wilder)

Das menschliche Gehirn, die menschliche Sprache, die menschliche Art Zeichen aufzunehmen und Informationen zu verarbeiten hat also im Prinzip immer auch schon digitale Züge besessen.

Dennoch ist der Mensch auch ein zutiefst analoges = nichtdiskretes Wesen. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Vielzahl an Schattierungen, Nuancen, Ausdrucksformen, die seine Art wahrzunehmen, zu denken und zu fühlen mit sich bringt.

Das gilt selbst für die sogenannten „Digital Natives“, die heute so häufig die Diskurse über die Digitalisierung bestimmen. Ein Großteil auch ihres Seins ist schließlich von ziemlich realweltlichen analogen Dingen determiniert: Auch Digital Natives werden geboren, gehen in den Kindergarten und in die Schule bzw. auf die Universität, haben Beziehungen, gründen Familien, lieben und streiten sich und sterben irgendwann. Auch Digital Natives essen, trinken, fühlen, haben Wünsche, Bedürfnisse, Ängste und Sorgen. Auch sie haben einen Alltag, verbringen die meiste Zeit ihres Lebens am Arbeitsplatz – selbst wenn dieser nicht mehr unbedingt im traditionellen Büro, sondern zukünftig überall sein kann – und beschäftigen sich keineswegs nur 24/7 mit neuesten Technologien, sondern ebenso mit sich selbst und mit ihrem Verhältnis zu anderen Menschen.

# Die Verbindung von digital und analog

Paul King, Computational Neuroscientist und Director of Data Science bei dem Frageportal quora.com, hat in einem Beitrag für FORBES Tech vor Kurzem anschaulich dargestellt, dass die Dichotomie von analog und digital auf das menschliche Gehirn daher auch nur bedingt anzuwenden ist:

„The brain is neither analog nor digital, but works using a signal processing paradigm that has some properties in common with both. Unlike a digital computer, the brain does not use binary logic or binary addressable memory, and it does not perform binary arithmetic. Information in the brain is represented in terms of statistical approximations and estimations rather than exact values. (…) So in all these ways, the brain is definitely not ’digital‘. At the same time, the signals sent around the brain are ’either-or‘ states that are similar to binary. A neuron fires or it does not. These all-or-nothing pulses are the basic language of the brain. So in this sense, the brain is computing using something like binary signals.”

„The brain is neither analog nor digital, but (..) has some properties in common with both.” Paul King, Computational Neuroscientist and Director of Data Science quora.com

Das Zitat von Paul King zeigt, dass die direkte Übertragung digitaler Grundprinzipien auf Menschen nur teilweise zutrifft. Der Mensch nur ist nur zu einem Teil digital, aber ebenso analog strukturiert. Schon dies begründet, warum Menschen die Digitalisierung nicht nur als natürliche Erweiterung ihrer Möglichkeiten sehen, sondern genauso auch mit den daraus resultierenden Folgen zu kämpfen haben.

# Selektion und Veränderung

Beschäftigt man sich ausführlicher mit den Erkenntnissen der Neuropsychologie, so wird schnell deutlich, dass es vor allem zwei Grundprinzipien sind, die menschliches Denken bestimmen: Selektion und Veränderung.

Dass sich Dinge im Äußeren verändern und diese Veränderungen auch im Inneren wahrgenommen werden, ist eine wesentliche Grundlage menschlicher Informationsverarbeitung schlechthin. Der Physiker und Philosoph Carl-Friedrich von Weizsäcker hat dieses Prinzip einmal folgendermaßen beschrieben: Information ist nur möglich, so Carl-Friedrich von Weizsäcker, „wenn einiges gesetzmäßig abläuft (Bestätigung) und doch auch einiges Neues geschieht (Erstmaligkeit).“

Diese Erkenntnis spiegelt sich auch in dem Aphorismus „panta rhei“ (griechisch für „alles fließt“), der griechischen Philosophen Heraklit zugesprochen wird, wider, eine Metapher für die Prozessualität der Welt und dafür, dass unser Sein nicht statisch, sondern nur als ewiger Wandel dynamisch zu erfassen ist.

Je mehr jedoch immer wieder neue Dinge passieren und die Welt um uns herum sich verändert, umso wichtiger wird dabei das zweite Grundprinzip menschlichen Seins: die Selektion. Ohne die Fähigkeit, aus der Flut von externen Reizen, die tagtäglich, minütlich, ja sekündlich auf uns einströmen, die jeweils für uns relevanten herauszufiltern, wäre es für uns nicht möglich in dieser Welt ein funktionierendes Leben zu führen. Zur Selektion gehört dabei auch die Fähigkeit zu vergessen: „Der analoge Mensch hätte nicht überleben können, wenn er nicht vergessen könnte. Er wäre in seiner eigenen Datenmenge, die er über ein Leben hin permanent erzeugt und anhäuft, schon früh erstickt.“ (Norbert Schneider)

„Der analoge Mensch hätte nicht überleben können, wenn er nicht vergessen könnte.“ Prof. Dr. Norbert Schneider, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW

Was hat das alles nun mit Führung in Zeiten der Digitalisierung zu tun?

# Permanente Brüche

Nun, zum einen verstärkt die Digitalisierung, wie wir im einleitenden Kapitel bereits dargelegt haben, den Eindruck einer zunehmenden Dynamik und der permanenten Brüche. Seit Peter Schumpeter gelten die ständige Veränderung und die „kreative Zerstörung“ als Grundprinzipien von Wirtschaft. Neue Technologien, neue Märkte, neue Kundenbedürfnisse, all das prägt Managementdenken seit Jahrzehnten.

Spätestens seit Clayton Christensen sein Mantra von der „disruptiven Innovation“ formulierte, gilt das Produzieren von Brüchen dabei als wesentliche Voraussetzung unternehmerischer Entwicklung schlechthin. Führung wird demnach heute oft mit Veränderungsfähigkeit gleichgesetzt.

Eine interessante Frage dabei ist, ob diese Fähigkeit, sich zu verändern, eher ein Push- oder ein Pull-Phänomen darstellt. Wird die permanente Veränderung also eher von Unternehmen gemacht oder von den sich verändernden Bedürfnissen der Menschen geschaffen?

# Der multioptionale Konsument

Vermutlich ist es von beidem etwas. Das lässt sich gut am Konsumentenverhalten erkennen. Die meisten Unternehmen haben verstanden, dass es „Lieschen Müller“ – Sinnbild des typischen Durchschnittsverbrauchers – nicht mehr gibt. An ihre Stelle ist der sogenannte „hybride Käufer“ getreten, der zunehmend multioptional konsumiert.

Während die Käufer des Ford Model T keinerlei Einfluss auf die Ausführung hatten – berühmt ist der Ausspruch von Henry FordYou can have it in any color as long as it's black“ – konnten BMW-Käufer 2013 bereits zwischen 1.295 Varianten von 22 verschiedenen Modellen wählen.

Inzwischen lassen sich immer mehr Produkte den individuellen und oft auch sich verändernden Anforderungen der Käufer anpassen.

Diese Entwicklung wird durch die Digitalisierung noch verstärkt: Multi-Channel Customer Journeys, Zunahme digitaler Impulskäufe bis hin zum „Dash Button“. Das sprunghafte, impulsive Momentum im Konsumverhalten hat deutlich zugenommen.

# Von der tribalen zur selbstregulierenden Organisation

Neben der Veränderung des Konsumentenverhaltens gibt es ein zweites wichtiges Phänomen, das erklärt, warum das oben beschriebene Problem zunehmender Dynamik und Brüche mehr und mehr zu einem Pull-Phänomen geworden ist: Dabei handelt es sich um grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen, die sich nicht nur im viel zitierten „Generationen- und Wertwandel“ niederschlagen, sondern auch in einem fundamentalen Wandel der Unternehmens- und Führungskulturen.

Frederic Laloux hat diese Entwicklung in seinem Buch Reinventing Organzations ausführlich beschrieben und dabei insgesamt fünf Entwicklungsstufen der Organisation menschlichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens ausgemacht:

Abb. 2: Entwicklungsstufen der Organisation menschlichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens nach Frederic Laloux

1. Das Gesetz des Stärkeren

Vor ca. 10.000 Jahren waren die Menschen weitgehend in Stämmen organisiert (tribale Organisation). Ihre Wahrnehmungswelt beruhte damals auf relativ einfachen Unterscheidungen, z.B. denen zwischen „gut“ und „böse“. Damit ging auch das Gefühl der Bedrohung einher, die Befriedigung eigener Bedürfnisse bedurfte der Stärke und Widerstandsfähigkeit. Die Schwächeren ordneten sich den Stärkeren unter und konnten so hoffen, von den Stärkeren geschützt und versorgt zu werden.

Das herrschende Weltbild damals war „fressen oder gefressen werden“. Die absolute Befehlsautorität hatten Stammesführer inne, und zwar solange bis diese irgendwann durch andere Stärkere abgelöst wurden. Das Führungsprinzip dabei war Gehorsam und wurde durch ständige Machtausübung im interpersonellen Bereich sowie durch Belohnung und Angst vor Bestrafung getragen.

Für diese Art der Führung war ständige Nähe und strenge Kontrolle eine Grundvoraussetzung. Noch in heutiger Zeit sind Straßengangs oder die Mafia nach diesem Prinzip organisiert. Ständige Nähe und engmaschige Kontrolle begründen aber gleichzeitig auch, warum diese Organisationsform mit der fortschreitenden menschlichen Entwicklung zunehmend an ihre Grenzen stieß. Deshalb wurde die „tribale Organisation“ menschlichen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens schrittweise durch eine konformistische Organisation ersetzt.

2. Zugehörigkeit und Identifikation

Mit der fortschreitenden Evolution lernten die Menschen mehr und mehr zwischen ihren eigenen Wahrnehmungen und Gefühlen sowie denen anderer zu unterscheiden. Damit wurden aber auch das eigene „Ego“ und Selbstwertgefühl mehr und mehr abhängig von der Meinung anderer.

Menschliche Identität wurde damit immer weniger von einem reinen „Überlebensdrang“ bestimmt, als vielmehr von Prozessen der Identifizierung, Bestätigung, Akzeptanz und Zugehörigkeit. Gruppennormen und ein kollektives Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden.

Führung war in dieser Epoche weniger durch persönliche Nähe und unmittelbare Kontrolle bestimmt als über formelle Prozesse der Identifizierung und Steuerung auch über große Distanzen hinweg.

Im politischen Bereich dominierten auf dieser Entwicklungsstufe starre Verwaltungssysteme, die häufig mit recht schablonenhaften ideologischen Weltbildern verknüpft waren.

Parallel dazu entstanden, durch die Industrialisierung ermöglicht, im Wirtschaftsleben die ersten großen Unternehmen, die von Hierarchien, festen Rollen und Prozessen, einem starken Formalismus und weitgehend konformistischen Unternehmenskulturen geprägt waren.

Die Führungskräfte gaben das „Was“, „Wie“ und „Wann“ vor, die Mitarbeiter führten Anweisungen aus. Kreativität und Innovationen gingen vornehmlich von der Unternehmensleitung aus.

Die Stabilität dieser Systeme fußte darauf, dass Mitarbeiter sich mit der ihr zugewiesenen Rolle zufriedengaben und unterschiedliche Rollen dauerhaft anerkannten. Diese organisationale Entwicklungsstufe ist noch heute in Regierungsbehörden oder im Militär zu finden.

3. Das Gesetz des Erfolges

Es ist gewissermaßen eine Ironie des Schicksals, dass sich mit dem fortschreitenden Wohlstand, der zunehmenden Demokratisierung von Gesellschaften, der gestiegenen Individualisierung und dem wachsenden Bewusstsein für „soziale Fragen“ alte Dogmen nicht einfach aufgelöst haben, sondern durch ein neues Dogma ersetzt wurden: den Erfolg.

Wer in der modernen Welt nicht erfolgreich ist, der hat es nun nicht mehr zwingend seiner Herkunft, seinem unteren Stand, seiner niedrigen Bildung zu verdanken. Er hat seinen Misserfolg quasi selbst zu verantworten.

Dieses Dogma spiegelt sich organisationstheoretisch in der modernen leistungsorientierten Organisation wider: Auf dieser Entwicklungsstufe wird ein „Richtig“ oder „Falsch“, das auf dem Regelwerk basiert durch ein „Funktioniert“ oder „Funktioniert nicht“ ersetzt.

Das hat die Tore für die im ersten Kapitel beschriebene sinkende Halbwertzeit von Innovationen geöffnet. Das Ziel der Menschen ist es nun, das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen. Für die Unternehmen heißt das, immer besser und profitabler zu werden, zu expandieren und zu wachsen.

Machterhalt wird dabei durch Erfolg und Innovation gewährleistet. Für die Führungskultur heißt das, dass noch immer die Rollen innerhalb einer Hierarchie definiert werden, die gesellschaftlichen Klassen allerdings durch Bildung und Erfolg aufgebrochen werden. Nun sind Karrieren „vom Stift zum Generaldirektor“ möglich und neue durchlässige Klassen wie Akademiker und Geldadel entstehen.

Das Problem dabei ist: Auch diese Organisationsform hat ihre Tücken. So fördert sie beispielsweise eine Haifischkultur und individuelles Vorteilsdenken statt eine Ausrichtung auf Synergien und eine gemeinsame Fortentwicklung des Unternehmens.

Die Folge dieser Kultur ist, dass viele Mitarbeiter schlicht überfordert sind. Innere Kündigung und hohe Krankenstände sind häufig die Konsequenz. Hinzu kommen Probleme wie Veruntreuung und Verschwendung, besonders in höheren Führungsetagen.

Es verwundert nicht, dass in primär leistungsorientierten Kulturen Gier und die damit verbundene Ausbeutung von menschlichen und natürlichen Ressourcen deutlich zugenommen hat: Überschuldung, Bankenkrise, Klimaerwärmung, eine immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich, das Auseinanderdriften von erster, zweiter und dritter Welt bis hin zu den Flüchtlingsströmen dieser Tage. Das alles hängt unmittelbar zusammen und bleibt auch für das Wirtschaftsleben nicht ohne Konsequenzen.

Ein Beispiel hierfür ist die deutlich gesunkene Verweildauer von Arbeitskräften in den Unternehmen: Manager und Mitarbeiter, die wirklich etwas bewegen, bleiben häufig nicht lange, da sie – getrieben vom Primat des Erfolges – schon anderswo die nächste Erfolgschance wittern.

Der hohen Fluktuation der Leistungsträger steht dabei nicht selten die Beharrungskraft all jener gegenüber, die es sich gerade in Konzernen mit einer Leistungsverweigerung bequem gemacht haben und von den Errungenschaften des Arbeitnehmerschutzes behütet manchmal kaum noch zu führen sind.

Dazwischen findet man meist allerdings noch die Mehrzahl treuer, langgedienter und durchaus williger Mitarbeiter, die einen guten Job machen, aber kaum noch Aufmerksamkeit erhalten und deshalb häufig ebenso frustriert sind.

In Zeiten der Digitalisierung wird die erfolgsorientierte Organisationsform mehr und mehr auf die Probe gestellt. Was gestern noch den „Erfolg“ eines Unternehmens und damit meist auch den eigenen Karriereerfolg bestimmt hat, gilt plötzlich von heute auf morgen nicht mehr. Damit werden auch die leistungsorientierten Kulturen, die es heute in vielen Unternehmen noch gibt, zunehmend obsolet.

Hinzu kommt allerdings noch ein weiteres wesentliches Problem: Mit dem bereits angedeuteten Kulturwandel, haben sich auch die Wertemuster der Menschen verschoben. Erfolg allein ist kein Motiv, das Mitarbeiter heute noch besonders antreibt. Es geht ihnen vielmehr zunehmend um Selbstbestimmung, um Spaß an der Arbeit und darum, einen sinnvollen Beitrag zum Ganzen zu leisten.

Laloux nennt in seiner Evolutionstheorie daher auch zwei weitere Stufen der Entwicklung von Organisationen, die über eine rein leistungsorientierte Kultur hinausreichen:

4. Vision und Werte

In der „werteorientierten Organisation“ entsteht Erfolg durch herausragende Mitarbeitermotivation durch Empowerment. Es wird zunehmend wichtig, möglichst allen internen und externen Interessengruppen gerecht zu werden. Wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit wird besonders aufgrund schwindender Ressourcen und steigender Umweltbelastungen immer wichtiger, die besonders aus der Sorglosigkeit in vorhergehenden Entwicklungsstufen herrühren.

Obwohl noch die klassische Pyramidenstruktur besteht und Hierarchien und Regeln eine Rolle spielen, geht es nun vor allem darum, gemeinsame Werte und eine Vision zu haben sowie Sinngemeinschaften zu bilden.

5. Selbstorganisation und Kreativität

Noch einen Schritt weiter gehen die sogenannten „evolutionären Organisationen“, in denen mehr und mehr klassische pyramidale Strukturen durch Prozesse der Selbstorganisation und Kreativität ersetzt werden.

Die „Führungskräfte“ sorgen eher für den Rahmen, das Team wird einbezogen in die Planung der einzelnen Entwicklungsschritte und organisiert sich ansonsten völlig eigenständig. Das Ganze basiert auf Werten und Prinzipien, in denen man Teams vertraut und ihnen die Verantwortung übergibt, sich zu selbst organisieren. Der Mensch und die Kundenzufriedenheit stehen im Vordergrund, das Umfeld ist unterstützend, Informationen und Konflikte werden von Angesicht zu Angesicht übermittelt bzw. geklärt, die Teams reflektieren sich regelmäßig selbst, besonders in Bezug auf das Miteinander – das alles, um immer besser zu werden. Dabei werden in gleichmäßigem Arbeitstempo, bei festen Arbeitszeiten und strenger Termin- und Ergebnistreue funktionierende Ergebnisse abgeliefert. Die Beteiligten tauschen sich täglich miteinander aus, Veränderungen werden willkommen geheißen, Erfolg wird an exzellenten Ergebnissen bei möglichst geringem Aufwand und einfachen Prozessen gemessen.

Zukunftsmusik? Dieses agile Projektmanagement-Verfahren wurde in der Software-Entwicklung bereits Mitte der 1990er-Jahre erstmals umgesetzt und ist seit 2003 unter dem Namen „Scrum“ (englisch für „Gedränge“, d.h. hoch verdichtete Formen der Zusammenarbeit) besonders in komplexen und unsicheren Umfeldern dem klassischen Wasserfallmodell bei Weitem überlegen.

Scrum: englisch für „Gedränge“ = eine hoch verdichtete Form der Zusammenarbeit in modernen Projektorganisationen Wikipedia, Scrum

Das gilt übrigens nicht nur für den Bereich der Software-Entwicklung. Zertifizierungskurse für Scrum erleben gerade einen wahren Run, auch wenn die Umsetzung dann meist an der bestehenden Unternehmenskultur scheitert. Denn für eine erfolgreiche Implementierung von Scrum braucht es einen Kulturwandel, weg von klassischen Führungsmodellen.

# Den Generationswandel verstehen

Um die Bedeutung dieses fundamentalen Kulturwandels besser zu verstehen, lohnt noch einmal ein Blick zurück auf den Generationswandel, der nicht nur die Entwicklung von gesellschaftlicher Kultur, sondern auch von Unternehmenskultur der letzten 70 Jahre entscheidend geprägt hat.

Bestimmend für die Kultur der Nachkriegszeit in Gesellschaft und Wirtschaft sind die sogenannten Veteranen (Geburtsjahrgänge bis ca. 1945) gewesen. Diese waren noch stark von Eigenschaften wie einem starken Respekt vor Autoritäten und von einer hohen persönlichen „Opferbereitschaft“ geprägt. Konformität und Loyalität waren für sie die dominierenden Werte. Bei Konflikten waren die Menschen damals eher zurückhaltend. Genauigkeit und Sicherheitsorientierung waren Gebote der Zeit. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Ganz im Gegensatz dazu ist jedoch bereits die sogenannte Babyboomer-Generation (Geburtsjahrgänge von 1945 bis ca. 1960) von einem starken Wertewandel geprägt: Bürgerrechtsbewegungen in den USA, Woodstock und die Hippie-Kultur, die schließlich zu uns hinüber schwappten, Studentenbewegungen in Deutschland und Frankreich, all dies bricht alte Strukturen auf. Es ist die Zeit der Beatles, der Antibabypille, der ersten Mondlandung, aber auch der RAF und des kalten Krieges.

Bob Dylan, der 2016 den Literaturnobelpreis erhielt, hat diesen Generationswechsel in seinem 1964 erschienen Song, „The times are a changin’“ sehr schön zum Ausdruck gebracht: „The line it is drawn, the curse it is cast, the slow one now will later be fast. As the present now will later be past. The order is rapidly fadin’...”

„The slow one now will later be last.“ Bob Dylan, Liedermacher 1964

Obwohl diese Generation noch immer zum Zweck der materiellen Absicherung mit dem Fokus auf Prozess- und Ergebnisorientierung arbeitet, werden ein starres Hierarchiedenken und der Respekt vor „Ober sticht Unter“ zunehmend von Teamgeist und Konsensorientierung abgelöst.

Trotzdem reagieren die Menschen dieser Generation in Bezug auf Feedback und Konfliktbewältigung häufig noch sehr empfindlich. Sie sind es nicht gewohnt, sich auch im Arbeitsleben zunehmend die Frage stellen lassen zu müssen, wie eine gute funktionierende Zusammenarbeit aussehen sollte.

Interessanterweise sind es nicht zuletzt viele Alt-68er gewesen, die zwar in Kommunen und mit einem egalitären politischen Anspruch aufwuchsen, jedoch bei der Führung von Mitarbeitern kläglich gescheitert sind, weil sie den autoritären Führungsstil ihrer Väter häufig unbewusst kopiert haben und – sobald sie wirtschaftlich Erfolg hatten – ebenfalls leicht den Versuchungen nach „immer mehr“ erlegen sind.

Auch die darauffolgende Generation X (Geburtenjahrgänge von 1960 bis ca. 1980) hat die materielle Absicherung durchaus noch im Blick, doch ein Job muss nicht mehr für das ganze Leben reichen.

Die Prozess- und Ergebnisorientierung wird in dieser Generation zunehmend von einer Karriereorientierung abgelöst. Der Wunsch nach Individualität nimmt zu, Führung wird informeller, mit autoritärem Verhalten lässt sich diese Generation nicht mehr ohne Weiteres führen.

Die sogenannte Work-Life-Balance stellt bereits hier einen immer höheren Wert dar. Viele wagen freiwillig oder in Folge von Rationalisierungen um die 50 noch einmal den Schritt in etwas ganz Neues.

Auch setzt sich diese Generation – nicht zuletzt beeinflusst durch ein neues Denken bei der nachwachsenden Generation Y – zunehmend mit dem Thema Sinn auseinander, ist gesundheitsbewusster und beeinflusst damit wiederum selbst das Denken der vorhergehenden Baby-Boomer-Generation. Gesundheit, Wohlbefinden und Jugendlichkeit stehen nicht ohne Grund heute für alle drei Generationen (Babyboomer, Generation X und Generation Y) zunehmend im Vordergrund.

# Von der Technikskepsis zur Technikeuphorie

Interessant ist, wie dabei mit den neuen digitalen Medien umgegangen wird. Eine anfängliche Technikskepsis dieser Generation ist inzwischen einer deutlichen Technikeuphorie gewichen. Der hohe Wohlstand ermöglicht der Generation X und den Babyboomern einen unmittelbaren Zugang selbst zu hochpreisigen Gadgets. Man will dazugehören und sich von der jüngeren Generation nicht abhängen lassen.

Damit wird ein Teil der bis dato zwischenmenschlichen Kommunikation zunehmend auf digitale Kommunikation (Mail, SMS oder auch WhatsApp) verlagert, wobei das Miteinander auf diesen Ebenen allerdings noch etwas unbeholfen vonstattengeht.

Viele Babyboomer und Generation X-ler sind dankbar, dank der neuen Technologien gerade konfliktreiche Gespräche nicht mehr unbedingt persönlich führen zu müssen. Sie dürfen sich dann allerdings auch nicht wundern, wenn beispielsweise über Mails ausgetragene Konflikte eher zu einer Eskalation denn zu einer Klärung von Problemen führen.

# Das neue Dogma der Selbstverwirklichung

Mit der Generation Y (1980–1999) und der Generation Z (ab 2000, auch „Millenials“ genannt) ziehen nun Generationen in die Unternehmen ein, welche die Kultur von Unternehmen noch einmal deutlich verändern.

Das Hauptmotiv dieser Generation ist die Selbstverwirklichung. Was sich vorherige Generationen, wenn überhaupt, nur während ihrer Jugendzeit erlaubt haben, nämlich die Selbstverwirklichung, wird nun zum dominierenden Prinzip, das auch das Arbeitsleben unmittelbar beeinflusst.

„Viele junge Mitarbeiter haben einen hohen Anspruch, fordern ein, wollen erst mal ‚haben’, Erfüllung kommt vor Erfolg. Doch wenn es dann um Leistung geht, halten sie manchmal den Deal nicht ein.“ Christian Röpke, Geschäftsführer ZEIT ONLINE, academics.de, ze.tt

Väter, die ganz selbstverständlich Elternzeit nehmen und sich mit ihren Partnerinnen die Erziehung sowie die Bewältigung des Alltags teilen. Freiheit und Flexibilität sind hohe Werte, die Arbeit soll sinnstiftend und abwechslungsreich sein.

Das Modell der Aussicht auf eine gute Position nach 15 Jahren entbehrungsreicher Arbeit stellt für diese Generation keinen Anreiz mehr dar. Diese Generation erwartet von Beginn an optimale Bedingungen, was Personaler und Führungskräfte nicht nur alter Schule immer wieder in Staunen versetzt.

Der selbstverständliche Umgang mit Technologie macht völlig neue Arbeitswelten möglich, was diese Generation aber auch ganz selbstbewusst einfordert. Klassische extrinsische Motivationsmodelle scheitern hier kläglich: Wo es noch vor 15 Jahren einem Ritterschlag gleichkam, als Junior in einer internationalen Unternehmensberatung eintreten zu dürfen, können die Recruiter heute froh sein, wenn die Bewerber überhaupt noch zum Vorstellungsgespräch erscheinen. Immer öfter kommt es vor, dass sie nach einer erhaltenen Einladung noch nicht einmal mehr absagen, wie uns jüngst ein Partner einer der drei führenden Unternehmensberatungen in Deutschland berichtete. Falls die Bewerber doch erscheinen, halten sie sich Zusagen bis zuletzt offen oder erscheinen bei Arbeitsbeginn dann doch nicht, weil sie sich kurzfristig anders entschieden haben.

Unternehmen müssen vor diesem Hintergrund mehr und mehr um gut ausgebildete Fachkräfte kämpfen. Dieser Trend, der sich in Ausbildungsberufen schon lange abzeichnet, setzt sich nun im akademischen Bereich fort.

Spätestens mit den Generationen Y und Z bricht also eine neue Ära in der Unternehmensführung an und es bedarf einer Anpassung der Unternehmenskultur, die diesen Veränderungen Rechnung trägt.  Bereits heute gibt es zwar in den meisten HR-Abteilungen bereits „Employer Branding“-Teams. Diese erleben im Kampf um hervorragende Talente jeden Tag, warum eine gute Unternehmenskultur wichtig ist. Und sie erleben auch, wie groß die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit dann häufig noch ist.

Warum fällt das vielen Unternehmen immer noch so schwer und was müssen diese tun, um dem Kulturwandel gerecht zu werden?

# Akzeptanz der Vielfalt

Nun, zunächst einmal müssen Unternehmen lernen, mit den Herausforderungen der Vielfalt fertigzuwerden. Eine Konsequenz des Generations- und Wertewandels ist ja nicht einfach nur eine Veränderung von Werten, sondern vor allem deren Pluralisierung.

Gerade, weil Werte sich pluralisieren, Lebens- und Arbeitsbiografien heute nicht mehr eindimensional, sondern vielschichtig sind und Unternehmen es mit einem zunehmendem Generations- und Wertemix in ihrer Mitarbeiterschaft zu tun haben, müssen Unternehmen lernen, mit dieser Vielfalt umzugehen.

„Man muss Mitarbeiter als Individuen mit einer eigenen mentalen Software begreifen, um diese für wichtige Veränderungsprozesse gewinnen zu können.“ d.lead

Nur wenn sie die Mitarbeiter in ihren Organisationen weniger als Teil einer konformen, einfach zu prägenden und zu führenden Masse begreifen, sondern als Individuen mit ganz persönlichen Wünschen und Bedürfnissen oder, anders formuliert, mit einer ganz eigenen mentalen Software, wird es ihnen gelingen, diese auch längerfristig an das eigene Unternehmen zu binden und für wichtige Veränderungsprozesse zu gewinnen.

# Neue Leichtigkeit

Das alles stellt Führungskräfte mehr denn je vor eine echte Herkulesaufgabe, die auf der anderen Seite jedoch eine zunehmende Leichtfüßigkeit erfordert. Anders kann man kaum den bereits hinreichend beschriebenen digitalen Herausforderungen einer zunehmenden Dynamik, Intensität und Transparenz der Ereignisse gerecht werden.

Die Wahrnehmung, dass „alles fließt“, sprich: dass sich vieles schneller als früher verändert, dass Vielfalt, Verarbeitungs- und Kommunikationsdruck zunehmen und dass es immer schwerer fällt, hierbei noch zu sich selbst zu finden, das ist übrigens ein Phänomen, das viele Mitarbeiter und Führungskräfte in Unternehmen heute teilen. Nur geben es beide Seiten ungern zu.

Zu stark ist noch der Imperativ, die Möglichkeiten der neuen Technologien, die ständige Veränderung, das Digitale „cool“ zu finden. Oder anders formuliert: Wer hierbei einen skeptischen Blick riskiert, gilt schnell als Spielverderber, der einfach noch nicht erkannt habe, welche Chancen die Digitalisierung biete.

De facto ist jedoch genau das Gegenteil der Fall. Eine erfolgreiche Digitalisierung braucht eine gesunde Skepsis, die keineswegs mit einer falschen Technikfeindlichkeit gleichzusetzen ist. Vor allem jedoch ist ein gesundes Bewusstsein dafür erforderlich, wie unterschiedlich Menschen mit den Herausforderungen einer zunehmenden Dynamik und eines permanenten Veränderungsdrucks in Zeiten der Digitalisierung umgehen.

# Einsicht in die Angst vor dem Neuen

Tatsächlich gehen die Menschen heute ja sehr unterschiedlich mit den Herausforderungen der digitalen Neuzeit um:

Manche können gar nicht genug kriegen von all den Neuerungen, die sich abzeichnen. Andere gruselt es angesichts wegbrechender Gewohnheiten und Abläufe, sie wünschen sich zurück in prädigitale Zeiten und flüchten zum nächsten Mittelalterfestival“, so Viola Schenz jüngst in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zur „neuen Führungskultur“.

„Manche können gar nicht genug kriegen von all den Neuerungen (...) Andere gruselt es angesichts wegbrechender Gewohnheiten und Abläufe.“ Viola Schenz, Süddeutsche Zeitung

Ein Kernfaktor, der in den nächsten Jahren dabei verstärkt an Bedeutung gewinnen wird, ist die Veränderung der Arbeitswelt. Dies schafft nicht nur neue Möglichkeiten, sondern produziert aus verständlichen Gründen in zunehmendem Maße auch Ängste. Auch hier prallen unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse aufeinander.

Alles, was automatisiert werden kann, wird automatisiert, lautet ein vielzitierter Spruch, und langfristig ist er richtig. Die Automatisierung kannten wir bisher meist aus den Fabriken. Künftig wird intelligente Software auch Bürojobs freisetzen, also einfache Tätigkeiten von Buchhaltern, Controllern, Analysten, ja sogar Ärzten oder Anwälten übernehmen können“, so Holger Schmidt jüngst im Focus.

Ein konkretes Beispiel hierfür liefert Jörg Vollmer, CEO Swiss Post Solutions und Member of the Swiss Post Executive Management: „OCR-Technologie macht es möglich, aus strukturierten Formularen bereits 80% der Daten auszulesen, künstliche Intelligenz kann schon jetzt unstrukturierte Freiform-Schriftstücke auslesen und lernt durch ‚pattern recognition’, derzeit noch mit Hilfe von Menschen, irgendwann die übrigen 20% auch noch zu erfassen. Das entlastet menschliche Sachbearbeiter, die sich bislang durch Postberge gearbeitet, aufwändig Daten eingegeben und dann wieder Ausgangspost erstellt haben. Crowdsourcing bietet weitere Einsparungspotentiale: Sachbearbeitung wird bedarfs- und zeitzonengerecht outgesourct, mit mobiler Arbeit, Homeoffice und Smart Workplaces können die Auslastung der Gebäude sowie das Energiemanagement immer effizienter gesteuert werden.“

„Künstliche Intelligenz entlastet menschliche Sachbearbeiter.“ Jörg Vollmer, CEO Swiss Post Solutions

Bereits heute werden Wetter- und Sportberichte zumeist nicht mehr von Menschen verfasst, Apps können mit höherer Wahrscheinlichkeit als erfahrene Ärzte z.B. Hautkrebs erkennen, Augen-OPs kann ein Computer mit höherer Präzision ausführen als ein Mensch. Ein Computer kann sich in Millisekunden durch Gesetzestexte, Urteile oder das aktuelle Steuerrecht durcharbeiten und ist dabei teilweise sogar schon präziser und schneller als so mancher menschliche Experte.

# Kooperation mit den Maschinen

Es ist eine Sache, diese Entwicklung zu akzeptieren. Wie Holger Schmidt weiter ausführt, ergibt es für den Menschen kaum Sinn „gegen den Roboter anzukämpfen – er kann auf Dauer nicht gewinnen. Stattdessen sollten die Menschen daran arbeiten, mit dem Roboter oder der Maschine zu arbeiten. Also zu lernen, wie Roboter bedient werden, die Ergebnisse der schlauen Software zu interpretieren oder sogar weiterzuentwickeln. Auf diese Weise entstehen viele neue Jobs. Digitalisierung ist Jobkiller und Jobmaschine zugleich.“

Nichtsdestotrotz müssen sich Unternehmen damit auseinandersetzen, dass viele Menschen vor diesen Entwicklungen Angst haben, weil diese tatsächlich ihre eigene Existenz betreffen, die Art, wie sie zukünftig arbeiten, leben, Geld verdienen werden und wie sie sich dabei selbst verwirklichen können – oder eben auch nicht.

Es schon verwunderlich, wie sehr in den doch so aufgeklärten, selbstbewussten Unternehmenskulturen von heute solche Fragestellungen verdrängt werden. Als ob nicht gerade diese einen erheblichen Einfluss auf die Motivation und damit auch Leistungsfähigkeit von Unternehmen hätten.

# Überwindung der Oberfläche

Sicherlich ist es so, dass die meisten Unternehmen die Konsequenzen, die sich aus diesen Veränderungen ergeben, durchaus verstanden haben. Beispiele für konkret daraus resultierende Maßnahmen sind z.B. flexiblere Arbeitszeiten, die Möglichkeit „Sabbaticals“ zu nehmen, bis hin zu Betriebskindergärten, modernen Casinowelten mit abwechslungsreicher Biokost statt dem gewöhnlichen Kantinenessen, modernen Einrichtungswelten im Büro mit „iPads für alle“, Kickern, Relax-Zonen und Kaffeebars, die den Vergleich mit Starbucks nicht mehr scheuen müssen oder gleich direkt vom amerikanischen Kaffeeriesen betrieben werden.

Die Vielfalt der neuen gesunden „Limonadenwelt“ im Büro steht den Mitarbeitern dabei heute oft ebenso selbstverständlich zur Verfügung wie Betriebsärzte und Massagen.

Auch die Arbeitsplätze selbst sind ergonomischer geworden. In vielen Unternehmen sind heute höhenverstellbare Schreibtische und rückenschonende Stühle Standard. Das alles wird dankbar angenommen und macht sich gut bei der Suche nach Bewerbern dank Auszeichnungen wie z.B. „Great place to work“.

„Viele Unternehmen bleiben häufig bei kosmetischen Oberflächenveränderungen stehen.“ d.lead

Das Problem jedoch ist, dass viele Unternehmen es häufig bei derartigen kosmetischen Oberflächenveränderungen belassen, die sehr schnell als selbstverständlich erachtet werden und damit ihre eigentlich motivierende Wirkung verlieren.

Vor allem jedoch ist problematisch, wenn diese kosmetischen Verbesserungen als eklatanter Widerspruch zu einer häufig noch recht hierarchischen Führungsstruktur und Führungskultur in den Unternehmen erlebt werden. Das rächt sich insbesondere dann, wenn ein Unternehmen „auf hohe See“ muss und damit das Schlaraffenland verlässt.

Wenn die Unternehmensführung weiterhin nach dem alten Schema funktioniert, große Veränderungen und Einschnitte anstehen, der Sturm aufbraust – dann kann kein Kickertisch, kein Starbucks Café der Welt wirklich noch helfen. Ganz im Gegenteil: Wenn das Vertrauen gestört ist, die Mitarbeiter Angst haben und die Kommunikation im Unternehmen nicht richtig funktioniert, dann drohen diese Maßnahmen eher das Gegenteil zu bewirken. Mitarbeiter fühlen sich an der Nase herumgeführt und manipuliert.

Eine kosmetisch geschönte Oberfläche bringt auf Dauer also nichts, wenn das System von innen faul ist. Spätestens unter Druck, in dynamischen Prozessen blättert die Fassade ab. Dann ist die Enttäuschung und manchmal sogar Wut umso größer, weil sich die Menschen verschaukelt fühlen.

Kennzeichnend für den gesellschaftlichen Wandel ist ja, dass Mitarbeiter selbst in guten Zeiten mit den Fassadenstrategien immer kritischer umgehen. Zum einen haben sie über Jahre erlebt, dass Mitarbeiterbefragungen und groß angekündigte Kulturtransformationen entscheidende Veränderungen versprechen, die dann jedoch häufig ausbleiben oder auf die unteren Ebenen delegiert werden. Viele Mitarbeiter sind daher müde von den ewigen Beschwörungen und leeren Versprechungen.

Hinzu kommen zahlreiche Effizienzsteigerungsinitiativen (Change Management, Total Quality Management, Six Sigma, Radical Innovation etc.), die in den letzten Jahren wie die sprichwörtliche Sau durch Unternehmen getrieben wurden und dabei nur teilweise die erhofften Effizienzsteigerungen mit sich gebracht haben.

Es verwundert nicht, dass vor diesem Hintergrund so mancher Mitarbeiter skeptisch geworden ist, ob nun gerade die Digitalisierung wirklich der neue Heilsbringer sein soll, der nicht nur den nächsten Effizienzsprung für das eigene Unternehmen ermöglicht, sondern auch Vorteile für das eigene Arbeiten.

Diese Skepsis ernst zu nehmen und nicht vorschnell beiseite zu drängen, ist ein wesentliches Element erfolgreicher Führung in digitalen Zeiten. Man muss nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Mitarbeitern aktiv Hilfestellung geben, die digitale Transformation zu meistern, und zwar, wie Allianz-Chef Oliver Bäte jüngst in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung richtig festgestellt hat, „nicht nur inhaltlich, sondern auch psychologisch“.

„Sie (die Angst) ist typisch für unsere Branche. Sie ist im Umbruch. Wir können den Menschen diese Unsicherheit nur begrenzt nehmen. Aber wir müssen mehr helfen, nicht nur inhaltlich, sondern auch psychologisch.“ Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender, Allianz SE

Dabei geht es weniger darum, „Geschichten zu erzählen, die nach dem Motto laufen, alles wird gut, alle eure Arbeitsplätze sind sicher. Das wäre gelogen“, so Bäte. Es geht vielmehr darum, die Menschen selbst für die Herausforderungen der Digitalisierung fit zu machen. Um noch einmal mit Oliver Bäte zu sprechen: „Wir müssen die Menschen, die heute Papier bearbeiten, fragen, ob sie bereit sind, sich ausbilden zu lassen für die Kundenberatung. Wir helfen bei der Qualifikation. Wir können keinen Mob garantieren, aber ich kann sagen, wer von der Allianz kommt, kriegt meistens irgendwo anders auch einen Job.“

# Dekonstruktion der Fassade

Dass es heute nicht mehr ausreicht, eine reine Oberflächenstrategie zu verfolgen, zeigt nicht zuletzt der Umgang neuer Bewerber mit ihren zukünftigen potenziellen Arbeitgebern.

Wo früher Unternehmen noch mittels fulminanter Selbstdarstellungen auf der Webpage, in Stellenausschreibungen und in der Presse Bewerber anlocken konnten, die dann meist erst nach Eintritt ins Unternehmen die Diskrepanz zwischen diesen Fassaden und der wahren Kultur in den Unternehmen erlebten, sorgt heute das Internet für zunehmende Transparenz.

Heute können sich Bewerber z.B. bei Kununu schon vorab informieren, was sie wirklich erwartet. Vor allem die Generation Y hat große Erwartungen an die Selbstverwirklichungsfreiräume, den Grad an Offenheit, Modernität und an den tatsächlichen Veränderungswillen von Unternehmen. Still und leise abwarten und darauf hoffen, dass sich im eigenen Unternehmen etwas ändert – das war gestern.

Wie flexibel die Unternehmenskultur wirklich ist und wie zeitgemäß die Führungskultur können Bewerber schon vor dem ersten Kontakt im Web recherchieren, um dann für sich zu entscheiden: „Ist das wirklich das Unternehmen, in dem ich arbeiten will?“

# Umgang mit der neuen Dynamik

Hier entfaltet sich eine neue Dynamik im Inneren der Unternehmen, die sich mit der Dynamik außerhalb immer stärker potenziert. Das stellt Führungskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Sie sind stärker als früher gefordert, dieser Dynamik nicht nur zu begegnen und sie aufzulösen, sondern bestenfalls zu antizipieren, um damit verbundene wahrscheinliche Probleme und Konflikte gar nicht erst ausbrechen zu lassen

Nicht indem Manager der Dynamik mit noch mehr Dynamik begegnen, sondern indem sie ihr Wahrnehmungs- und Reaktionsvermögen schärfen und indem sie bewusst analoge Gegenpole zu dieser Dynamik setzen, werden sie den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht.

„Nur indem Führungskräfte bewusst analoge Gegenpole zur steigenden Dynamik setzen, werden sie den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht.“ d.lead

Wie Peter Drucker richtig beschrieben hat, schafft die Digitalisierung, insofern sie richtig umgesetzt wird, vor allem eines: mehr Zeit – die man beispielsweise für mehr persönliche Kommunikation mit seinen Mitarbeitern nutzen sollte.

Entscheidend dabei ist jedoch, dass die Digitalisierung richtig umgesetzt wird und in den Unternehmen nicht genau zum Gegenteil dessen führt, nämlich nicht zu „mehr Zeit“, „mehr Entlastung von Routinen“, „mehr Raum für persönliche Kommunikation und Entfaltung“, sondern zu „mehr Belastung“, „ständiger Überforderung“ und einer de facto „Abnahme von persönlichem Austausch“ und von „freien Entfaltungsmöglichkeiten“ im Job.

Damit genau das nicht passiert, müssen viele Führungskräfte jedoch erst einmal ihre eigenen Verhaltensweisen und mentalen Modelle verändern. Viele von ihnen sind nämlich aktuell noch ziemlich „lost in transformation“, um es auf den Punkt zu bringen, obwohl sie nach außen natürlich genau das Gegenteil vorgeben.

Warum dies so ist, versuchen wir in den folgenden Kapiteln herauszuarbeiten, um dann darzulegen, wie es auch anders laufen könnte.